Jammer mit der Meinungsvielfalt: Verhabert, verdächtigt, verpfiffen
Im Wahlkampf, aber nicht nur, stehen Journalisten unter Generalverdacht, das Geschäft eines der politischen „Lager“zu besorgen. Sie müssen ihn selbst beseitigen.
Die Frage ist nicht neu, aber dieser Tage drängt sie sich stärker auf als je zuvor: Warum tun sich in diesem Land alle – Politik, Medien, Bevölkerung – so schwer mit Meinungsvielfalt? Sie wird nicht unterdrückt. Noch nicht. Aber sie wird offenkundig wenig bis gar nicht akzeptiert.
Eine der Konsequenzen daraus ist, wie gerade jetzt wieder zu beobachten: Journalisten stehen meist unter dem Generalverdacht, der Sache von irgendjemandem zu dienen; also einer versteckten – immer parteipolitischen – Agenda.
Auffälligstes Beispiel der letzten Zeit ist die Anschuldigung, die Wochenzeitung „Falter“veröffentliche Details zu Spendenaffäre und verdeckten Wahlkampfkosten der ÖVP, weil ihr Chefredakteur, Florian Klenk, ein Parteigänger der SPÖ sei. Da kann dieser noch so oft betonen, das sei nicht der Fall und er Wechselwähler, es nützt nichts. Wie denn auch? Er kann es ja nicht beweisen. Das geht grundsätzlich nicht. Vor allem dann nicht, wenn die Glaubwürdigkeit einer ganzen Branche von Politikern und Wählern infrage gestellt wird. Dementis sind daher ein sinnloses Unterfangen.
Eine neue Dimension wurde jedoch mit dem Hickhack zwischen „Kurier“Chefredakteurin Martina Salomon und Klenk erreicht. Ihm warf sie vor, ÖVP-Dokumente aus dunklen Motiven zu veröffentlichen, sie selbst geriet bei einem „ZiB 2“-Auftritt unter ÖVP-Verdacht. In der Tat war neu, dass eine Journalistin einer Spitzenkandidatin wie Pamela Rendi-Wagner jede Glaubwürdigkeit abspricht, weil ihre Figur nur Salatblätter, jedenfalls kein Cordon bleu hergebe.
Über die vermeintlich frauenfeindliche Aussage hätte man sich danach nicht so flächendeckend alterieren müssen. Das Politische daran und die umgehende Unterstellung der Parteilichkeit sind wichtig.
Das führt zurück zu der oben genannten Frage und den Gründen für den verkrampften Umgang mit Meinungsvielfalt. Einer meiner Lieblingskollegen, der Journalist, sieht die Gründe in der großen Nähe der Medien zu den Parteien
in Österreich. Man könnte auch sagen: Das Land ist zu klein für die nötige Distanz. Allerdings ist auch die Schweiz „klein“. Er fügt aber noch einen anderen Grund hinzu: In der österreichischen Medienlandschaft sei der Meinungsjournalismus stärker ausgeprägt als der Faktenjournalismus. Man könnte auch sagen: In einem Land mit gut entwickelter Vernaderungskultur ist das gefährlich.
Eine meiner Lieblingskolleginnen, die Journalistin, sieht eine Ursache in der Verhaberungskultur zwischen Politik und Medien; in dem direkten oder indirekten Einfluss, den Politiker auf Journalistenkarrieren nehmen. Insofern würden die „Zack, zack, zack“-Aussagen im Strache-Video über Journalisten in der Redaktion der „Kronen Zeitung“diese Aussage unterstreichen.
Die Frage aber bleibt: Rechtfertigt das alles den Generalverdacht – individuell und kollektiv – in Bezug auf Journalisten? Rechtfertigt er Intoleranz von Meinungsvielfalt vonseiten der Politiker und der Bevölkerung?
Wie soll sich Vielfalt denn entfalten können, wenn jeder von jedem glaubt, nur der Büttel eines anderen zu sein? Wie soll sich ein aufgeklärter Diskurs entwickeln, wenn sich niemand mit Kritik in der Sache auseinandersetzen will, sondern nur mit der Zuordnung zu einem der „Lager“? Ganz allgemein ist die Verdächtigungskultur seit Antritt der letzten Regierung 2017 stärker ausgeprägt. Auf beiden Seiten. Kritik an der Koalition wurde zur Sehnsucht nach der SPÖ. Umgekehrt lief es genauso: Jede Kritik an Selbstfallern der SPÖ wurde zur ÖVP-Unterstützung.
So kommt man in einer entwickelten Demokratie nicht weiter. Laut jüngstem Journalistenbarometer sehen 45 Prozent der österreichischen Journalisten die Medienfreiheit in Gefahr. Diese aber hat auch mit Meinungsfreiheit zu tun. Es liegt an den Medien selbst, den notwendigen Respekt vor der Meinung des anderen abzusichern.