Wie darf man über dicke Körper auf der Bühne sprechen?
Ein Kritiker schrieb über „dicke Frauen“in der Salzburger „Orpheus“-Inszenierung. Eine Sopranistin ist deshalb gekränkt. Zu Recht?
Kritiker Brug sieht „eine PornoStereotype: die immer könnende, voluminöse Weiblichkeit“.
Kann man das Wort „robust“in der Beschreibung von Frauen als Verklausulierung für „dick“verstehen? Darüber haben wir im Feuilleton der „Presse“vor Kurzem anlässlich einer Kritik eines Popkonzerts diskutiert. Ja, auch bei uns läuft die Debatte über das „Body-Shaming“, im Speziellen das „Fat-Shaming“: Wie weit darf man körperliche Aspekte eines Menschen beschreiben, die viele als unvorteilhaft ansehen? Darf man einen Dicken dick nennen? Oder darf man ihn nur nicht fett nennen?
Manuel Brug, Musikkritiker der „Welt“, schrieb über die Salzburger Inszenierung von Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“, dass in dieser „dicke Frauen in engen Korsetten in diversen Separees die Beine breitmachen“. Sopranistin Kathryn Lewek, die die Eurydike gespielt und gesun
gen hat, fühlte sich dadurch beleidigt. Sie schrieb an die „Welt“-Chefredaktion: „Das ist das Werk eines faulen Chauvinisten, der auf Schulterklopfen anderer Hooligans aus ist.“Und im „Guardian“erklärte sie: „Ich bin jetzt schwerer als je zuvor, da ich vor zehn Monaten ein Baby bekommen habe. Ich weiß, dass Oper sowohl eine akustische als auch eine optische Kunst ist, aber ich war wirklich erstaunt über das Body-Shaming.“Andere Kritiker hätten sie „buxom“(drall) genannt, mit diesem Wort beschreibe man sonst Pornostars, meint Lewek: „Das ist seltsam, und warum werden Frauenkörper überhaupt kommentiert?“
„Der Satz zielte auf dicke Frauen als Prinzip der Inszenierung“, schrieb Brug in einer langen Stellungnahme in der „Welt“: „Mir gefiel das hier gezeigte Frauenbild nicht. Die Frauen, die sich dauerbegatten lassen, nur nicht von Gatten, das sind hier vorwiegend übergewichtige Frauen, die als solche bloßgestellt werden.“Brug sieht in Koskys Inszenierung – in der „Presse“dezent als „nicht gerade dezentes Revue-Spektakel“beschrieben – „natürlich auch eine Porno-Stereotype: die immer könnende, voluminöse Weiblichkeit, zwischen deren Schenkeln und Brüsten der Mann im Lustgrotten–Elysium versinkt.“Außerdem, so Brug, habe er nur „dick“geschrieben: „Ist ,drall‘ besser? Oder ,mollig‘, ,Rubensfigur‘, ,kompakt‘, ,korpulent‘, ,pfundig‘?“
Dieses Problem ist bekannt: Jeder Euphemismus, jede freundliche Umschreibung wird mit der Zeit erkennbar – und schließlich als genauso beleidigend empfunden wie das ursprüngliche, direkte Wort.
Doch genauso interessant ist ein offensichtliches Missverständnis: Kritiker Brug hat über die Rollenfigur, wie er sie gesehen hat und versteht, geschrieben; die kritisierte Lewek spricht über sich selbst und ihre reale Figur. Tatsächlich erfordern manche Stücke und noch mehr Inszenierungen, dass dicke Menschen dargestellt werden. Ein Bühnen-Cäsar, der dicke Männer um sich sehen will, wird sich mit Mageren nicht zufrieden geben. Wäre in solchen Fällen ein Fat-suit, wie er derzeit gern zu komischen Effekten eingesetzt wird, der Ausweg? Dass Dicke nicht von Dicken dargestellt werden, sondern von Schlanken, die sich als Dicke verkleiden?
Aber wen sollen dann Dicke spielen? (Oder dürfen nur die Rezensenten gar nichts mehr über Leiblichkeit schreiben?) Vor allem aber könnte das eine andere Kritik provozieren. Besonders in den USA wurden Inszenierungen beanstandet, weil dunkelhäutige Rollenfiguren von hellhäutigen Schauspielern dargestellt wurden. Mit ähnlicher Empfindlichkeit könnte man es als unangemessen sehen, dass Dicke von Menschen gespielt werden, die nicht aus eigener Erfahrung wissen, wie es ist, dick zu sein.