„Klassen zu klein, Kindergruppen zu groß“
Schule. In den vergangenen Jahren seien teils extrem teure und sinnlose Maßnahmen gesetzt worden, sagt Buchautor und Bildungskritiker Andreas Salcher. Vor den entscheidenden Schritten sei man politisch aber immer zurückgeschreckt.
Die Presse: Im Wahlkampf war Bildung bisher kein allzu großes Thema . . . Andreas Salcher: Das ist sehr euphemistisch formuliert. Dabei ist Bildung eines der Themen, die die Menschen wirklich betreffen – neben Gesundheit und Pensionen. In allen drei Bereichen haben wir einen riesigen Reformbedarf. Und ehrlich gesagt: Während wir beim Klima keinen allzu großen Hebel haben, hindert uns niemand daran, das Bildungssystem zum besten der Welt zu machen. Das ist eines der wenigen Themen, bei denen man sich als Nationalstaat Vorteile verschaffen kann.
Sie haben wieder ein Buch über die Schule geschrieben. Wo ist das größte Problem? Zunächst einmal: Es stimmt überhaupt nicht, dass unser Schulsystem kaputtgespart wird. Das Geld ist da, es wird nur falsch eingesetzt. Wir haben pro Schüler das zweitteuerste Bildungsniveau in der EU – mit einem Halbtagesbetrieb, mit 14 Wochen Ferien und Ergebnissen, die eingefroren sind: Noch immer kann jeder fünfte 15-Jährige nach neun Jahren Schule nicht sinnerfassend lesen und beherrscht die Grundrechnungsarten nicht.
Diskutiert wird darüber aber seit Langem. Man hat ja auch einiges gemacht: Man hat die Klassenschülerhöchstzahl gesenkt, was extrem teuer ist und völlig sinnlos, wenn man es flächendeckend und nicht gezielt nach einem Sozialindex macht. Man hat die Neue Mittelschule gegen jeden empirischen Befund eingeführt. Die Bildungsstandards, die Zentralmatura, ein neues Lehrerdienstrecht: Man hat viele Maßnahmen gesetzt – ist aber immer davor zurückgeschreckt, die entscheidenden Tabus anzugehen.
Und was sind diese Tabus? Das erste: Wir müssten massiv in den Kindergarten investieren, wo man mit geringem Aufwand Nachteile ausgleichen kann. Genau dort sind wir aber dramatisch schlecht: Während die Klassen in der Oberstufe zu klein und damit zu teuer sind, haben wir viel zu große Kindergartengruppen. Ich war immer für ein zweites Kindergartenjahr. Aber wenn eine Pädagogin und eine Hilfskraft auf 21 Kinder kommen, bringt das nichts.
Dass der Kindergarten sehr wichtig ist, ist ja schon Konsens. Warum passiert nichts? Die Länder und Gemeinden wehren sich mit Händen und Füßen dagegen, dass die Elementarpädagoginnen aufgewertet werden, denn dann müssten sie mehr zahlen. Die Gruppengrößen zu verkleinern kostet auch eine Menge Geld. Es wurde immer wieder in Regierungsprogramme hineingeschrieben, aber nie gemacht. Da geht es um Geld, um Macht, um Einfluss. Beim vorigen Regierungsprogramm haben Sie ja sogar mitverhandelt. Zufrieden? Abgesehen von den Ziffernnoten für die erste Klasse stand in weiten Bereichen das Richtige drin. Aber ich sage offen: Bei den Kindergärten hätte ich mir mehr erwartet. Das ist wahnsinnig mühsam. Und bei der verpflichtenden Lehrerfortbildung ist nichts passiert. Mehr noch: Die schulautonomen Tage wurden zu Herbstferien. Dabei waren die für Schulentwicklung gedacht.
Die Lehrer haben sich immer wieder von Ihnen angegriffen gefühlt . . . Ich kritisiere die Blockadehaltung der Gewerkschaft, nie die Lehrer generell. Die meisten versuchen, gegen ein begabungsfeindliches 50-Minuten-System ihr Bestes zu geben. Aber mit dem Berufsbild, das wir haben, ist es nicht möglich, ins 21. Jahrhundert zu kommen. Die wenigen Länder, die es gut machen, schaffen es, dass der Beruf einer der drei attraktivsten für junge Menschen ist. Man muss sie gezielt auswählen, praxisorientiert ausbilden und regelmäßig fortbilden.
Was muss man noch angehen? Um ganztägige Schulen kommen wir nicht herum. Einerseits für die Bildungsfernen, dort brauchen wir es am dringendsten, weil die Eltern nicht mit dem Kind lernen können oder wollen. Aber auch die besten und teuersten Privatschulen sind natürlich ganztägig. Wir brauchen dringend flächendeckend ganztägige, verschränkte Schulen.
Das will aber nicht jeder. Die bildungsaffinen Eltern, insbesondere berufstätige Frauen, wollen das sehr wohl und beklagen sich zu Recht darüber, dass nur acht Prozent der Klassen ganztägig und verschränkt angeboten werden. Manche Eltern im ländlichen Bereich wollen sich selbst um ihre Kinder kümmern. Den bildungsfernen Eltern fehlt oft das Bewusstsein dafür, dass Kinder ihr Leben durch Bildung positiv beeinflussen können.
Wie blicken Sie in die Zukunft? Wenn man diese Tabus nicht angeht – Kindergarten, zeitgemäßes Lehrerbild und ganztägige Schulen –, darf man sich nicht wundern, wenn das System immer teurer, aber nicht besser wird. Dabei sind die Herausforderungen gewaltig.