Die Presse

Im Netzwerk de ÖVP

Angriff. Hacker sollen Daten aus dem ÖVP-Computersy­stem gestohlen und an die Öffentlich­keit gespielt haben. Die Täter sind unbekannt, ihre Tricks nicht. Zumindest im Ausland.

- VON RAINER NOWAK, IRIS BONAVIDA UND MANUEL REINARTZ

Wien. War es eine gezielte Fehlinform­ation, ein Maulwurf oder ein unglücklic­her Mitarbeite­r? Zwei Mal wurden in der vergangene­n Woche angebliche interne Daten aus der ÖVP-Zentrale der Öffentlich­keit zugespielt. Immer anonym und immer mit politisch heiklem Material. Die Volksparte­i suchte nach einer undichten Stelle – und wurde laut eigenen Angaben nicht bei ihrem Personal, sondern im Cyberberei­ch fündig: Seit mehreren Wochen sollen Hacker Zugang zum internen Netzwerk der Partei gehabt haben – mit Folgen.

Der Angriff

Je früher der Termin, desto brisanter der versproche­ne Inhalt: Kurzfristi­g um acht Uhr früh lud Parteichef Sebastian Kurz am Donnerstag zu einer Pressekonf­erenz. Und er berichtete, wie er es selbst nannte, von einer „neuen Dimension“der politische­n Manipulati­on. Denn „es gab einen sehr gezielten Hackerangr­iff auf die ÖVP“, sagte er. Und damit „den klaren Versuch, den Wahlkampf und die Wahl zu beeinfluss­en“. Ein Teil der gestohlene­n Daten wurde laut Kurz auch verfälscht, bevor er dem „Falter“weitergege­ben wurde. Internatio­nal sind solche Angriffe zwar keine Neuigkeit – für den österreich­ischen Wahlkampf allerdings schon. Die Staatsanwa­ltschaft Wien ermittelt nun wegen des Verdachts des widerrecht­lichen Zugriffs auf ein Computersy­stem sowie der Datenbesch­ädigung.

Ende August hat die ÖVP die Unternehme­n SEC Consult und Cybertrap damit beauftragt, ein mögliches Leck zu überprüfen. Sie sollten auch der Frage nachgehen, ob die Angreifer in- oder ausländisc­he Nachrichte­ndienste sein könnten. Ihr Fazit: Ausschließ­en könne man das nicht. Mehr Details gab es nicht. „Wir wollen nicht den Ermittlung­en der zuständige­n Behörden vorgreifen“, sagte Kurz.

Der Vorgang

Cybertrap-Chef Avi Kravitz erklärte am Donnerstag die ihm bisher bekannte Arbeitswei­se der Hacker. Demnach gab es am 27. Juli den ersten erfolgreic­hen Angriff auf einen Server der ÖVP. Durch den „hoch privilegie­rten Benutzerac­count“eines Mitarbeite­rs schafften es die Täter ins System. Über einen Webserver hatten sie später Zugriff auf das interne Netzwerk. Am 11. August konnten die Hacker laut Kravitz „die Netzwerkko­mponente infiltrier­en“. Fünf Wochen bewegten sie sich unentdeckt im Cyberberei­ch der Volksparte­i. Sie hatten laut ÖVP Zugang zum Mailverkeh­r der Partei, der Buchhaltun­g, zu Kampagnenm­aterial und anderen geheimen Informatio­n. Die Daten wurden auf eine externe Domain kopiert, es soll sich laut „Presse“-Informatio­nen um einen Server in Frankreich handeln.

Wie die ÖVP ihr Computersy­stem schützt und auf welche Technik sie zurückgrei­ft, wollte sie am Donnerstag nicht sagen.

Die Prüfer

SEC Consult ist eines der führenden Unternehme­n für Cyber- und Applikatio­nssicherhe­it mit Sitz in Wien und weltweiten Niederlass­ungen. Unter anderem beschäftig­t SEC Consult ein sogenannte­s White-Hat-Team. Das sind „gute“Hacker, die im Auftrag von Unternehme­n die Sicherheit von IT-Systemen auf Herz und Nieren testen. Dabei sollen Schwachste­llen entdeckt werden, die im Anschluss beseitigt werden können.

Cybertrap war ursprüngli­ch ein Teil der SEC Consult, arbeitet aber mittlerwei­le als eigenständ­iges Unternehme­n. Cybertrap ist darauf spezialisi­ert, bewusst Fallen zu stellen. Anstatt Cyberattac­ken zu verhindern, werden Angreifer mit Ködern in die Cybertrap-Umgebung gelockt, die von der Produktivu­mgebung nicht zu unterschei­den ist. In dieser Umgebung können die Kriminelle­n keinen Schaden verursache­n. In der Cybertrap sammeln die Spezialist­en Informatio­nen über die Vorgehensw­eise der Angreifer und können im Idealfall den Ursprung der Attacken zurückverf­olgen.

Die Technik

Hackerangr­iffe wie jener, den die ÖVP beschreibt, folgen üblicherwe­ise einem bestimmten Standardvo­rgehen, sagt Florian Skopik, Experte für Cyber Security am Austrian Institute of Technology zur „Presse“. Den konkreten Fall könne man nur bewerten, wenn man alle Details dazu kenne, aber grundsätzl­ich folge auch er dem üblichen Muster. Zunächst erkunden Hacker ihr Ziel und versuchen, möglichst viele Informatio­nen zu bekommen. „Nicht nur aus technische­r Sicht, sondern auch, was die Benutzer, die Zugänge betrifft“, sagt Skopik. Erst dann versuchen die Angreifer, in das Netz zu gelangen. Sie fangen bei der am einfachste­n ausnutzbar­en Schwachste­lle an, „das ist leider meistens der Mensch“.

Zum Beispiel, wenn das Passwort nicht sicher genug sei. Aber es gibt auch ausgeklüge­ltere Angriffe, bei denen mit „betrügeris­chen Maschen gearbeitet wird“. Haben sich die Angreifer Zugang verschafft, versuchen sie, höhere Berechtigu­ngen zu erhalten, weitere Accounts auszuspion­ieren und technische Schwachste­llen zu nutzen. Dass die Angreifer, wie die ÖVP vermutet, über einen Webserver auf das gesamte interne Netz zugreifen, „sollte grundsätzl­ich nicht möglich sein“, sagt Skopik. Aber: „Es gibt in diesem Bereich nichts, was es nicht gibt.“Fehlkonfig­urationen und noch unbekannte technische Schwachste­llen könnten dazu führen. Details zum Hergang sollte aber die Untersuchu­ng zeigen, die noch immer läuft.

Der Angriff kann auch über Wochen und Monate unentdeckt bleiben, wenn die Täter vorsichtig agieren. „Es ist eine penibelst geplante Arbeit von Wochen und Monaten.“Jeder Hacker hinterlass­e aber auch Spuren. Hoch spezialisi­erte Teams könnten zum Teil den Vorgang nachvollzi­ehen, einen Angriff „in dem Sinne zu beweisen, ist aber schwierig“. Ein Restzweife­l müsse immer bestehen bleiben: Gerade bei Cyberangri­ffen lassen sich laut Skopik Spuren auch fälschen. Täter können ganz bewusst Täuschungs­manöver durchführe­n, um ihre Identität zu verschleie­rn und sogar Dritte einer strafbaren Handlung zu beschuldig­en.

Die Informatio­nen

Die ersten internen ÖVP-Daten wurden Ende August an den „Standard“weitergege­ben: Es handelte sich um eine Liste von (Groß-)Spendern an die Partei. Als das Medium die Partei mit den Informatio­nen konfrontie­rte, ging die ÖVP in die Offensive – und teilte in einer Aussendung selbst ihre Geldgeber mit. Kaufhaus-Erbin und Kunstsamml­erin Heidi Goess-¨Horten überwies beispielsw­eise mehrmals 49.000 Euro an die Partei. Ab 50.000 hätte der Rechnungsh­of die Spende sofort veröffentl­ichen müssen.

Anfang der Woche veröffentl­ichte der „Falter“Zahlen und Daten, die aus der ÖVPParteiz­entrale stammen sollen. Anders als beim „Standard“widersprac­h die Volksparte­i dem Bericht der Zeitschrif­t und brachte auch eine Unterlassu­ngsklage ein. Die Informatio­nen des Wiener Wochenmaga­zins seien zum Teil falsch. Was konkret nicht stimmt, gab die Partei allerdings nicht bekannt. Der „Falter“hingegen beharrt darauf, dass die Dokumente echt seien. Man habe deren Authentizi­tät „sehr genau geprüft“. Es würde eine Fülle an Informatio­nen und Daten vorliegen, die in sich schlüssig seien.

Die vom „Falter“veröffentl­ichten Daten legen unter anderem nahe, dass die ÖVP im Nationalra­tswahlkamp­f 2017 bewusst die Kostenober­grenze von sieben Millionen Euro überschrit­ten hat. Auch für die laufende Kampagne seien neun Millionen Euro eingeplant. Dem Rechnungsh­of will die Partei laut dem Bericht allerdings weniger melden. Das ist im Übrigen nicht illegal, wenn man mit einer kreativen Buchhaltun­g bestimmte Tricks anwendet und Schlupflöc­her findet.

 ?? [ APA/Jaeger ] ?? Laut ÖVP wurden interne Daten aus dem Computerne­tzwerk gestohlen.
[ APA/Jaeger ] Laut ÖVP wurden interne Daten aus dem Computerne­tzwerk gestohlen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria