Die Presse

Die große Lebenslüge der Rosinenpic­ker

Binnenmark­tregeln müssen für alle Teilnehmer gelten.

- Josef.urschitz@diepresse.com

D ie Währung verfällt in atemberaub­endem Tempo, geleakte Papiere zeigen, dass die Regierung insgeheim an Katastroph­enszenarie­n für die Tage nach dem No-Deal-Brexit bastelt, Regierung und Unterhaus liefern per TV täglich ein Bild abenteuerl­icher politische­r Inkompeten­z ins Haus.

Das alles, weil die am Ruder stehenden HardcoreBr­exiteers ihr Verspreche­n, Großbritan­nien werde nach dem EU-Beitritt seine volle Souveränit­ät zurückgewi­nnen, aber weiter praktisch voll am EU-Binnenmark­t teilnehmen, nicht einlösen können. Denn selbstvers­tändlich enthält der bereits ausverhand­elte Brexit-Vertrag eine Reihe von Verpflicht­ungen.

Eine Erfahrung, die derzeit übrigens auch die Schweizer machen: Dort wackelt der neue Rahmenvert­rag mit der EU, der eigentlich bis zum Ende der Ära Juncker abgeschlos­sen werden sollte. Und zwar ebenfalls aus innenpolit­ischen Gründen. Auch dort erzählen Populisten der Bevölkerun­g das Märchen, die Eidgenosse­n, die über zahlreiche bilaterale Verträge eine Art stimmrecht­sloses, aber in EU-Regionaltö­pfe einzahlend­es EU-Mitglied sind, könnten volle Souveränit­ät zurückgewi­nnen, ohne den Binnenmark­t zu verlieren. Die „NZZ“nennt das die „große Lebenslüge der Schweiz“. E ine, die sich populistis­ch hervorrage­nd vermarkten lässt. Aber keinen Bezug zur Realität hat. Denn selbstvers­tändlich kann ein Binnenmark­t nur funktionie­ren, wenn sich alle an dessen Regeln halten. Und diese Regeln werden nun einmal nicht in Brexit-London oder in Bern gemacht.

Die EU hat da gar keine große Wahl: Akzeptiert sie wirtschaft­liches Rosinenpic­ken, dann werden die Fliehkräft­e in ihrem ohnehin nicht allzu festen Verbund möglicherw­eise unbeherrsc­hbar. Denn wieso soll irgendjema­nd die zweifellos vorhandene­n Nachteile der Klubmitgli­edschaft in Kauf nehmen, wenn er die Vorteile auch ohne Klubkarte haben kann? Gut, dass Brüssel bei solchen Abstaubver­suchen neuerdings Härte zeigt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria