Abbiegeassistent: Wien prescht vor
Verkehr. 2020 soll es in Wien ein De-facto-Fahrverbot für Lkw ohne Abbiegeassistenten geben. Die grüne Verkehrsstadträtin Birgit Hebein arbeitet an einer entsprechenden Verordnung.
Wie so oft musste etwas Tragisches passieren, ehe etwas passierte: Im Jänner kam es zu einem tödlichen Verkehrsunfall. Ein neunjähriger Bub wurde in WienLandstraße auf dem Schulweg von einem rechts abbiegenden Lkw erfasst und getötet. Der Lenker hatte das im toten Winkel befindliche Kind nicht gesehen. Seither wird um die Einführung elektronischer Abbiegeassistenten gerungen – also um Sicherheitssysteme, die Kameras oder Radarsensoren verwenden und den Lenker durch akustische und optische Signale warnen, wenn sich neben dem Fahrzeug eine (im Rückspiegel nicht zu sehende) Person befindet.
1
„Die Sicherheit im Straßenverkehr, vor allem von Kindern, steht an erster Stelle und darf nicht hinausgezögert werden. Deshalb habe ich ein Ermittlungsverfahren zur Einführung des Rechtsabbiegeverbots für schwere Lkw beauftragt.“Gemeint sind Lkw, die über keinen Abbiegeassistenten verfügen.
Da es praktisch unmöglich ist, einen Lkw durch Wien zu lenken, ohne je rechts abzubiegen, handelt es sich bei diesem Abbiegeverbot um ein De-facto-Fahrverbot. Rechtlich möglich ist das Vorpreschen Wiens, weil eine StVO-Novelle Gemeinden erlaubt, Rechtsabbiegeverbote für Lkw mit mehr als 7,5 Tonnen Gewicht einzuführen. Hebein will eine flächendeckende Regelung. Freilich kann eine Gemeinde nur ihren Bereich gestalten. Das überregionale Asfinag-Autobahnnetz ist nicht betroffen. Lkw ohne „Assistenten“könnten auf Stadtautobahnen im Raum Wien unterwegs sein.
2
In einem Ermittlungsverfahren sollen betroffene Einrichtungen, etwa Magistratsabteilungen, Polizei, Kuratorium für Verkehrssicherheit, Arbeiter- und Wirtschaftskammer, Autofahrerklubs, Interessenvertretungen usw. an einen Tisch gebracht werden, um das Abbiegeverbot auszugestalten. Das Verfahren könnte ein halbes Jahr dauern. Ab Frühling 2020 könnte das Verbot per Verordnung in Kraft gesetzt werden. Zeitgleich soll eine Übergangsfrist zu laufen beginnen. Über deren Länge soll ebenfalls im Verfahren entschieden werden. Innerhalb dieser Frist (vielleicht ein Jahr) müssen dann die Frächter ihre Fahrzeuge mit der neuen Technik ausstatten. Welche Standards dabei zu erfüllen sind, wird ebenfalls erst festgelegt.
3
Auch diese müssen aufgerüstet werden. Insofern ist der HebeinVorstoß mit dem Koalitionspartner SPÖ abgesprochen. Aus dem Büro von Umweltstadträtin Ulrike Sima hieß es am Donnerstag auf „Presse“-Anfrage: „Die M 48 (Abfallwirtschaft, Straßenreinigung, Anm.) arbeitet seit Monaten an Lösungen. Sie testet seit Februar verschiedene Abbiege-Assistenz-Systeme. Beginnend mit vier sind mittlerweile neun verschiedene Produkte auf zehn Fahrzeugen im Echtbetrieb im Einsatz.“
Es werde darauf geachtet, „dass die Fahrzeuge in verschiedenen städtischen Gebieten und bei unterschiedlichen Witterungsbedingungen unterwegs sind“. 35 Lenker würden derzeit ihre Erfahrungen dokumentieren.
Weiter: „Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass zwei Systeme am ehesten unseren Anforderungen entsprechen. Dabei handelt es sich um ein System mit einer Bilderkennungssoftware und um ein Produkt mit Radartechnologie. Beide Produkte eignen sich aber in der derzeitigen Ausführung noch nicht für den kommunalen Einsatz.“Die MA 48 sei aber „in engem Kontakt“mit den Herstellern, um die Systeme zu verbessern. Außerdem: „Auf dem Markt kostet ein System rund 3000 Euro pro Lkw, die MA 48 hat 300 Müllfahrzeuge im Einsatz.“
An dieser Stelle noch weitere Zahlen: In Österreich sind ungefähr 80.000 Lkw ab 3,5 Tonnen zugelassen. Allein in Wien sind es etwa 8000, davon wiegen 3000 Fahrzeuge mehr als 12,5 Tonnen. Wie berichtet sind heuer insgesamt auf Österreichs Straßen bereits 13 Kinder ums Leben gekommen, sieben davon als Fußgänger.
4
Ein Mitte Februar vom damaligen FPÖ-Verkehrsminister Norbert Hofer einberufener Sicherheitsgipfel geriet sowohl für die Opposition als auch für Verkehrsexperten zur Enttäuschung: Eine Pflicht, Lkw mit Abbiegeassistenten auszustatten, kam nicht. Obwohl kurz vor dem Gipfel eine Petition für eine Einführung derartiger Systeme fast 70.000 Unterschriften gesammelt hatte. Punktuelle bzw. regionale Maßnahmen (eben Abbiegeverbote) wurden schließlich aber ermöglicht. Die EU schreibt verpflichtende Abbiegeassistenten für neu zugelassene Lkw ab 2024 vor.
5
Grundsätzlich sind die Frächter selbst für die Einhaltung der Vorschriften verantwortlich. Aber es gibt Förderungen. Das Verkehrsressort stellt seit Montag für die freiwillige Nachrüstung mit Abbiegeassistenten eine Million Euro für Unternehmen zur Verfügung. Bis zu 25 Prozent oder maximal 900 Euro der Kosten pro Umbau werden übernommen. Wiens Wirtschaftskammerpräsident Walter Ruck sieht mit einem Beschluss des Rechtsabbiegeverbots auch die Voraussetzungen für eine Förderung durch die Stadt als erfüllt an.