Die große Lebenslüge der Rosinenpicker
Binnenmarktregeln müssen für alle Teilnehmer gelten.
D ie Währung verfällt in atemberaubendem Tempo, geleakte Papiere zeigen, dass die Regierung insgeheim an Katastrophenszenarien für die Tage nach dem No-Deal-Brexit bastelt, Regierung und Unterhaus liefern per TV täglich ein Bild abenteuerlicher politischer Inkompetenz ins Haus.
Das alles, weil die am Ruder stehenden HardcoreBrexiteers ihr Versprechen, Großbritannien werde nach dem EU-Beitritt seine volle Souveränität zurückgewinnen, aber weiter praktisch voll am EU-Binnenmarkt teilnehmen, nicht einlösen können. Denn selbstverständlich enthält der bereits ausverhandelte Brexit-Vertrag eine Reihe von Verpflichtungen.
Eine Erfahrung, die derzeit übrigens auch die Schweizer machen: Dort wackelt der neue Rahmenvertrag mit der EU, der eigentlich bis zum Ende der Ära Juncker abgeschlossen werden sollte. Und zwar ebenfalls aus innenpolitischen Gründen. Auch dort erzählen Populisten der Bevölkerung das Märchen, die Eidgenossen, die über zahlreiche bilaterale Verträge eine Art stimmrechtsloses, aber in EU-Regionaltöpfe einzahlendes EU-Mitglied sind, könnten volle Souveränität zurückgewinnen, ohne den Binnenmarkt zu verlieren. Die „NZZ“nennt das die „große Lebenslüge der Schweiz“. E ine, die sich populistisch hervorragend vermarkten lässt. Aber keinen Bezug zur Realität hat. Denn selbstverständlich kann ein Binnenmarkt nur funktionieren, wenn sich alle an dessen Regeln halten. Und diese Regeln werden nun einmal nicht in Brexit-London oder in Bern gemacht.
Die EU hat da gar keine große Wahl: Akzeptiert sie wirtschaftliches Rosinenpicken, dann werden die Fliehkräfte in ihrem ohnehin nicht allzu festen Verbund möglicherweise unbeherrschbar. Denn wieso soll irgendjemand die zweifellos vorhandenen Nachteile der Klubmitgliedschaft in Kauf nehmen, wenn er die Vorteile auch ohne Klubkarte haben kann? Gut, dass Brüssel bei solchen Abstaubversuchen neuerdings Härte zeigt.