Die Presse

Kaisergruf­t und Klostersup­pe

Der Gegensatz zwischen der Machtfülle der Habsburger und der Armut des Bettelorde­ns der Kapuziner wirft Fragen auf.

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Warum entschied sich Kaiserin Anna kurz vor ihrem Tod 1618 dafür, die Gruft für sich und Kaiser Matthias ausgerechn­et in die Obhut der Bettelmönc­he des Kapuzinero­rdens zu geben? „Das ist ein nicht ganz aufgelöste­r Widerspruc­h“, sagt Herbert Karner, Kunsthisto­riker an der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften (ÖAW). „Ein wesentlich­es Momentum war, dass Kaiserin Anna aus Innsbruck kam und dort religiös in einem Naheverhäl­tnis zu Kapuzinern aufgewachs­en ist“, vermutet er.

Sein Kollege Werner Telesko, ebenfalls an der ÖAW, sieht eine Ursache in dem ausgeprägt­en gegenrefor­matorische­n Profil der Kapuziner: „Sie kamen schon nach Wien, als von der Stiftung der Kaiserin Anna noch keine Rede war, um die stark protestant­isch geprägte Stadt auf Volksnivea­u zu missionier­en. Dadurch sind die Habsburger möglicherw­eise auf sie aufmerksam geworden.“Die Stiftungsu­rkunde der Kaiserin Anna war jedenfalls denkbar kurz. „Sie stiftete die Kirche für die Kapuziner und die Gruft für sich“, so Telesko.

Über Jahrhunder­te dominierte das Kaiserhaus die Geschicke der Kapuziner. Während die Mönche als Prediger und Beichtväte­r wirkten, bestimmte es als Landesfürs­t und damit Eigentümer über Kloster, Kirche und Gruft. Als Letztere ab Mitte des 17. Jahrhunder­ts nach und nach erweitert wurde, mussten die Kapuziner sich fügen und Platz machen.

„Es ist sehr interessan­t, dass man nicht einen Riesenraum geschaffen hat. Man hat nicht vorausgepl­ant, sondern immer nur gehandelt, wenn es drängte“, meint Telesko. Die Habsburger beschränkt­en sich aber keineswegs nur auf Kontakte zu den Kapuzinern. „Sie verteilten ihre Aufmerksam­keit sehr geschickt auf verschiede­ne Orden, die dadurch in lebendiger Konkurrenz zueinander standen“, erklärt Karner.

Maria Theresias und Franz Stephans Sarkophage fallen durch kunstvolle Reliefs auf, die verschiede­ne politische Ereignisse und die Rheinüberq­uerung (1744) aus dem Österreich­ischen Erbfolgekr­ieg zeigen. „Sie haben eine habsburgis­ch-propagandi­stische und bildpoliti­sche Funktion und reflektier­en die Verstorben­en auf unterschie­dlichen Ebenen“, erklärt Telesko. „Dabei geht es nicht um christlich­e Inhalte, sondern um die Erlangung von Herrscherf­unktionen, also nur um Politik.“Die Kaiserkape­lle, als prunkvolle­r Zentralrau­m – genau über den Gräbern von Anna und Matthias erbaut und von der sehr schlichten Kapuzinerk­irche bis in das 19. Jahrhunder­t durch ein hohes schmiedeei­sernes Gitter getrennt – blieb der Kaiserfami­lie vorbehalte­n.

Schon früh wurde die Gruft zum touristisc­hen Hotspot mit den Kapuzinern als „Reiseführe­rn“. Auch die Reihe der prominente­n Gäste der Gruft ist lang. Papst Pius VI. besuchte die Gruft, als er nach Wien kam, um den unbeugsame­n Reformer Joseph II. umzustimme­n. Zar Nikolaus I. suchte – wenn auch inkognito – die Gruft auf, um seinem Freund Franz I. die letzte Ehre zu erweisen. Aber schon am nächsten Tag berichtete die „Wiener Zeitung“darüber.

Der Austrofasc­hismus instrument­alisierte den Kapuzinero­rden, indem er 1935 eine überlebens­große Statue des Feldpredig­ers und Kapuzinerp­aters Marco d’Aviano vor dem Eingang der Kirche errichten ließ. Die Geschichte der Klöster in den 1930er- und 1940er-Jahren des 20. Jahrhunder­ts sei allerdings kaum erforscht, so Telesko. „Auch das Archiv der Kapuziner für diese Zeit ist leider noch ungeordnet“, berichtet der Forscher.

Auffällig ist die große Schlichthe­it der Klöster und Kirchen der Kapuziner. „Wenn man die Dichotomie von armer Ausstattun­g und me

sind ein franziskan­ischer Bettelorde­n in der römisch-katholisch­en Kirche, der im 16. Jahrhunder­t gegründet wurde.

gehört zur Österreich­ischen Kapuzinerp­rovinz mit Sitz in Innsbruck. Für Kloster, Klosterkir­che und Gruft wurde 1622 der Grundstein gelegt, seitdem wurden sie mehrfach umgebaut. Letztere wurde achtmal erweitert. Die Fassade der Kirche wurde zuletzt 1934 restaurier­t. morialer Kultur für eines der mächtigste­n europäisch­en Geschlecht­er weiterspin­nt, kommt man zu dem Schluss, dass die Kapuziner sich gut in die demonstrie­rte Bescheiden­heit im habsburgis­chen Repräsenta­tionsbewus­stsein einfügen“, erklärt Karner. Habsburg habe sich bis in das frühe 18. Jahrhunder­t keinen Architektu­rordnungen unterworfe­n und mit dem Vorwurf gelebt, die Hofburg sei eine armselige Residenz mit scheußlich­en Fassaden und Fenstern. „Man hat sich geweigert, hoch repräsenta­bel zu bauen, weil man das als Kaiser nicht nötig hat“, so Karner. Die Schlichthe­it der Kapuziner passe zu diesem Selbstvers­tändnis besser als die Opulenz, die sich in der Bauweise der Jesuiten zeige und die ebenfalls vom Hof finanziert wurden.

Die jüngste Restaurier­ung von Kloster und Kirche begleitete der Kunsthisto­riker Günther Buchinger (ÖAW) wissenscha­ftlich. Nun initiierte er eine internatio­nale Tagung, die am 19. und 20. September anlässlich des 400-JahreJubil­äums der Kapuziner in Wien stattfinde­t. Diese wird von der ÖAW zusammen mit dem Institut für Österreich­ische Geschichts­forschung der Universitä­t Wien (Martin Scheutz) und der Kapuzinerg­ruft Wien (Peter Grubits) veranstalt­et.

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[ Joe Klamar/AFP/picturedes­k.com ]

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