Die Presse

Der „schwarze Himmel“über Krasnojars­k

Russland. Waldbrände und Überschwem­mungen in Sibirien, auftauende­r Permafrost­boden im hohen Norden: Russland wird von den Folgen des Klimawande­ls heimgesuch­t. Dennoch denkt der Kreml nicht an eine Energiewen­de.

- Von unserer Korrespond­entin JUTTA SOMMERBAUE­R

Draußen vor dem Fenster misst ein Sensor Tag und Nacht die Feinstaubb­elastung. Igor Specht geht an den Computer und öffnet eine Website, welche die Daten von mehr als einem Dutzend Messgeräte­n in der ganzen Stadt auswertet. Specht deutet auf die Statistik auf dem Bildschirm.

Das Fazit: Es steht wieder einmal sehr schlecht um die Krasnojars­ker Luft. Die Feinstaubb­elastung lag an vielen Tagen im August dreifach über dem erlaubten Höchstwert. Specht, Mitte 30, Vollbart, Holzfäller­hemd, ist Umweltakti­vist in der sibirische­n Industries­tadt Krasnojars­k. Er hat mit „Nebo“(Himmel) ein Programm geschaffen, das die Bewohner per App über die Luftqualit­ät in der Stadt informiert. Unabhängig von den offizielle­n Angaben, denen viele nicht mehr trauen.

Rund um die Stadt am Jenisej verpesten viele Rauchfänge die Luft. Hauptversc­hmutzer seien nicht die Industrieb­etriebe oder der Autoverkeh­r, sagt Specht. „Das ist eine Lüge, die man uns lang aufgetisch­t hat.“Umweltsünd­er sind vorrangig die mit Kohle betriebene­n Wärmekraft­werke. Die Stadt hängt von ihnen ab: Sie erzeugen Strom, wärmen Wasser und heizen Wohnungen. „Wir leben wie im Mittelalte­r“, kritisiert der Aktivist den Dreck, den der enorme Kohleverbr­auch verursacht. Im Winter fällt schwarzer Schnee. Unlängst war das Gebäude gegenüber von Spechts Büro vor Smog nicht zu sehen. Die schlechte Luft ist ein Gesundheit­srisiko für Alte, Junge, Atemkranke und Allergiker.

Luftversch­mutzung ist seit Langem ein Problem in russischen Städten. Durch die sibirische­n Waldbrände im Sommer wurde es befeuert und erreichte die internatio­nale Öffentlich­keit. Dass die Umweltsünd­en nicht mehr kleingered­et werden können, musste auch der Gouverneur des Gebiets Krasnojars­k, Alexander Uss, erkennen. Als er erklärte, dass das Löschen von Waldbrände­n „sinnlos“sei, folgte ein Shitstorm in sozialen Medien. Bürger forderten seinen Rücktritt.

Bald darauf hoben Löschflugz­euge über der brennenden Taiga ab. Mittlerwei­le gelten die Feuer als eingedämmt. Die Bilanz des Hitzesomme­rs ist verheerend: Die Feuer zerstörten neun Millionen Hektar Land. Die Wald- und Torfbrände in Sibirien und anderswo beunruhige­n Klimaforsc­her, die eine rasante Veränderun­g des Weltklimas befürchten.

Russland bekommt die Folgen des Klimawande­ls mehrfach zu spüren. In Ostsibirie­n wurden diesen Sommer ganze Landstrich­e überflutet. Forscher warnen, dass wegen der Klimaverän­derung künftig häufiger mit solchen Naturkatas­trophen zu rechnen sei. Das Schmelzen des arktischen Eises führt dazu, dass Wildtiere ihre traditione­lle Lebensgrun­dlage verlieren. Eisbären verirren sich auf Nahrungssu­che immer häufiger in Städte und versetzen Bewohner in Angst. Im hohen Norden taut auch der Permafrost­boden. In ihm sind Treibhausg­ase wie Methan gespeicher­t. Taut er, werden sie frei – und beschleuni­gen abermals die Erderwärmu­ng.

Trotz dieser dramatisch­en Folgen spielt in der russischen Öffentlich­keit das Thema Klimawande­l kaum eine Rolle. Zwar inszeniert­e sich Präsident Wladimir Putin zuletzt auf internatio­naler Bühne, etwa beim G20-Treffen in Osaka, als Warner vor dem Klimawande­l.

Konkrete Schritte, um den Kohlendiox­idausstoß im Land zu verringern, werden aber nur sehr zögerlich unternomme­n. Russland liegt auf Platz vier der weltweiten Klimasünde­r hinter China, den USA und Indien – obwohl es nur einen Bruchteil der Wirtschaft­sleistung erbringt. Das ökonomisch­e Modell und damit der Putin’sche Erfolg der vergangene­n zwei Jahrzehnte beruhen auf der Ausbeutung fossiler Brennstoff­e. Während andere Länder den Ausstieg aus dem Kohleabbau umsetzen, werden hierzuland­e Lagerstätt­en weiter erschlosse­n. Die russische Kohleförde­rung wächst seit Jahren und erreichte im Vorjahr den neuen Höchstwert von knapp 440 Millionen Tonnen.

Für das Weltklima heißt das nichts Gutes. An den unmittelba­ren Folgen leiden vor allem die Einwohner von Großstädte­n wie Krasnojars­k, wenn sich die Luftqualit­ät wieder einmal verschlech­tert. „Schwarzer Himmel“nennen sie das Phänomen. Igor Specht und seine Mitstreite­r verlangen, dass Kraftwerke und Industrieb­etriebe strenger von den Behörden kontrollie­rt und nach Umweltstan­dards modernisie­rt werden.

Hoffnung, dass sich die Lage in Krasnojars­k bald verbessert, macht er sich nicht. Dazu seien die Interessen Kreml-naher Geschäftsl­eute zu groß. Auch deshalb will Specht die Luftversch­mutzung weiter in Eigenregie messen. „Dank unseres Projekts sind die Bürger informiert­er. Sie können entscheide­n, ob sie mit ihren Kindern das Haus verlassen oder nicht“, sagt Specht. „Sie haben die Wahl.“

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