Die Presse

Große Erfindung und Weltpremie­re in einer kleinen Ortschaft

Vor 100 Jahren ging die erste Kaplan-Turbine in Betrieb. In Velm im Süden Wiens begann der Siegeszug einer österreich­ischen Erfindung, die heute noch bei der Elektrizit­ätsgewinnu­ng weltweit bevorzugt angewandt wird.

- VON ERICH WITZMANN

„Er war für uns wie ein Übervater.“Gerlind Weber, emeritiert­e UniProfess­orin für Raumforsch­ung, hat ihren Großvater, den „Übervater“, nie kennengele­rnt. Der Mann, Viktor Kaplan, war nicht nur für seine Töchter, Enkel und Urenkel eine prägende Persönlich­keit, sondern verfügt heute noch über einen besonderen Stellenwer­t in der Maschinenb­autechnik: Die von ihm erfundene Turbine ist weltweit in unzähligen Wasserkraf­tanlagen im Einsatz.

An diesem Samstag wird südlich von Wien in Himberg ein kleines Volksfest für Viktor Kaplan veranstalt­et (ab 16 Uhr). In der Himberger Katastralg­emeinde Velm ging vor 100 Jahren die erste Kaplan-Turbine in Betrieb, sie versah über 40 Jahre klaglos ihren Dienst und ist heute im Technische­n Museum in Wien zu besichtige­n.

Wenn Gerlind Weber „von Höhen und Tiefen unglaublic­hen Ausmaßes“im Leben ihres Großvaters spricht, so weist sie auf den zähen Kampf um die Anerkennun­g der neuen Turbine hin.

Kaplan, 1876 in Mürzzuschl­ag geboren, studierte an der Technische­n Hochschule in Wien und verlegte schon bald seine Forschunge­n auf die Funktional­ität von Wasserturb­inen. Um die Wende zum 20. Jahrhunder­t kamen für die Elektrizit­ätsgewinnu­ng das Pelton-Rad und die Francis-Turbine zum Einsatz, die auch heute noch verwendet werden, sich aber störungsan­fällig zeigten und eine für Kaplan nicht zufriedens­tellende Leistung erbrachten. Ab 1903 war der spätere Erfinder an der Deutschen Technische­n Hochschule in Brünn tätig, wo er an Verbesseru­ngen der Francis-Turbine arbeitete.

Kaplans Professor Alfred Musil, der Vater des Dichters Robert Musil, ermöglicht­e seinem Assistente­n den Bau eines Versuchsla­bors. 1909 wurde seine Doktorarbe­it zum „Bau rationelle­r Francis-Turbinen-Laufräder“approbiert. Doch in zahlreiche­n Untersuchu­ngsreihen kam Kaplan zu einem anderen Turbinenty­p, nämlich zu einem Flügelrad, das mit dem FrancisLau­frad keine Ähnlichkei­t hatte. Der Erfinder fasste die Vorteile wie folgt zusammen: hohe spezifisch­e Drehzahl, guter Wirkungsgr­ad, große Unempfindl­ichkeit gegen Drehzahl- bzw. Gefällesch­wankungen, große Unempfindl­ichkeit gegen Verunreini­gungen des Wassers und leichte Herstellba­rkeit.

Durch drehbare Laufradsch­aufeln und verstellba­re Leitschauf­eln kann die Turbine auch bei schwankend­em Wasserzufl­uss eine konstant hohe Leistung erbringen. 1913 meldete Kaplan ein Patent an und lud Firmen aus acht Staaten (darunter USA und Japan) nach Brünn ein. „Jeder der Versuchsin­genieure kam mit einer gewissen Dosis an Misstrauen an“, schrieb Kaplan nieder. Es gab einige Interessen­ten, aber es formierte sich auch ein Anti-KaplanSynd­ikat. Der Erste Weltkrieg verhindert­e jeden weiteren Erfolg.

1919 war es endlich so weit. Die Stahlhütte Storek in Brünn baute den Prototyp, der in der Strickgarn­fabrik von Velm eingebaut wurde und sich als voller Erfolg erwies. Der Laufraddur­chmesser betrug 60 cm. Dann wurden sie größer: Der Durchmesse­r der ersten Großturbin­e 1926 in Schweden war 5,8 Meter, jede der sechs Kaplan-Turbinen im Wiener Kraftwerk Freudenau maß acht Meter. Dennoch kam es zu immensen Schwierigk­eiten. 1926 musste Kaplan seine Patente beim Reichsgeri­cht Leipzig verteidige­n, siegte aber, wobei ihn sein Assistent Jaroslav Slavik wirksam unterstütz­te. Es gab auch andere Erfolge: 267 Patente, Professur in Brünn, Ehrendokto­rate und von 1962 bis 1972 sein Abbild auf der 1000-Schilling-Note.

 ?? [ Reinraum/CC0 ] ??
[ Reinraum/CC0 ]

Newspapers in German

Newspapers from Austria