Die Presse

Junge Römer spielen anders

Tennis. Für den Halbfinale­inzug von Matteo Berrettini bei den US Open gab es vor Turnierbeg­inn keinerlei Anzeichen. Jetzt begeistert der 23-jährige Italiener New York – und fordert Rafael Nadal.

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Es gibt Ergebnisse und Entwicklun­gen im Sport, die sieht niemand kommen. Es sind Überraschu­ngen, manchmal passt sogar die Bezeichnun­g Sensation, der Halbfinale­inzug von Matteo Berrettini bei den US Open in New York ist irgendetwa­s dazwischen. Nach dem 3:6, 6:3, 6:2, 3:6, 7:6 (5) gegen den Franzosen Gael¨ Monfils blickte Berrettini ungläubig in seine Spielerbox, und für einige Augenblick­e hatte es den Anschein, als wäre sich der Italiener selbst etwas unheimlich geworden. „Ich kann es noch gar nicht glauben, ich weiß nicht, was ich sagen soll“, stammelte der 23-Jährige wenig später ins Mikrofon.

Berrettini hatte mit dem Einzug ins US-Open-Halbfinale soeben ein Stück Tennisgesc­hichte geschriebe­n, er ist der erste Italiener seit Corrado Barazzutti 1977, dem dieses Kunststück gelang. In seiner Heimat wird der Römer dafür bereits gefeiert, die TV-Sender vermelden Top-Quoten. Berrettini­s Aufstieg ist ein rasanter. Im Mai 2018 war der Rechtshänd­er noch nicht einmal in den Top 100 der Weltrangli­ste zu finden, nach den US Open kommenden Montag wird er erstmals zu den 15 besten Spielern gezählt werden.

Turniersie­ge in Gstaad 2018 sowie dieses Jahr in Budapest und Stuttgart zeugten von Berrettini­s Potenzial – und Nervenstär­ke, denn in Endspielen ist er noch ungeschlag­en. Dazu passt seine furchtlose Art, Tennis zu spielen. Seine krachende Vorhand, die es punkto Geschwindi­gkeit auch mit jener von Rafael Nadal, seinem heutigen Gegner, aufnehmen kann. Und dann ist da noch der Aufschlag, der ihm immer wieder freie Punkte beschert und regelmäßig die 220-km/h-Grenze sprengt.

Seine Turniersie­ge in Gstaad (49 Aufschlags­piele) und Stuttgart (50 Aufschlags­piele) errang Berrettini ohne einen einzigen Aufschlagv­erlust im gesamten Turnierver­lauf. Ein Kunststück, das in den vergangene­n 21 Jahren nur zwölf anderen Spielern gelungen ist und nur Roger Federer (vier Mal) öfter. Dass der Italiener ausgerechn­et auf den Hartplätze­n von New York seinen Durchbruch auf der ganz großen Bühne schaffen würde, damit hätten selbst die kühnsten Optimisten nicht gerechnet.

Vor Turnierbeg­inn hatte Berrettini eine 11:18-Bilanz auf Hartplatz vorzuweise­n, bei seinem einzigen Vorbereitu­ngsturnier auf die US Open in Cincinnati scheiterte er in Runde eins. Als er am Mittwoch im Viertelfin­ale gegen Monfils beim Stand von 5:3 im fünften Satz auf den Matchgewin­n servierte, wurde die Hand des sonst so coolen Römers dann doch etwas schwer, er kassierte das Break. „Ich habe zu mir selbst gesagt: Was erwartest du, du bist 23 Jahre alt und spielst gerade dein erstes GrandSlam-Viertelfin­ale. Das ist normal, mach einfach weiter, du wirst noch Chancen bekommen.“

Mit Nadal trifft Berrettini laut eigener Aussage nun auf „den größten Kämpfer der Tennisgesc­hichte. Seine Einstellun­g ist nahe der Perfektion.“Dass es dieses Duell zuvor noch nie gab, kann für den Außenseite­r durchaus von Vorteil sein, weil Nadal spielerisc­hes Neuland betritt. Der Spanier zeigt sich gewarnt: „Matteo hat ein gewaltiges Service, eine starke Vorhand. Und er bewegt sich gut. Ich muss mein bestes Tennis spielen.“Im zweiten Halbfinale trifft der Russe Daniil Medwedew auf Federer-Bezwinger Grigor Dimitrow.

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