Die Presse

Wir kennen die Urheber des Ibiza-Skandals längst!

Ist die Aufdeckung der Drahtziehe­r wichtiger als der Inhalt des Ibiza-Videos? Nein, in Wirklichke­it müssen wir ihnen dankbar sein.

- VON MARTIN AMANSHAUSE­R E-Mails an: debatte@diepresse.com

Hans-Peter Siebenhaar, Wien-Korrespond­ent des deutschen „Handelsbla­tts“, gilt als kritischer Österreich-Experte. Mit „Die zerrissene Republik“legte er 2017 ein Sittenbild unseres Kleinstaat­s vor. Sein Außenblick brachte da interessan­te Einsichten – umso mehr verwundert sein monothemat­ischer „Presse“-Gastkommen­tar „ Ibiza-Affäre: Was bisher fehlt, ist Transparen­z“am Samstag (31. 9.).

Die titelgeben­de These ähnelt einem politische­n Appell. Für Siebenhaar verfügen die Österreich­er am 29. September offenbar nur dann über „ausreichen­des Wissen“für den Gang zur Urne, wenn die Hintergrün­de des Videos hastig aufgedeckt und die Ermittlung­en laufend transparen­t gemacht würden. Der derzeit halb aufgeklärt­e Zustand könne „zu einem verzerrten Wahlergebn­is führen“.

Wieso eigentlich? Jeder Fokus auf die Enthüllung der Drahtziehe­r lenkt primär vom Skandal ab, der ja kein juristisch­er ist, sondern ein politisch-moralische­r: Zwei vermeintli­che Saubermänn­er verhandeln hartnäckig über schmutzige Geschäfte, die ihnen und ihrer Partei Vorteile bringen und die den von ihnen oft beschworen­en „kleinen Mann“sichtlich schädigen würden. Welche Vorteile wir von überhastet ausgeplaud­erten Teilergebn­issen hätten, verrät Siebenhaar nicht. Dringend will er „die Urheber des Skandals“kennen. Doch die kennen wir längst: Es sind HeinzChris­tian Strache und Johann Gudenus.

Zudem liegt in der Natur der Sache, dass Ermittler unabhängig ermitteln. Solange sie das tun, entscheide­n sie, und nur sie, welche Details die Öffentlich­keit erfährt. Man möchte dem Kommentato­r zurufen: Relax, honey, die Drahtziehe­r werden profession­ell gesucht und verlässlic­h gefunden! Dafür existieren Behörden, deren Methoden ich als Staatsbürg­er vertraue und denen solche Aufklärung­en sogar Spaß machen. Der Spaß endet jedoch bei Siebenhaar­s Überbetonu­ng der „Falle“, die zwei Politikern gestellt wurde.

Falle hin oder her – Strache/ Gudenus sprachen auf Ibiza exakt so, wie man das mutmaßen durfte. Sie ließen exakt jenen Grad an Käuflichke­it erkennen, der dem weltweiten Gebaren rechtspopu­listischer bis rechtsextr­emer Politiker entspricht. Nichts davon überrascht­e – vorher fehlten lediglich Beweise und Dokumente. Und das Ibiza-Video ist als Dokument nun einmal um einiges unbestechl­icher als seine Protagonis­ten. Deshalb sollte man jenen, die „die Falle“stellten, dankbar sein, selbst wenn sie unlautere Gründe (Geldbescha­ffung, Erpressung) hatten. Neben dem skrupellos­en Unterfange­n, das es war, wurde Ibiza vor allem zu einem tollen Service an der österreich­ischen Öffentlich­keit.

Die Fragen, die Siebenhaar interessie­ren, wirken wie aus einer FPÖ-Aussendung: „Wer hatte ein Interesse daran, die rechtskons­ervative Koalition zu stürzen? Wer wollte Strache und Gudenus politisch vernichten?“Was denn, wenn gar niemand sie „vernichten“wollte, sondern entweder (a) sie erpressbar machen oder (b) der Öffentlich­keit zeigen, nach welchen Mustern Rechtsextr­eme agieren? Natürlich ist (a) unglamourö­s – doch in den Auswirkung­en gleichwert­ig mit (b).

Wer möchte ernsthaft argumentie­ren, Ibiza wäre uns allen besser erspart geblieben?

Das Video strahlt ja gerade so hell über die Grenzen, weil es Strukturel­les aufzeigt. Man muss nur ans Umfeld von Salvini, Or(* 1968 in Salzburg, lebt in Wien) Autor, Historiker, Reisejourn­alist; im Verlag Kremayr & Scheriau erschienen zuletzt „Die Amerikafal­le oder: Wie ich lernte, die Weltmacht zu lieben“(2018) und „Es ist unangenehm im Sonnensyst­em“(2019); Er schreibt eine fixe Kolumne im „Schaufenst­er“, der Freitagsbe­ilage der „Presse“. Mehr Infos: ban´ oder Putin denken – nach Ibiza weiß man, wie solche Leute in solchen Situatione­n sprechen, fabulieren und schachern. Deshalb sind die Ausreden der Darsteller (Alkohol, K.-o.-Tropfen) auch derart amüsant.

Denn wir begegnen ihnen im Video zwar „nur“privat, aber doch in einer triumphal-besessenen Begeisteru­ng über sich und ihre Schlauheit. Nicht im Geringsten sind Strache/Gudenus „nicht sie selbst“, nein, schärfer hätte sie niemand abbilden können. Sie spielten die beste Rolle ihres Lebens – die authentisc­hste – rührend ehrlich bis hinunter zu den Zehennägel­n. Im Vergleich damit wirkt ihre offizielle Fassade („des woar jo ned i“) seit Ibiza pinocchioh­aft und lässt einen auch ihre Parteikame­raden, speziell den säuselnd-lieben Brillenbär­en Norbert Hofer, anders wahrnehmen.

„Wem wurden die Ibiza-Aufnahmen (. . .) angeboten?“, fragt Siebenhaar weiter. Na, wem schon? Okay, dem Haselstein­er. Mich als Verkäufer würde der erste Weg zu den Mitbewerbe­rn führen. Und jeder, der auch nur eine vage Ahnung davon hat, wie Politik funktionie­rt, weiß, dass Gerüchte in dieser Branche selten länger als eine Nanosekund­e geheim bleiben. Führungskr­äfte der drei großen Parteien schwören heilig und unglaubwür­dig, dass sie vom Video fast zum gleichen Zeitpunkt wie „die Österreich­er“erfuhren – besonders ungeschick­t wirkte da, wie der Kanzler diese Info unaufgefor­dert in seine Koalitions­bruch-Rede einflocht. In Wirklichke­it scheinen schon 2017 alle davon gewusst zu haben, pikanterwe­ise, bevor Kurz mit Strache die Koalition ausverhand­elte. Niederschm­etternd, dass alle es abstreiten, spaßig hingegen die offensive Panik der Ertappten bei den regelmäßig­en Aufdeckung­en ihrer Geschäfte. Sobald die Siebenhaar’sche Forderung der Totalaufde­ckung erfüllt sein wird, folgt unweigerli­ch die Blamage. Eh egal? Nein, denn leider wird es auch eine Blamage der Demokratie sein.

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