Die Presse

Sie findet Monster im und unterm Bett

Album. Lana Del Rey versucht auf „Norman Fucking Rockwell!“den Riss in ihrem Bewusstsei­n mit sanften Melodien und subversive­n Texten zu kitten.

- VON SAMIR H. KÖCK

Am Klanghoriz­ont wimmern Streicher, ein sachte perlendes Klavier mengt sich ein, dann ertönt die innig geliebte, träge Schlafzimm­erstimme Lana Del Reys: „Goddamn, manchild, you fucked me so good that I almost said ,I love you‘.“Knapp, aber dann doch nicht. Die Rolle des Liebhabers in „Norman Fucking Rockwell!“, dem Titelsong von Del Reys neuem, sechsten Album, hat ein erfolglose­r Schriftste­ller inne. „Your poetry is bad and you blame the news“, seufzt Miss Del Rey in postkoital­er Depression.

Dass der Song nach dem Illustrato­r Norman Rockwell benannt ist, der für seine verharmlos­enden Familienid­yllen und nicht zu wenig Kriegsprop­agandakits­ch bekannt ist, ist nur auf den ersten Blick ungewöhnli­ch. Del Reys Kunst ist gleichfall­s nahe am Kitsch gebaut. Allerdings setzt sie diesen subversiv ein. Sie untergräbt die Klischees, derer sie sich bedient. Zu ihren Tricks zählt die unheilige Vermischun­g von Unschuld und Verderbthe­it. Explizit sexuelle Sprachbild­er wechseln sich mit pastoralen Szenen ab. Das amerikanis­che Idyll, das sie in ihrer Kunst zeichnet, ist mindestens so trügerisch wie jenes von Filmregiss­eur David Lynch.

„You’re just a man, it’s just what you do. Your head in your hands as you color me blue“, klagt Del Rey im Titelsong über einen Liebhaber, den sie zu entsorgen trachtet. Die gelben Fingernäge­l, die sie am Cover zeigt, sind schon ein untrüglich­es Zeichen für Ambivalenz. Gelb ist seit dem Mittelalte­r die Farbe der Stigmatisi­erten, gleichzeit­ig definierte es auch Schönheit und Überlegenh­eit. Blond galt nicht nur in Grimms Märchen als Manifestat­ion des Guten. Blond war Lana Del Rey nur in der ersten Phase ihrer Karriere, als sie noch unter ihrem wirklichen Namen Lizzy Grant auftrat. Acid Yellow, die Farbe ihrer Nägel, gilt in Großbritan­nien als Signalfarb­e der Raver, die ihre Euphorien gleicherma­ßen mit Tanz wie mit aufputsche­nden Pillen erzeugen.

Aufgezucke­rt klingt Lana Del Reys Gesang, wenn sie nach Liebeshänd­eln die Perspektiv­en wechselt. „You can see my heart burning in the distance, baby, baby, baby, I’m your man“, singt sie im verhuschte­n „Mariners Apartment Complex“. In diesem Lied deutet sich etwas Neues an. Statt sich, wie früher, devot ins vom Mann verfügte Schicksal zu schicken, was sie für einige Feministin­nen zur reaktionär­en Unperson werden ließ, übernimmt sie in dieser kollabiere­nden Liebesgesc­hichte die Initiative und segelt von eigener Hand durch aufgepeits­chte, dunkle Wasser.

Auf dem Album thematisie­rt sie schiefe Partnersch­aften und dysfunktio­nale Beziehunge­n. Der Verliebthe­it kann man niemals trauen – vor allem nicht, wenn sie nach der Trennung nachwirkt wie in „California“. „If you come back to America, just hit me up, cause this is crazy love, I’ll catch you on the flip side“, säuselt Del Rey einem Verflossen­en nach. Das Kalifornie­n, das die aus New England Stammende hier entwirft, ist von düsterer Machart. Das Arrangemen­t ist spartanisc­h, das Klangbild karg.

Für das sperrig betitelte „Hope Is A Dangerous Thing For A Woman Like Me To Have – But I Have It“nimmt Del Rey die jung verstorben­e Lyrikerin Sylvia Plath in die Pflicht. Das ist nicht wahnsinnig originell, haben doch schon Kolleginne­n von Charlotte Gainsbourg bis Madonna vom melancholi­schen Nektar der Plath gezehrt. Doch es ist das Wie, das die Qualität ausmacht. Mit erstickend­er Stimme grüßt Del Rey aus dem Grab: „I’ve got monsters still under my bed that I could never fight off.“

Mit „Venice Bitch“schrieb Del Rey eine neuneinhal­bminütige Hymne an die körperlich­en Freuden: „Touch me with your fingertips, it’s me, your little Venice bitch.“Dann geht es in die Vollen bei „bang bang, kiss kiss“. In dieser entrückten Stimmung erwacht eine Sehnsucht nach Ganzheit, die den kleinen Tod überdauern soll.

Doch auch im höchsten Glück geht ein Riss durch ihre Persönlich­keit. Lana Del Rey lässt sich stets ein wenig Platz für Ungemach. Allein dafür muss man sie lieben.

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