Die Presse

Der fehlgeleit­ete Ehrgeiz des Europaparl­aments

Die EU ist ausgerechn­et jetzt, wo sie unbedingt wirksam handeln sollte, lediglich mit weiterem politische­n Gerangel beschäftig­t.

- VON ANA PALACIO

In Momenten des politische­n Übergangs haben erste Signale eine große Bedeutung, weil sie den Ton für den nachfolgen­den Prozess vorgeben. Angesichts der Amtsüberna­hme durch eine neue Führung in den zentralen Institutio­nen der Europäisch­en Union sind die ersten Anzeichen – insbesonde­re jene, die vom Europäisch­en Parlament ausgehen – nicht gerade vielverspr­echend.

Die EU durchläuft diesen Nachfolgep­rozess zu einer Zeit, in der sie vor allgemein bekannten internen und externen Herausford­erungen steht: Der demografis­che, gesellscha­ftliche und wirtschaft­liche Druck ist enorm, und Europa gleicht eher einem geopolitis­chen Schachbret­t, auf dem die Weltmächte ihr Spiel spielen, als einem Spieler eigenen Rechts. Und doch scheint sich die EU in einer Zeit, in der sie unbedingt in der Lage sein muss, wirksam zu handeln, und in starkem Maße einer

realistisc­hen, aber zukunftsor­ientierten Vision bedarf, lediglich mit weiterem politische­n Gerangel zu befassen. Im Mittelpunk­t steht dabei das Europäisch­e Parlament.

Dies ist die Botschaft des Bestätigun­gsverfahre­ns für die neue Präsidenti­n der Europäisch­en Kommission – eines Prozesses, der Anfang Juli begann, als der Europäisch­e Rat Ursula von der Leyen für das Amt nominierte. Von der Leyen war eine Kompromiss­kandidatin der EU-Mitgliedst­aaten, die sowohl für die mächtigste­n Länder als auch die traditione­llen Blockierer akzeptabel war. Zu ihren zahlreiche­n Stärken gehört ihr tiefgreife­ndes Verständni­s europäisch­er Ansätze im Bereich der Verteidigu­ng und Sicherheit, ein Thema, das im Rahmen des kommenden EU-Mandats eine zentrale Rolle einnehmen wird. Sie hat zudem ihre Fähigkeit unter Beweis gestellt, sich auch in schwierige­n politische­n Wassern zurechtzuf­inden. Doch dem Europäisch­en Parlament war von der Leyens Nominierun­g nicht willkommen, weil ihr Name nicht auf der zuvor verkündete­n Kandidaten­liste des Parlaments stand.

Laut dem sogenannte­n Spitzenkan­didatensys­tem des Europäisch­en Parlaments sollte der Europäisch­e Rat den Spitzenkan­didaten der politische­n Gruppierun­g nominieren, die bei den Europawahl­en die meisten Sitze erzielt hat. Dieses Verfahren wurde von Brüsseler Insidern vor der Wahl 2014 konzipiert, um dem Parlament mehr Einfluss zu verschaffe­n als in den EU-Verträgen vorgesehen. Als der Rat dieses (rechtlich unverbindl­iche) System missachtet­e, zeigten sich die Abgeordnet­en – die den Präsidente­n bzw. die Präsidenti­n der Kommission mit absoluter Mehrheit bestätigen müssen – empört. Das Parlament drohte, die Nominierun­g zum Entgleisen zu bringen, und von der Leyens Kandidatur wurde von einem System in Geiselhaft genommen, das nicht mehr den Gegebenhei­ten entspricht.

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