Junge Römer spielen anders
Tennis. Für den Halbfinaleinzug von Matteo Berrettini bei den US Open gab es vor Turnierbeginn keinerlei Anzeichen. Jetzt begeistert der 23-jährige Italiener New York – und fordert Rafael Nadal.
Es gibt Ergebnisse und Entwicklungen im Sport, die sieht niemand kommen. Es sind Überraschungen, manchmal passt sogar die Bezeichnung Sensation, der Halbfinaleinzug von Matteo Berrettini bei den US Open in New York ist irgendetwas dazwischen. Nach dem 3:6, 6:3, 6:2, 3:6, 7:6 (5) gegen den Franzosen Gael¨ Monfils blickte Berrettini ungläubig in seine Spielerbox, und für einige Augenblicke hatte es den Anschein, als wäre sich der Italiener selbst etwas unheimlich geworden. „Ich kann es noch gar nicht glauben, ich weiß nicht, was ich sagen soll“, stammelte der 23-Jährige wenig später ins Mikrofon.
Berrettini hatte mit dem Einzug ins US-Open-Halbfinale soeben ein Stück Tennisgeschichte geschrieben, er ist der erste Italiener seit Corrado Barazzutti 1977, dem dieses Kunststück gelang. In seiner Heimat wird der Römer dafür bereits gefeiert, die TV-Sender vermelden Top-Quoten. Berrettinis Aufstieg ist ein rasanter. Im Mai 2018 war der Rechtshänder noch nicht einmal in den Top 100 der Weltrangliste zu finden, nach den US Open kommenden Montag wird er erstmals zu den 15 besten Spielern gezählt werden.
Turniersiege in Gstaad 2018 sowie dieses Jahr in Budapest und Stuttgart zeugten von Berrettinis Potenzial – und Nervenstärke, denn in Endspielen ist er noch ungeschlagen. Dazu passt seine furchtlose Art, Tennis zu spielen. Seine krachende Vorhand, die es punkto Geschwindigkeit auch mit jener von Rafael Nadal, seinem heutigen Gegner, aufnehmen kann. Und dann ist da noch der Aufschlag, der ihm immer wieder freie Punkte beschert und regelmäßig die 220-km/h-Grenze sprengt.
Seine Turniersiege in Gstaad (49 Aufschlagspiele) und Stuttgart (50 Aufschlagspiele) errang Berrettini ohne einen einzigen Aufschlagverlust im gesamten Turnierverlauf. Ein Kunststück, das in den vergangenen 21 Jahren nur zwölf anderen Spielern gelungen ist und nur Roger Federer (vier Mal) öfter. Dass der Italiener ausgerechnet auf den Hartplätzen von New York seinen Durchbruch auf der ganz großen Bühne schaffen würde, damit hätten selbst die kühnsten Optimisten nicht gerechnet.
Vor Turnierbeginn hatte Berrettini eine 11:18-Bilanz auf Hartplatz vorzuweisen, bei seinem einzigen Vorbereitungsturnier auf die US Open in Cincinnati scheiterte er in Runde eins. Als er am Mittwoch im Viertelfinale gegen Monfils beim Stand von 5:3 im fünften Satz auf den Matchgewinn servierte, wurde die Hand des sonst so coolen Römers dann doch etwas schwer, er kassierte das Break. „Ich habe zu mir selbst gesagt: Was erwartest du, du bist 23 Jahre alt und spielst gerade dein erstes GrandSlam-Viertelfinale. Das ist normal, mach einfach weiter, du wirst noch Chancen bekommen.“
Mit Nadal trifft Berrettini laut eigener Aussage nun auf „den größten Kämpfer der Tennisgeschichte. Seine Einstellung ist nahe der Perfektion.“Dass es dieses Duell zuvor noch nie gab, kann für den Außenseiter durchaus von Vorteil sein, weil Nadal spielerisches Neuland betritt. Der Spanier zeigt sich gewarnt: „Matteo hat ein gewaltiges Service, eine starke Vorhand. Und er bewegt sich gut. Ich muss mein bestes Tennis spielen.“Im zweiten Halbfinale trifft der Russe Daniil Medwedew auf Federer-Bezwinger Grigor Dimitrow.