Die Presse

„Die Kamera ist kein Schutzschi­ld“

World Press Photo. John Moore erzählt mit seinen Fotos Geschichte­n von Flüchtling­en in den USA. Sein Siegerfoto rührte die Menschen. Zu sehen ab heute in der Galerie Westlicht.

- VON ISABELLA WALLNÖFER

Es ist ein herzzerrei­ßendes Bild: Einen Monat lang hatte sich Sandra Sanchez mit ihrer Tochter, Yanela, von Honduras aus über Mittelamer­ika und Mexiko in die USA durchgesch­lagen. Doch kaum hatten sie am 12. Juni 2018 auf einem Floß den Rio Grande überquert, wurden sie von einer Grenzpatro­uille erwischt. Sandra setzte Yanela ab, als sie kontrollie­rt wurde – und das Mädchen begann verzweifel­t zu weinen . . .

Wie so oft, war auch in dieser Nacht der Fotojourna­list John Moore an der Grenze – und drückte auf den Auslöser. Seit zehn Jahren bereits befasste er sich mit Flucht und Migration. Aber etwas hatte sich verändert, erzählt er im „Presse“-Interview: „Die Regierung von Donald Trump hatte gerade eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Immigrante­n eingeführt, die in vielen Fällen zur Trennung von Eltern und Kindern führte.“Auch unter Barack Obama habe es Abschiebun­gen gegeben – meist wegen (oft auch kleinerer) Vergehen oder weil jemand straffälli­g geworden war. „Unter Trump zielt die Regierung aber auf jeden Immigrante­n, der kein gültiges Visum hat. Millionen Menschen sind betroffen und leben in Angst.“Yanela wurde zum Symbol. Kein anonymes

Schicksal, sondern ein verzweifel­tes kleines Mädchen in roten Turnschuhe­n. Manchmal, erzählt Moore, werde er Zeuge von Ereignisse­n, die ihn traurig machten. „Die Kamera ist kein Schutzschi­ld. Aber ich denke, es macht einen Unterschie­d, ob ich etwas fotografie­re und das Bild veröffentl­iche oder nicht.“Kann denn ein Foto die Welt ein bisschen besser machen? „Wenn ich davon nicht überzeugt wäre, müsste ich den Beruf wechseln.“Yanela rührte die Menschen, es gab einen öffentlich­en Aufschrei. Ob es ihr Foto war oder nicht – Trump setzte kurz darauf die Trennung von Familien offiziell aus.

Das Foto wurde zum World Press Photo 2018 gekürt – und ist ab heute mit den anderen preisgekrö­nten Arbeiten in der Galerie Westlicht ausgestell­t. Was ein gutes Bild ausmacht? „Ich bin Fotojourna­list. Ich will mit meinen Bildern Geschichte­n erzählen, Gefühle vermitteln – und natürlich zählen fotografis­che Komponente­n wie Kompositio­n und Licht.“Bevor er in die USA zurückkehr­te, arbeitete Moore 17 Jahre lang im Ausland – in Nicaragua, Indien, Südafrika, Mexiko, Ägypten und Pakistan. Oft war er in Krisenund Kriegsgebi­eten unterwegs, jetzt eben an den Grenzen. Das ist immer eine Gratwander­ung. „Als Fotojourna­list muss man respektvol­l und sensibel mit den Menschen umgehen, die man fotografie­rt, denn oft haben sie erst kurz zuvor ein Trauma erlebt.“Er versuche dann, mit ihnen zu sprechen oder zumindest über den Augenkonta­kt zu erfahren, ob er weitermach­en dürfe oder nicht. „Und ich mache ihnen klar, dass ich nicht einfach nur ein Foto von ihnen mache, sondern dass sie so auch zu einem allgemeine­n Verständni­s beitragen.“

Den Konsumente­n rät er, nicht jedes Foto für echt zu halten, das viral die Runde macht. „Auf sozialen Medien gibt es die Gefahr, dass verfälscht­e Fotos verwendet werden.“Oder – wie im Falle seines Siegerfoto­s – falsche Informatio­nen mitgeliefe­rt werden. „Man sollte nicht alles glauben, was da zu sehen ist und immer die Quellen checken.“

arbeitete für Associated Press, bevor er 2005 zu Getty Images ging. Er war 17 Jahre im Ausland tätig (Nicaragua, Südafrika, Ägypten etc.) und berichtet heute über Immigratio­n in die USA. 2005 gewann er den Pulitzerpr­eis für Breaking News Fotografie.

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