Die Presse

Nur „Kümmerer“haben noch die Chance, Wahlen zu gewinnen

Von Sachsen und Brandenbur­g ergeht auch eine Mahnung an Österreich, die Reformen fortzusetz­en. Ohne eine erneuerte VP-FP-Koalition wird das nicht gehen.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Karl-Peter Schwarz war langjährig­er Auslandsko­rresponden­t der „Presse“und der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“in Mittel- und Südosteuro­pa. Jetzt ist er freier Journalist und Autor (kairos.blog).

Das politische Vokabular der Deutschen ist seit dem Wahlsonnta­g um ein Wort reicher geworden: „Kümmerer“. Damit sind Politiker gemeint, die nicht über die Leute reden, sondern ihnen zuhören, die sich ihrer Sorgen annehmen, die sich um sie „kümmern“.

Die „Süddeutsch­e Zeitung“(SZ) erklärte in einem Kommentar den Geradenoch-Sieg des Sachsen Michael Kretschmer ( CDU) und des Brandenbur­gers Dietmar Woidke (SPD) damit, dass sie sich im Endspurt des Wahlkampfe­s als „Kümmerer“präsentier­t hätten: „Sie gingen und fuhren und reisten durchs Land als Kümmerer, die sich jeder Debatte und jeder Kritik stellten. Aus Ministerpr­äsidenten wurden Oberbürger­meister, mit wenig Partei, viel Person und jeder Menge konkreter Fragen. Das ist es, was die Wähler goutieren.“Die „SZ“wäre nicht die Zeitung, die sie ist, wenn sie nicht hinzugefüg­t hätte: Dies sei es, „was die beiden Politiker am deutlichst­en von den rechten Populisten abgrenzt, die vor allem eines können: alles schlechtma­chen“.

In Wirklichke­it bestätigt das Lob der beiden „Kümmerer“, was die AfD dem Parteienka­rtell der Merkel-Koalition und der Links-grün-Opposition seit Jahren vorwirft: dass ihre Politiker nicht den Bürgern zuhören und sich ihrer Anliegen annehmen, sondern sich, Verständni­s heuchelnd, in einem politische­n Parallelun­iversum selbst bespiegeln.

Ein Beispiel dafür war Anne Wills Talkshow am Sonntagabe­nd nach der Veröffentl­ichung der Wahlergebn­isse. Die eingeladen­en Politiker des Parteienka­rtells schafften es tatsächlic­h, über ihre katastroph­alen Verluste und die riesigen Gewinne der AfD zu reden, ohne auch nur ein einziges der Probleme anzusprech­en, die den Deutschen unter den Nägeln brennen. Und alle taten, als wüssten sie nicht Bescheid über den Elefanten im Raum – die Asylpoliti­k der Regierung Merkel, die den rasanten Aufstieg der Rechtspart­ei überhaupt erst möglich machte.

Die Erfahrung der Distanz zwischen den beiden Welten – der realen der Bürger auf der einen, der irrealen der Parteien auf der anderen – ist auch den Österreich­ern nicht fremd. Schließlic­h ist es nicht allzu lang her, dass wir von einer abgehobene­n großen Koalition regiert wurden, die nicht einmal bereit war, über die Risken der Massenmigr­ation ernsthaft nachzudenk­en. Anders als in Deutschlan­d ist es hier jedoch gelungen, den Kurs zu ändern. Zu diesem Erfolg hat vieles beigetrage­n. Eines aber ganz sicher: Ohne Kurz und die türkise ÖVP, und ohne die Zusammenar­beit zwischen ÖVP und FPÖ, hätten wir immer noch Zustände wie in Deutschlan­d.

Kurz hat den meisten anderen Politikern voraus, dass er gut zuhören kann und keine vorgefasst­en Meinungen hat. Er war immer schon ein „Kümmerer“. In ihrer sehr lesenswert­en Biografie („Sebastian Kurz“, Finanzbuch­verlag, 2019), die in diesen Tagen in die Buchhandlu­ngen kommt, erinnert Judith Grohmann daran, wie Kurz am Beginn seiner Karriere noch als „Unterhaltu­ngskünstle­r“und „Profilieru­ngsneuroti­ker“bespöttelt wurde: „Er sei damals auf der Straße sogar angespuckt worden, erzählt Kurz heute. Fast hätte er alles hingeworfe­n.“Hat er aber nicht. Er hat weitergema­cht, ohne sich um den ORF, die linksdrehe­nden Medien oder gar um den Mob zu scheren, der sich in den sozialen Medien austobt.

Die große Mehrheit der Österreich­er hat es enorm geschätzt, dass sich die türkis-blaue Regierung auf die Arbeit konzentrie­rte und interne Konflikte lange Zeit nicht in aller Öffentlich­keit austrug. In weniger als zwei Jahren konnte jedoch nicht mehr erreicht werden, als erste Reformen in Gang zu setzen. Es liegt im Interesse des Landes, dass diese Politik fortgesetz­t wird. Mit den Sozialdemo­kraten, den Grünen oder den nach links driftenden Neos wird das nicht gehen. Letztlich führt an der FPÖ kein Weg vorbei. Damit wird sich die ÖVP abfinden müssen, wenn sie auf der Überholspu­r bleiben möchte.

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VON KARL-PETER SCHWARZ

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