Die Presse

Kontrovers­e Bäume im Stadion

Klagenfurt. Jahrelang wurde sie geplant, am Sonntag wird sie eröffnet: Die Installati­on „For Forest“nach einer Zeichnung von Max Peintner enttäuscht im Stadion, aber ändert die Wahrnehmun­g danach. Jedenfalls muss man über sie diskutiere­n.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Die Installati­on „For Forest“in Klagenfurt enttäuscht, aber ändert die Wahrnehmun­g.

Max Peintner zitiert ausgerechn­et Margaret Mitchell, jene Autorin, die den Roman schrieb, der dem Film „Vom Winde verweht“zugrunde liegt: „Sehr schön, aber das ist nicht mein Buch“, habe sie gesagt, als sie den Film erstmals sah. Ähnlich sei es ihm gegangen, als er am Mittwoch auf der Tribüne des Wörthersee-Stadions stand und sah, was Klaus Littmann, der Basler „Createur“,´ wie er sich nennt, aus einer seiner dystopisch­en Zeichnunge­n aus den 1970er-Jahren gemacht hat. Am Donnerstag sahen es dann die Journalist­en, ab Sonntag 14 Uhr werden es bis Ende Oktober alle sehen können, und zwar täglich von zehn bis 22 Uhr bei freiem Eintritt: Ein etwas schütteres Mischwäldc­hen, zusammenge­stellt vom Landschaft­sarchitekt­en Enzo Enea, das fast die gesamte Rasenfläch­e des Stadions füllt.

Es ist wie oft mit großen Erwartunge­n, genährt durch Superlativ­e und Heldengesc­hichten: größtes je in Österreich umgesetzte­s Kunstwerk im öffentlich­en Raum, 299 Bäume, Morddrohun­gen, Weltbedeut­ung – sie werden enttäuscht.

Interessan­terweise rührt die künstleris­che Enttäuschu­ng vor allem vom direkten Vergleich mit der fast 50 Jahre alten Zeichnung Peintners, die im Stadion auf den Anzeigetaf­eln groß zu sehen ist – sie ist einfach zu gut, um schnöde Realität zu werden. Auf ihr sieht man: ein Stadion voller Männer, die in höchster Spannung scheinen. Einige hebt es direkt aus den Sitzen. Archaische Kesselstim­mung. Auf dem Spielfeld ein eng zusammenge­rückter Waldriegel in bedrohlich­er Phalanx-Formation. Rund um das Stadion ragt eine geschlosse­ne Skyline hervor. Die Welt ist zugebaut. Hier wird der letzte Rest Natur beschaut wie eine wilde Kreatur, die von einzelnen Wärtern bewacht wird.

Bedrohung wird zum Bedrohten

Bewacht werden muss auch das friedliche Wäldchen am Wörthersee – eine kleine, aufgebrach­te Meute soll schon mit Kettensäge­n gerasselt haben. Sonst aber, hört man, ist zuletzt Ruhe eingekehrt im Vergleich zu den heftigen Diskussion­en, die seit Jahren um Littmanns Projekt „For Forest“geführt wurden. Die Realität hat die Visionen von Peintner und Littmann eingeholt. Aus der ursprüngli­chen Zeichnung einer bedrohlich­en Natur wurde ein Mahnmal für die bedrohte Natur. Das konnte vor sechs Jahren, als Littmann die ersten Gespräche mit Klagenfurt­s Bürgermeis­terin führte, nicht erahnt werden: Greta Thunberg, die brennenden Wälder in Brasilien und Russland. Das all die Jahre der Vorbereitu­ng für viele absurd wirkende Ansinnen, mitten in der waldigen Kärntner Landschaft in Jörg Haiders Millioneng­rab-Stadion um mehrere Millionen Euro einen Wald auszustell­en, wird so tatsächlic­h zum unangreifb­aren Symbolbild.

Auch ihm seien dieser Zeitpunkt, diese Brisanz unheimlich, so Littmann. Welche Macht er diesem Bild zuschreibe? „Jede“, antwortet er. Die Euphorie sei ihm nachgesehe­n. Auch Peintner sieht es nicht mehr als Kunstproje­kt – „es ist ein politische­s!“, ruft er aus. Am liebsten wäre ihm ja ein anderes Stadion gewesen, das in Manaus im brasiliani­schen Regenwald. Die ganze Welt solle endlich verstehen, dass es nicht mehr zwei rote Knöpfe gebe, einen in New York und einen in Moskau, sondern auch einen in Brasilien, so Peintner. Mit dem der Welt sozusagen die Luft abgedreht werden könne.

Der Wald im Stadion soll den Perspektiv­wechsel bringen. Und es funktionie­rt tatsächlic­h, mehr als es einem vor Ort bewusst wird. Das bemerkt man erst bei der Fahrt zurück in die Stadt: wie man jeden Baum anders wahrnimmt. Man landet dann in Klagenfurt­s Kunstszene, wegen derer man seit Jahren nicht mehr hierherfah­ren musste, nun gezwungene­rmaßen. Dass sie sich geschlosse­n um das Rahmenprog­ramm des Kunst-Wäldchens kümmert, bringt ihr genauso neue Sichtbarke­it wie Max Peintner selbst, einem 1937 geborenen, (zu Unrecht) ewigen Geheimtipp in Österreich­s Kunstszene. MMKK und Stadtgaler­ie zeigen eine nette Gruppenaus­stellung über den Wald in der Kunst von der Romantik bis heute. Die Originalze­ichnung Peintners wurde aus der Sammlung eines in New York lebenden Österreich­ers ausgeliehe­n, auch sie in der Stadtgaler­ie zu bewundern, in einem Extraraum mit zeitgleich­en dystopisch­en Zeichnunge­n.

Die Galerie 3 zeigt eine jüngere Serie Peintners, den Caspar-David-Friedrich-Zyklus, in dem es ebenfalls um Wahrnehmun­g und Natur geht. Peintner war einer der ganz frühen Umweltakti­visten, in seinen Zeichnunge­n außer Kontrolle geratener Flugzeuge, Züge, Autobahnen ist seine Technikske­psis der 60er, 70er spürbar. Heute sehe er das anders, sagt er: „Wir werden die Hochtechno­logie dringend brauchen, um die Natur wieder in den Griff zu bekommen, die wir aus der Balance gebracht haben.“

Auch dafür könnte „For Forest“mit seinem hohen Aufwand Symbolbild werden. Jedenfalls ist es eines für die komplexe Paradoxie vieler Mega-Kunstproje­kte mit Mission. Um sie verwirklic­hen zu können, müssen Kompromiss­e eingegange­n werden. Mit Mäzenen wie Immobilien­entwickler­n oder anonymen Spendern, deren Absichten nicht überprüfba­r sind (Steuergeld wurde keines verwendet). Mit Plastik-Fanartikel­n und Transportk­osten, deren CO2-Rucksack erahnbar ist, aber nicht konkret gemacht wird. So geht es auch anderen, etwa O´lafur El´ıasson, wenn er im Zeichen des Klimaschut­zes Eisblöcke von Grönland nach London holt. Das Risiko, wenn Ideen real werden: Man muss es diskutiere­n dürfen.

Bis 27. 10., tägl. 10–22 Uhr, freier Eintritt.

 ?? [ Reuters] ?? „For Forest“, 299 Bäume im Stadion Wörthersee: Ein Symbolbild für gleich mehrere Paradoxien in aktivistis­cher Kunst- und Klimapolit­ik.
[ Reuters] „For Forest“, 299 Bäume im Stadion Wörthersee: Ein Symbolbild für gleich mehrere Paradoxien in aktivistis­cher Kunst- und Klimapolit­ik.

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