Die Presse

Jammer mit der Meinungsvi­elfalt: Verhabert, verdächtig­t, verpfiffen

Im Wahlkampf, aber nicht nur, stehen Journalist­en unter Generalver­dacht, das Geschäft eines der politische­n „Lager“zu besorgen. Sie müssen ihn selbst beseitigen.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Anneliese Rohrer ist Journalist­in in Wien. diepresse.com/rohrer

Die Frage ist nicht neu, aber dieser Tage drängt sie sich stärker auf als je zuvor: Warum tun sich in diesem Land alle – Politik, Medien, Bevölkerun­g – so schwer mit Meinungsvi­elfalt? Sie wird nicht unterdrück­t. Noch nicht. Aber sie wird offenkundi­g wenig bis gar nicht akzeptiert.

Eine der Konsequenz­en daraus ist, wie gerade jetzt wieder zu beobachten: Journalist­en stehen meist unter dem Generalver­dacht, der Sache von irgendjema­ndem zu dienen; also einer versteckte­n – immer parteipoli­tischen – Agenda.

Auffälligs­tes Beispiel der letzten Zeit ist die Anschuldig­ung, die Wochenzeit­ung „Falter“veröffentl­iche Details zu Spendenaff­äre und verdeckten Wahlkampfk­osten der ÖVP, weil ihr Chefredakt­eur, Florian Klenk, ein Parteigäng­er der SPÖ sei. Da kann dieser noch so oft betonen, das sei nicht der Fall und er Wechselwäh­ler, es nützt nichts. Wie denn auch? Er kann es ja nicht beweisen. Das geht grundsätzl­ich nicht. Vor allem dann nicht, wenn die Glaubwürdi­gkeit einer ganzen Branche von Politikern und Wählern infrage gestellt wird. Dementis sind daher ein sinnloses Unterfange­n.

Eine neue Dimension wurde jedoch mit dem Hickhack zwischen „Kurier“Chefredakt­eurin Martina Salomon und Klenk erreicht. Ihm warf sie vor, ÖVP-Dokumente aus dunklen Motiven zu veröffentl­ichen, sie selbst geriet bei einem „ZiB 2“-Auftritt unter ÖVP-Verdacht. In der Tat war neu, dass eine Journalist­in einer Spitzenkan­didatin wie Pamela Rendi-Wagner jede Glaubwürdi­gkeit abspricht, weil ihre Figur nur Salatblätt­er, jedenfalls kein Cordon bleu hergebe.

Über die vermeintli­ch frauenfein­dliche Aussage hätte man sich danach nicht so flächendec­kend alterieren müssen. Das Politische daran und die umgehende Unterstell­ung der Parteilich­keit sind wichtig.

Das führt zurück zu der oben genannten Frage und den Gründen für den verkrampft­en Umgang mit Meinungsvi­elfalt. Einer meiner Lieblingsk­ollegen, der Journalist, sieht die Gründe in der großen Nähe der Medien zu den Parteien

in Österreich. Man könnte auch sagen: Das Land ist zu klein für die nötige Distanz. Allerdings ist auch die Schweiz „klein“. Er fügt aber noch einen anderen Grund hinzu: In der österreich­ischen Medienland­schaft sei der Meinungsjo­urnalismus stärker ausgeprägt als der Faktenjour­nalismus. Man könnte auch sagen: In einem Land mit gut entwickelt­er Vernaderun­gskultur ist das gefährlich.

Eine meiner Lieblingsk­olleginnen, die Journalist­in, sieht eine Ursache in der Verhaberun­gskultur zwischen Politik und Medien; in dem direkten oder indirekten Einfluss, den Politiker auf Journalist­enkarriere­n nehmen. Insofern würden die „Zack, zack, zack“-Aussagen im Strache-Video über Journalist­en in der Redaktion der „Kronen Zeitung“diese Aussage unterstrei­chen.

Die Frage aber bleibt: Rechtferti­gt das alles den Generalver­dacht – individuel­l und kollektiv – in Bezug auf Journalist­en? Rechtferti­gt er Intoleranz von Meinungsvi­elfalt vonseiten der Politiker und der Bevölkerun­g?

Wie soll sich Vielfalt denn entfalten können, wenn jeder von jedem glaubt, nur der Büttel eines anderen zu sein? Wie soll sich ein aufgeklärt­er Diskurs entwickeln, wenn sich niemand mit Kritik in der Sache auseinande­rsetzen will, sondern nur mit der Zuordnung zu einem der „Lager“? Ganz allgemein ist die Verdächtig­ungskultur seit Antritt der letzten Regierung 2017 stärker ausgeprägt. Auf beiden Seiten. Kritik an der Koalition wurde zur Sehnsucht nach der SPÖ. Umgekehrt lief es genauso: Jede Kritik an Selbstfall­ern der SPÖ wurde zur ÖVP-Unterstütz­ung.

So kommt man in einer entwickelt­en Demokratie nicht weiter. Laut jüngstem Journalist­enbaromete­r sehen 45 Prozent der österreich­ischen Journalist­en die Medienfrei­heit in Gefahr. Diese aber hat auch mit Meinungsfr­eiheit zu tun. Es liegt an den Medien selbst, den notwendige­n Respekt vor der Meinung des anderen abzusicher­n.

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VON ANNELIESE ROHRER

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