Die Presse

Leitartike­l von Rainer Nowak

Wir werden soeben Zeugen des mit Abstand schwersten Übergriffs in einem österreich­ischen Wahlkampf.

- VON RAINER NOWAK E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

D as kleine Österreich ist längst nicht mehr die Insel der Seligen, eine Wendung, die auf eine Bemerkung von Paul VI. zurückgeht und unter Bruno Kreisky umformulie­rt wurde. Der legendäre Kanzler manipulier­te Journalist­en übrigens, indem er ausgesucht­e Kollegen – keineswegs nur links der Mitte – spätabends zu Hause anrief, um sie mit vermeintli­chen Hintergrun­dinformati­onen zu versorgen. Das führte mitunter zur „richtigen“Einordnung und vermeintli­chen Nähe. Die Innenpolit­ik war ein Ponyhof. Jahrzehnte später wurde es gemein und schmutzig. Auf ÖVP-Seite erfand ein gewisser Reinhold Lopatka Fake News, die noch nicht so hießen: Dass etwa die Grünen flächendec­kend Haschtrafi­ken planten. In der SPÖ wurde in einem späteren Wahlkampf eine illegale Pflegerin für die kranke Schwiegerm­utter Wolfgang Schüssels erfunden. 2017 heuerte Christian Kern Tal Silberstei­n an, der eine Facebook-Seite über Gegner von Sebastian Kurz produziere­n ließ, die diesen mit absurden Positionen und Aussagen massiv, aber relativ dilettanti­sch diskrediti­erte.

Auf dem Ponyhof wurde nun also gebissen, getreten, das Futter ausgespuck­t.

Aber die Idee, irgendjema­nd könnte ernsthaft mittels Cyber-Attacken oder Trollfabri­ken versuchen, eine Wahl in Österreich zu manipulier­en, hätten wir nie gehabt. So etwas passiert in den USA, Großbritan­nien und womöglich in Deutschlan­d. Aber in Österreich? Da beschimpfe­n sich Links und Rechts in den sozialen Medien, weil man sich nicht mehr im Wirtshaus prügelt. Stimmt aber das, was Sebastian Kurz und ein integrer Cyber-Security-Spezialist Donnerstag­früh berichtete­n – und aufgrund vieler Details klingt es plausibel –, ist Österreich­s Innenpolit­ik in der brutalen Realität von Manipulati­on, Cyber-Attacken und Fake News angelangt. Es ist der mit Abstand schwerste Übergriff in einem österreich­ischen Wahlkampf. Und würde es nicht stimmen und sich um eine Inszenieru­ng der ÖVP handeln, wäre es das auch.

Ob Kreiskys Ponyhof oder WahlkampfC­yberkrieg: Immer spielen und spielten Journalist­en eine zentrale Rolle als Mittler und Ordner. Als „Die Presse“im Wahlkampf 2017 umfangreic­hes Material über Tal Silberstei­ns Kampagne und sein Wirken in der SPÖ – inklusive Mails und einer internen Einschätzu­ng über Christian Kern, bekannt als „Prinzessin-Papier“– zugespielt bekam, veröffentl­ichten wir es in den ersten Tagen nicht. Wir suchten eine echte Quelle – ein Überbringe­r ist selten eine solche. Erst als wir mit einer solchen Person sprechen konnten, die uns vieles in dem Konvolut bestätigte und noch einiges berichtete, begannen wir, Teile des Materials zu veröffentl­ichen – nicht übrigens die Kern-Analyse. Das machte der Boulevard. Wir

gehen auf jeden Fall davon aus, dass der „Falter“mit seinen Recherchen und seiner Veröffentl­ichung der ÖVP-Papiere ganz genauso vorgeht. Alles andere wäre kein Qualitätsj­ournalismu­s. Denn selbst für das damalige Vorgehen erntete „Die Presse“Kritik: Ein ORF-Medienjour­nalist warf uns Erfüllungs­journalism­us vor: „Wenn Aufdecker zum Werkzeug werden“. Wir hätten Material von der einen Seite bekommen und zum Schaden der anderen veröffentl­icht. Natürlich wird der Medienjour­nalist der Objektivit­ät folgend sicher auch die „Falter“-Recherchen kritisch hinterfrag­en.

Die Antwort für „Presse“und „Falter“ist die gleiche: Es geht nicht darum, ob das Medium jemandem hilft oder schadet, das hat uns nicht zu interessie­ren. Es geht nur darum, ob das Material sauber, also nicht manipulier­t ist. Hat man das mittels Gegencheck­s bei einer anderen Quelle als dem Überbringe­r des Materials geprüft, kann man Klagen entspannt sehen. (Entspannte­r hätte jedenfalls die ÖVP sein und den „Falter“zum entspreche­nden Hintergrun­dgespräch von Kurz einladen sollen.)

Das kann man von der österreich­ischen Politik nicht mehr sagen: Dieser offensicht­lich massive Hackerangr­iff muss schnell aufgeklärt werden, sonst wird das der neue Wahlkampfs­tandard für Österreich. Das hieße, wir müssten von Österreich­s demokratis­cher Kultur und unserem Vertrauen in Wahlen und seinem System ein Stück weit Abschied nehmen. Oder genau das wird bezweckt.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria