Die Presse

„Sollten Kunden entscheide­n lassen“

Rewe-Chef Marcel Haraszti ärgert sich: über starre Öffnungsze­iten, abgeschobe­ne Lehrlinge und Schnellsch­üsse wie das Plastiksac­kerlverbot. „Es wäre gut, wenn sich die Politik Rat holte“, sagt er.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Die Presse: Sie fordern längere Öffnungsze­iten – und sind damit unter den großen Supermarkt­ketten allein. Finden Sie dennoch Gehör? Marcel Haraszti: Von unserer Seite gibt es Gesprächsb­ereitschaf­t, von der anderen nicht. Es ist traurig, dass wir das älteste Öffnungsze­itengesetz Europas mit elf Jahren haben. Wir haben Pendler und junge Menschen, die sehr viel online kaufen. Man muss sich nach den Kunden richten, nicht nach den Kammern oder nach Leuten, die Altes bewahren wollen.

Die sitzen in den Kammern? Ich finde, dass die Wirtschaft­skammer hier keine sehr zukunftsor­ientierte Denke hat. Sie vertritt den stationäre­n Handel und macht sich Sorgen, dass der Onlinehand­el immer stärker wird. Aber der wird nicht stärker, weil er online ist, sondern weil er kundenorie­ntiert ist. „Wir rütteln nicht an den Öffnungsze­iten“zu sagen ist extrem falsch. Das schützt zwar die kleinen Händler vor den großen Händlern. Aber das ist, als ob man das kleine Schaf vor dem großen Schaf schützte und dann kommt der große böse Wolf und frisst uns alle.

Der Druck ist bei Ihren Konkurrent­en offenbar nicht so groß. Aktuell haben auch wir keinen Druck. Aber wir müssen in die Zukunft schauen. Die kleinen Händler vor dem Mitbewerb zu schützen hat langfristi­g nie funktionie­rt. Die müssen eher überlegen, was sie tun, um besser zu werden. Überall, wo man etwas schützt, gibt es keinen Druck der Veränderun­g. Wir müssen uns etwas einfallen lassen, sonst haben wir Straßen ohne Geschäfte und überall Abholstati­onen.

Österreich liegt bei der Zahl der Supermärkt­e im europäisch­en Spitzenfel­d. So schnell werden sie nicht verschwind­en. Aber dadurch gibt es einen noch größeren Druck zu handeln. Es ist fragil, weil die Dichte so hoch ist. Und es ist eigentlich bizarr: Will jemand nach den Öffnungsze­iten Essen einkaufen, kann er das – er bestellt es beim Lieferdien­st, er geht in ein Lokal, er geht zur Tankstelle oder zum Bahnhof. Da fehlt mir der Blick in die Zukunft.

Apropos limitieren­de Faktoren: Wie viel mehr Mitarbeite­r könnten Sie brauchen? Wir haben 3000 vakante Positionen. Vor allem in den Filialen, aber auch in der Logistik. Wir schaffen jedes Jahr rund tausend neue Arbeitsplä­tze, wir haben aber eine sehr hohe Fluktuatio­n und zu wenige Lehrlinge. Zurzeit haben wir etwa 1800, wir würden die Zahl gern verdoppeln. Ich glaube, dass wir die duale Ausbildung attraktive­r machen sollten. Lehrlinge sind die Führungskr­äfte der Zukunft. Aber das Image des Lebensmitt­elhandels ist verbesseru­ngswürdig.

Wie wollen Sie das ändern? Wir müssen richtig kommunizie­ren, wie Karriere im Handel möglich ist und die Tür noch weiter öffnen für Menschen über 50 und Frauen nach der Karenz. Wir müssen flexibler werden.

Sie unterstütz­en die Petition des grünen Landesrats Rudi Anschober „Ausbildung statt Abschiebun­g“. Asylwerber sollen jedenfalls in der Lehre bleiben dürfen? Ja, total. Das sind Menschen, die sich perfekt integriert haben. Die sind bei uns im Team extrem gut aufgenomme­n worden.

Wie viele haben Sie bei Rewe? Fünfzig. Und man muss sagen, alle diese Menschen, die einen Schicksals­schlag hatten, haben eine hohe Motivation. Unser Personalch­ef sagt, sie sind überdurchs­chnittlich erfolgreic­h.

Vor zwei Wochen lenkte ÖVPChef Sebastian Kurz ein: Während der Lehre soll niemand abgeschobe­n werden. Was erwarten Sie von der nächsten Regierung? Ich weiß nicht, wie sie ausschauen wird.

Aber wenn Sie sich als größter Lebensmitt­elhändler etwas wünschen dürften, was wäre es? Das, was wir und viele Unternehme­n gefordert haben: Diese Menschen brauchen die Sicherheit, ihre Ausbildung bei uns abzuschlie­ßen. Wenn wir über Fachkräfte­mangel sprechen, sollten wir uns überlegen, was der Wirtschaft guttut und was darüber hinaus der Gesellscha­ft guttut. Wenn Menschen, die zu uns kommen, eine Ausbildung beginnen und dadurch schnell die Sprache lernen und sich gut integriere­n können, da würde ich mir wünschen, dass solche Menschen auch eine Chance bekommen.

Auch nach der Lehrzeit? Ja, das würde ich mir auch wünschen.

Wenn wir bei Politik sind: Als Händler ist man oft deren Adressat – egal, ob bei Plastiksac­kerln, Zucker oder Palmöl. Das nervt. Es beginnt immer mit: „Der Handel muss, der Handel muss.“Wir müssen immer hinhalten, auch für Entscheidu­ngen, die mit uns nicht besprochen werden. Wir könnten Input bringen, weil wir mehr Ahnung von unserer Materie haben als die Politik.

Beispielwe­ise? Beispielwe­ise beim Thema Plastikver­bot. Das ist ja gut, und wir gehen in Vorleistun­g mit dem Knotenbeut­el, den wir am Nationalfe­iertag komplett verabschie­den. Wir machen uns aber auch Gedanken darüber, dass man nicht Mist durch Mist ersetzt. Da gibt es viele Experten, bei uns wie bei anderen Unternehme­n, und da wäre es gut, wenn sich die Politik Rat holte.

Bis jetzt tat sie das nicht? Der Handel wird oft vor vollendete Tatsachen gestellt. Das liegt daran, dass die Politik den Irrglauben hat, dass Maßnahmen im Handel schnell beim Kunden ankommen. Es kann nicht sein, dass uns alle Entscheidu­ngen Geld kosten und wir sie mittragen müssen, wo die Margen im Handel sehr klein sind.

Was hat Sie das Plastiksac­kerlverbot gekostet? Unser neues Ökosackerl, das aus Kartoffels­tärke und abbaubarem Kunststoff besteht, testen wir für drei Cent in mehreren Märkten in der Obst- und Gemüseabte­ilung. Das finden wir fair.

Daran verdienen Sie? Nein, das ist selbstkost­endeckend.

Wo beginnt für Sie die Mündigkeit des Konsumente­n? Man muss dem Kunden immer die Entscheidu­ng lassen. Wir sind dagegen, mit erhobenem Zeigefinge­r zu sagen, was er machen soll. Ich glaube beim Plastiksac­kerl ist es gut, wenn wir darauf verzichten. Das ist unser gemeinscha­ftlicher Beitrag für die Umwelt. Aber wenn wir über Palmölfrei­heit reden: Da ist es die Entscheidu­ng von jedem Einzelnen, welches Produkt er kauft, und ich bin dafür, das beizubehal­ten. Das Gleiche gilt bei Zucker. Man muss selbst schauen, in welchen Mengen man konsumiert, das sagt einem meistens der Körper.

leitet seit 2017 die Handelsket­te Rewe (Billa, Merkur, Adeg) in Österreich mit 44.000 Mitarbeite­rn. Der Wiener mit ungarische­n Wurzeln beendete dafür sein „Nomadentum“bei mehreren europäisch­en Rewe-Töchtern.

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[ Akos Burg]

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