Reglos in der Wiese
Expedition Europa: Ultramarathon im Südburgenland.
Hinter den sieben Bergen, zwischen 77 mal 77 mugeligen Steilhügeln, wo der Südrand der österreichischen Randregion Burgenland an den Nordrand der slowenischen Randregion Prekmurje stößt, lebt in einem alten Zollhaus der Spitzenkandidat der Christlichen Partei Österreichs. Die CPÖ ist so randständig, dass sie diesmal nur im Burgenland kandidieren kann. Für den Einzug in den Nationalrat bedürfte sie mehrerer Wunder.
Letztes Wochenende war ich unten. In Kalch, 200 Einwohner, endete „Race across Burgenland“, mit 218 Kilometern der härteste Ultramarathon Österreichs, von der slowakischen an die slowenische Grenze. Ich fuhr sogleich auf die slowenische Seite. Ihre Dörfer waren nicht größer, sie feierten das 100-Jahr-Jubiläum des verspäteten Beitritts von Prekmurje zum SHS-Staat, ihr Dialekt klang wie Schwedisch mit estnischem Akzent. Der Wirt von Sotina schenkte mir vom hellroten Mischwein Cvicekˇ ein und erklärte die relative Armut von Prekmurje mit dem überstrengen slowenischen Naturpark-Regiment: „Drüben ist auch Naturpark, aber die Österreicher dürfen Flachdächer haben, wir nicht.“
Thomas Graf, 63, ledig, ließ mich im großen zugewucherten Zollhaus übernachten. Knarrender Schiffboden, romantisch.
Am Sonntagvormittag setzten wir uns auf die Terrasse des „Hendlwirten“, die Ziellinie im Blick. Kalchs Feuerwehrer grillten, Kalchs Blasmusik spielte. Den Sieger verpassten wir, er lief schon vor dem Feuerwehrfest ein, nach 27:30 Stunden. Er war Ungar und lag reglos in der Wiese. Nach einer Stunde kam der Zweite an. Graf kommentierte nonchalant: „Is aa net da Jingste.“Als nach einer weiteren Stunde der Dritte eintrudelte, gemeinsam mit seinem weißen Hund, witzelte Graf: „Obs den net disqualifizieren – den ziagt der Hund.“
„Zünglein an der Waage“
Grafs Berufslaufbahn: Post, Justizwache, Post, Jobs, 30 Jahre Taxler in Wien. Seit 20 Jahren hat er das ehemalige Zollhaus, seit vier Jahren ist er Mindestpensionist. Zwei Jahre war er nicht in der Politik. Er war mit der Partei zerstritten: Er hatte sich in eine Verteidigung des Rauchverbots „hineingesteigert“. Als heuer niemand für die CPÖ kandidieren wollte, ließ er sich breitschlagen. Die aktuelle Positionierung der CPÖ „gegen einen Linksruck“ist ihm nicht geläufig, er sähe sie eher als „Zünglein an der Waage“.
Seine Anliegen sind Lebensschutz und Familienpolitik: „Kleinstkinder sind im Grunde genommen Pflegefälle und benötigen 24 Stunden Pflege. Die Pflege in der Familie sollte bevorzugt unterstützt werden, statt die Menschen in Heime oder Betreuungsstätten abzuschieben.“Er nennt sich einen „überkonfessionell praktizierenden Christen“, will alle Christen zusammenführen. „Ich bin das, was Paulus einmal schreibt, den Juden ein Jude, den Griechen ein Grieche, den Skythen ein Skythe“. Zum Glauben fand er als Erwachsener. Er war kurz bei der Wiener Holic-Sekte, kurz bei den norwegischen Smith-Brüdern, pflegt Kontakte mit Adventisten und Evangelikalen. Sonntags geht er mittlerweile in die katholische Messe. „Ich bin durchs Lesen der Bibel zur sogenannten Wahrheit gekommen.“– „Wieso sogenannt?“– „Für mich ist es wahr.“
Graf zeigte mir noch den Stadelberg, mit Ausblick auf die 77 mal 77 Mugeln. Als er herzog, musste er sich noch einen Grenzübertrittschein holen. Das ist lang her, die Grenze ist offen, sein Mechaniker und sein Baumarkt sind drüben, Schlepperei wäre ihm keine aufgefallen. Ich fuhr heim, „Race across Burgenland“ging noch weiter, acht der 15 Gestarteten schafften es nach Kalch Der Letzte lief