Afrika versinkt immer tiefer in der Armutsfalle
Demografie. Die Bekämpfung extremer Armut zeigt überall schöne Fortschritte – außer in Subsahara-Afrika. Dort macht ein ungebrochener Geburtenboom jedes Wirtschaftswachstum zunichte. Das wird den Migrationsdruck stark erhöhen.
Die Bekämpfung extremer Armut (weniger als 1,9 Dollar pro Tag und Person auf Kaufkraftbasis 2011) macht erstaunliche Fortschritte: Seit 1990 ist die Zahl der Betroffenen laut Weltbank um 1,3 Milliarden auf rund 700 Millionen gefallen. Die Welt wäre also (unter anderem wegen der positiven Effekte der Globalisierung) auf gutem Weg, das Ziel eins der 2012 beschlossenen 17 UN-Nachhaltigkeitsziele zu erfüllen: Das sieht die weltweite Ausmerzung der extremen Armut bis 2030 vor.
In der Theorie. In der Praxis ist da noch Subsahara-Afrika. Und dort passiert das genaue Gegenteil, wie aus einer vor Kurzem veröffentlichten Studie des britischen Thinktanks ODI (Overseas Development Institute) hervorgeht. Dort steigt die Armut, vor allem unter Kindern und Jugendlichen, sehr stark an. Wenn die Entwicklung nicht gestoppt wird, dann werden bis Ende des kommenden Jahrzehnts 95 Prozent der extrem Armen in Subsahara-Afrika leben.
Die Welt wird also zweigeteilt sein: In eine Amerika, Europa, Asien und Australien umfassende praktisch armutsfreie Zone (bezogen auf die obige Armutsdefinition). Und in das Armenhaus Afrika, wo fast ein Drittel der Bevölkerung in extremer Armut leben wird.
Und es wird eine sehr junge arme Bevölkerung sein: Schon jetzt ist beispielsweise das Durch
schnittsalter der nigeranischen Bevölkerung nur noch 18 Jahre. Zum Vergleich: In Europa beträgt das Durchschnittsalter 43 Jahre – mit steigender Tendenz.
Die Hauptursache für die Armutsfalle, aus der Afrika nicht herausfindet, ist schnell gefunden: Es ist die Demografie. Die Fertilitätsrate ist in Afrika mit 4,6 mehr als doppelt so hoch wie im Rest der Welt und dreieinhalbmal so hoch wie beispielsweise in Österreich.
Anders gesagt: Obwohl die Wirtschaft in einigen afrikanischen Ländern deutlich stärker als in Europa wächst, geht die relative Verarmung weiter. Das dramatische Bevölkerungswachstum macht jedes Wirtschaftswachstum zunichte.
Was das heißt? Der Migrationsdruck vor allem auf Europa wird enorm zunehmen. Laut ODI werden in den nächsten zehn Jahren im Schnitt 87 Millionen afrikanische Kinder pro Jahr in die extreme Armut hineingeboren. Um die später per Wirtschaftswachstum in Afrika selbst aus der Armut zu holen und auch noch Arbeitsplätze für die andere Hälfte der Jungbevölkerung zu schaffen, müsste die afrikanische Wirtschaft ein Jobwunder nach chinesischem Muster vollziehen. Das zeichnet sich aber nicht ab, denn lokale Konflikte und grassierende Korruption sorgen dafür, dass internationale Unternehmen, die etwa in Südostasien enorm viele Jobs geschaffen haben, immer noch einen weiten Bogen um Afrika machen.
Was also tun? Der britische Thinktank empfiehlt hohe Investitionen in Sozialsysteme, Gesundheitswesen und vor allem Bildung. Denn auch in Afrika korreliert der Bildungsgrad stark mit der Fertilität. Was einen verhängnisvollen Kreiseffekt auslöst: Gerade extrem arme Afrikaner weisen die mit Abstand höchsten Geburtenraten auf. Deren Kinder stecken dann aber wieder in der Armutsfalle, haben kaum Chancen auf Bildung und Jobs.
An sich, meint der britische Thinktank, wäre die junge Bevölkerung ja eine Riesenchance für Afrika, die dem Kontinent eine enorme „demografische Dividende“bescheren könnte. Wenn die Voraussetzungen – Bildung, soziale Basisabsicherung – da wären. Dann würden erfahrungsgemäß auch die Geburtenraten von selbst sinken.
Diese Voraussetzungen lassen sich mit traditioneller Entwicklungshilfe allerdings ganz offensichtlich nicht herstellen. Dazu brauchte es klarer politischer Entscheidungen in den SubsaharaStaaten selbst.
Dafür, wie das gehen könnte, gibt es ja schon einige Blaupausen.
Vor allem in Asien. Ein Beispiel: Zu Beginn der 1960er-Jahre spielten Südkorea und Nigeria in derselben BIP-Liga: Mit einem BIP pro Kopf von 158 beziehungsweise 92 Dollar gehörten sie zu den ärmsten Ländern der Welt.
Heute kommt der rohstoffreiche Erdölstaat Nigeria auf ein ProKopf-BIP von gerade einmal 1970 Dollar, während ein Südkoreaner knapp 30.000 Dollar, also rund 15-mal so viel, erwirtschaftet.
Warum das so gelaufen ist, ist nicht schwer herauszufinden: Stabile politische Verhältnisse, sehr starker Fokus auf Bildung und Innovation, Öffnung zum Weltmarkt auf der einen Seite, instabile politische Verhältnisse, wenig Ausgaben für Bildung, Konzentration auf die korruptionsanfällige Rohstoffvermarktung und ein Investitionsumfeld, das die meisten internationalen Unternehmen abschreckt, auf der anderen.
Nur, von außen lässt sich das nur schwer bis gar nicht beeinflussen. Außer, man fällt wieder in alte koloniale Muster zurück.
Die Lage ist also ein wenig verzwickt: Die traditionelle Entwicklungshilfe hat in Afrika weitgehend versagt. Da sind seit den Sechzigerjahren ein paar Billionen Dollar ohne große Wirkung versickert. Lokale Politik, die mit Armutsbekämpfung wenig am Hut hat, lässt sich von außen nur schwer beeinflussen und dort, wo überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum herrscht – einige afrikanische Länder hatten zuletzt Wachstumsraten jenseits der Fünf-Prozent-Marke – macht die Demografie wieder alles zunichte. Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet der britische Thinktank auch nicht wirklich an. Das Rezept – Bildung, soziale Absicherung – ist zwar klar, wie das implementiert werden könnte, aber schon weniger.
In dieser Situation schlägt dann die Stunde der Scharlatane: Der Club of Rome beispielsweise hat vor einigen Jahren vorgeschlagen, zur Entschärfung der Demografie (vor allem aber aus Gründen des Klimaschutzes, denn Menschen verursachen ja CO2Emissionen) weltweit auf EinKind-Politik a` la China umzuschwenken. Und zwar so: Jede Frau, die bis zum 50. Lebensjahr nicht mehr als ein Kind hat, soll als Anreiz dafür 80.000 Dollar bekommen.
Dass so etwas in Afrika nicht finanzierbar ist, weiß natürlich auch der Römer-Club. Aber die Idee lautet, das in den Industrieländern umzusetzen. Denn ein Kind aus Europa verursache in seinem Leben 30-mal so viel CO2-Emissionen wie ein afrikanisches. Dass Europa mit einer Geburtenrate von 1,6 schon unter dem chinesischen Wert liegt und weit von Bestandserhaltung entfernt ist, stört die Wissenschaftler nicht: Gerade erst ist der Club-of-Rome-Präsident mit dieser kruden These wieder durch die Medien gegeistert.