„Sollten Kunden entscheiden lassen“
Rewe-Chef Marcel Haraszti ärgert sich: über starre Öffnungszeiten, abgeschobene Lehrlinge und Schnellschüsse wie das Plastiksackerlverbot. „Es wäre gut, wenn sich die Politik Rat holte“, sagt er.
Die Presse: Sie fordern längere Öffnungszeiten – und sind damit unter den großen Supermarktketten allein. Finden Sie dennoch Gehör? Marcel Haraszti: Von unserer Seite gibt es Gesprächsbereitschaft, von der anderen nicht. Es ist traurig, dass wir das älteste Öffnungszeitengesetz Europas mit elf Jahren haben. Wir haben Pendler und junge Menschen, die sehr viel online kaufen. Man muss sich nach den Kunden richten, nicht nach den Kammern oder nach Leuten, die Altes bewahren wollen.
Die sitzen in den Kammern? Ich finde, dass die Wirtschaftskammer hier keine sehr zukunftsorientierte Denke hat. Sie vertritt den stationären Handel und macht sich Sorgen, dass der Onlinehandel immer stärker wird. Aber der wird nicht stärker, weil er online ist, sondern weil er kundenorientiert ist. „Wir rütteln nicht an den Öffnungszeiten“zu sagen ist extrem falsch. Das schützt zwar die kleinen Händler vor den großen Händlern. Aber das ist, als ob man das kleine Schaf vor dem großen Schaf schützte und dann kommt der große böse Wolf und frisst uns alle.
Der Druck ist bei Ihren Konkurrenten offenbar nicht so groß. Aktuell haben auch wir keinen Druck. Aber wir müssen in die Zukunft schauen. Die kleinen Händler vor dem Mitbewerb zu schützen hat langfristig nie funktioniert. Die müssen eher überlegen, was sie tun, um besser zu werden. Überall, wo man etwas schützt, gibt es keinen Druck der Veränderung. Wir müssen uns etwas einfallen lassen, sonst haben wir Straßen ohne Geschäfte und überall Abholstationen.
Österreich liegt bei der Zahl der Supermärkte im europäischen Spitzenfeld. So schnell werden sie nicht verschwinden. Aber dadurch gibt es einen noch größeren Druck zu handeln. Es ist fragil, weil die Dichte so hoch ist. Und es ist eigentlich bizarr: Will jemand nach den Öffnungszeiten Essen einkaufen, kann er das – er bestellt es beim Lieferdienst, er geht in ein Lokal, er geht zur Tankstelle oder zum Bahnhof. Da fehlt mir der Blick in die Zukunft.
Apropos limitierende Faktoren: Wie viel mehr Mitarbeiter könnten Sie brauchen? Wir haben 3000 vakante Positionen. Vor allem in den Filialen, aber auch in der Logistik. Wir schaffen jedes Jahr rund tausend neue Arbeitsplätze, wir haben aber eine sehr hohe Fluktuation und zu wenige Lehrlinge. Zurzeit haben wir etwa 1800, wir würden die Zahl gern verdoppeln. Ich glaube, dass wir die duale Ausbildung attraktiver machen sollten. Lehrlinge sind die Führungskräfte der Zukunft. Aber das Image des Lebensmittelhandels ist verbesserungswürdig.
Wie wollen Sie das ändern? Wir müssen richtig kommunizieren, wie Karriere im Handel möglich ist und die Tür noch weiter öffnen für Menschen über 50 und Frauen nach der Karenz. Wir müssen flexibler werden.
Sie unterstützen die Petition des grünen Landesrats Rudi Anschober „Ausbildung statt Abschiebung“. Asylwerber sollen jedenfalls in der Lehre bleiben dürfen? Ja, total. Das sind Menschen, die sich perfekt integriert haben. Die sind bei uns im Team extrem gut aufgenommen worden.
Wie viele haben Sie bei Rewe? Fünfzig. Und man muss sagen, alle diese Menschen, die einen Schicksalsschlag hatten, haben eine hohe Motivation. Unser Personalchef sagt, sie sind überdurchschnittlich erfolgreich.
Vor zwei Wochen lenkte ÖVPChef Sebastian Kurz ein: Während der Lehre soll niemand abgeschoben werden. Was erwarten Sie von der nächsten Regierung? Ich weiß nicht, wie sie ausschauen wird.
Aber wenn Sie sich als größter Lebensmittelhändler etwas wünschen dürften, was wäre es? Das, was wir und viele Unternehmen gefordert haben: Diese Menschen brauchen die Sicherheit, ihre Ausbildung bei uns abzuschließen. Wenn wir über Fachkräftemangel sprechen, sollten wir uns überlegen, was der Wirtschaft guttut und was darüber hinaus der Gesellschaft guttut. Wenn Menschen, die zu uns kommen, eine Ausbildung beginnen und dadurch schnell die Sprache lernen und sich gut integrieren können, da würde ich mir wünschen, dass solche Menschen auch eine Chance bekommen.
Auch nach der Lehrzeit? Ja, das würde ich mir auch wünschen.
Wenn wir bei Politik sind: Als Händler ist man oft deren Adressat – egal, ob bei Plastiksackerln, Zucker oder Palmöl. Das nervt. Es beginnt immer mit: „Der Handel muss, der Handel muss.“Wir müssen immer hinhalten, auch für Entscheidungen, die mit uns nicht besprochen werden. Wir könnten Input bringen, weil wir mehr Ahnung von unserer Materie haben als die Politik.
Beispielweise? Beispielweise beim Thema Plastikverbot. Das ist ja gut, und wir gehen in Vorleistung mit dem Knotenbeutel, den wir am Nationalfeiertag komplett verabschieden. Wir machen uns aber auch Gedanken darüber, dass man nicht Mist durch Mist ersetzt. Da gibt es viele Experten, bei uns wie bei anderen Unternehmen, und da wäre es gut, wenn sich die Politik Rat holte.
Bis jetzt tat sie das nicht? Der Handel wird oft vor vollendete Tatsachen gestellt. Das liegt daran, dass die Politik den Irrglauben hat, dass Maßnahmen im Handel schnell beim Kunden ankommen. Es kann nicht sein, dass uns alle Entscheidungen Geld kosten und wir sie mittragen müssen, wo die Margen im Handel sehr klein sind.
Was hat Sie das Plastiksackerlverbot gekostet? Unser neues Ökosackerl, das aus Kartoffelstärke und abbaubarem Kunststoff besteht, testen wir für drei Cent in mehreren Märkten in der Obst- und Gemüseabteilung. Das finden wir fair.
Daran verdienen Sie? Nein, das ist selbstkostendeckend.
Wo beginnt für Sie die Mündigkeit des Konsumenten? Man muss dem Kunden immer die Entscheidung lassen. Wir sind dagegen, mit erhobenem Zeigefinger zu sagen, was er machen soll. Ich glaube beim Plastiksackerl ist es gut, wenn wir darauf verzichten. Das ist unser gemeinschaftlicher Beitrag für die Umwelt. Aber wenn wir über Palmölfreiheit reden: Da ist es die Entscheidung von jedem Einzelnen, welches Produkt er kauft, und ich bin dafür, das beizubehalten. Das Gleiche gilt bei Zucker. Man muss selbst schauen, in welchen Mengen man konsumiert, das sagt einem meistens der Körper.
leitet seit 2017 die Handelskette Rewe (Billa, Merkur, Adeg) in Österreich mit 44.000 Mitarbeitern. Der Wiener mit ungarischen Wurzeln beendete dafür sein „Nomadentum“bei mehreren europäischen Rewe-Töchtern.