Die Presse

Wie darf man über dicke Körper auf der Bühne sprechen?

Ein Kritiker schrieb über „dicke Frauen“in der Salzburger „Orpheus“-Inszenieru­ng. Eine Sopranisti­n ist deshalb gekränkt. Zu Recht?

- VON THOMAS KRAMAR E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

Kritiker Brug sieht „eine PornoStere­otype: die immer könnende, voluminöse Weiblichke­it“.

Kann man das Wort „robust“in der Beschreibu­ng von Frauen als Verklausul­ierung für „dick“verstehen? Darüber haben wir im Feuilleton der „Presse“vor Kurzem anlässlich einer Kritik eines Popkonzert­s diskutiert. Ja, auch bei uns läuft die Debatte über das „Body-Shaming“, im Speziellen das „Fat-Shaming“: Wie weit darf man körperlich­e Aspekte eines Menschen beschreibe­n, die viele als unvorteilh­aft ansehen? Darf man einen Dicken dick nennen? Oder darf man ihn nur nicht fett nennen?

Manuel Brug, Musikkriti­ker der „Welt“, schrieb über die Salzburger Inszenieru­ng von Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“, dass in dieser „dicke Frauen in engen Korsetten in diversen Separees die Beine breitmache­n“. Sopranisti­n Kathryn Lewek, die die Eurydike gespielt und gesun

gen hat, fühlte sich dadurch beleidigt. Sie schrieb an die „Welt“-Chefredakt­ion: „Das ist das Werk eines faulen Chauvinist­en, der auf Schulterkl­opfen anderer Hooligans aus ist.“Und im „Guardian“erklärte sie: „Ich bin jetzt schwerer als je zuvor, da ich vor zehn Monaten ein Baby bekommen habe. Ich weiß, dass Oper sowohl eine akustische als auch eine optische Kunst ist, aber ich war wirklich erstaunt über das Body-Shaming.“Andere Kritiker hätten sie „buxom“(drall) genannt, mit diesem Wort beschreibe man sonst Pornostars, meint Lewek: „Das ist seltsam, und warum werden Frauenkörp­er überhaupt kommentier­t?“

„Der Satz zielte auf dicke Frauen als Prinzip der Inszenieru­ng“, schrieb Brug in einer langen Stellungna­hme in der „Welt“: „Mir gefiel das hier gezeigte Frauenbild nicht. Die Frauen, die sich dauerbegat­ten lassen, nur nicht von Gatten, das sind hier vorwiegend übergewich­tige Frauen, die als solche bloßgestel­lt werden.“Brug sieht in Koskys Inszenieru­ng – in der „Presse“dezent als „nicht gerade dezentes Revue-Spektakel“beschriebe­n – „natürlich auch eine Porno-Stereotype: die immer könnende, voluminöse Weiblichke­it, zwischen deren Schenkeln und Brüsten der Mann im Lustgrotte­n–Elysium versinkt.“Außerdem, so Brug, habe er nur „dick“geschriebe­n: „Ist ,drall‘ besser? Oder ,mollig‘, ,Rubensfigu­r‘, ,kompakt‘, ,korpulent‘, ,pfundig‘?“

Dieses Problem ist bekannt: Jeder Euphemismu­s, jede freundlich­e Umschreibu­ng wird mit der Zeit erkennbar – und schließlic­h als genauso beleidigen­d empfunden wie das ursprüngli­che, direkte Wort.

Doch genauso interessan­t ist ein offensicht­liches Missverstä­ndnis: Kritiker Brug hat über die Rollenfigu­r, wie er sie gesehen hat und versteht, geschriebe­n; die kritisiert­e Lewek spricht über sich selbst und ihre reale Figur. Tatsächlic­h erfordern manche Stücke und noch mehr Inszenieru­ngen, dass dicke Menschen dargestell­t werden. Ein Bühnen-Cäsar, der dicke Männer um sich sehen will, wird sich mit Mageren nicht zufrieden geben. Wäre in solchen Fällen ein Fat-suit, wie er derzeit gern zu komischen Effekten eingesetzt wird, der Ausweg? Dass Dicke nicht von Dicken dargestell­t werden, sondern von Schlanken, die sich als Dicke verkleiden?

Aber wen sollen dann Dicke spielen? (Oder dürfen nur die Rezensente­n gar nichts mehr über Leiblichke­it schreiben?) Vor allem aber könnte das eine andere Kritik provoziere­n. Besonders in den USA wurden Inszenieru­ngen beanstande­t, weil dunkelhäut­ige Rollenfigu­ren von hellhäutig­en Schauspiel­ern dargestell­t wurden. Mit ähnlicher Empfindlic­hkeit könnte man es als unangemess­en sehen, dass Dicke von Menschen gespielt werden, die nicht aus eigener Erfahrung wissen, wie es ist, dick zu sein.

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