Die Presse

Wir retten eine Kleinstadt

Strategie. Ein Planspiel, zwei Spieler. Sie sollen als Bürgermeis­ter die Geschicke eines fiktiven Städtchens lenken. Daraus lässt sich viel über gutes und schlechtes Planen lernen.

- VON ANDREA LEHKY

Lohausen hat eine Fabrik, Geschäfte, Schulen, Freizeitpa­rks. Aufgabe des Planspiels ist, die Geschicke Lohausens als Bürgermeis­ter zu lenken.

Der eine Spieler, nennen wir ihn Markus, erkannte nach wenigen Fragen an den Spielleite­r („Gibt es . . .“) ein Thema als wesentlich: die Freizeitmö­glichkeite­n. Wer seine Freizeit abwechslun­gsreich gestalten kann, so sein Gedanke, ist zufrieden – ergo ist er, Markus, dann ein guter Bürgermeis­ter. Er investiert­e großzügig.

Der andere Spieler, nennen wir ihn Konrad, fragte auch viel. Seine Fragen dauerten lang, fast schon nervte er den Spielleite­r mit zahllosen „Warum“-Fragen. Es dauerte lang, bis er sich auf ein Ziel festlegte („Was genau heißt: Den Bürgern soll es gut gehen?“). Dann definierte er mehrere Themen als wichtig – Produktion, Absatz, Arbeitsmar­kt und Finanzen – und entwirrte ihre Querverbin­dungen. Auch das kostete Zeit. Pro Runde traf er zu jedem Thema mehrere überschaub­are Teilentsch­eidungen. Bevor er in eine neue Runde ging, überprüfte er den Kurs und korrigiert­e notfalls.

Nach zehn fiktiven Spieljahre­n war Lohausen unter Konrad aufgeblüht. Unter Markus war es pleite.

Psychologe­n lieben solche Planspiele. Unter keinen anderen Laborbedin­gungen lassen sich die Denkprozes­se so gut beobachten. Genau darum ging es.

Markus’ Kardinalfe­hler: Er erkannte nicht, dass Lohausen ein komplexes System ist. Komplex heißt, alles hängt zusammen – wie im richtigen Leben. Doch menschlich­es Denken läuft seit Urzeiten linear, immer eines nach dem anderen. Komplexes Denken fällt schwer. Typisch ist dann die Flucht in Bereiche, in denen wir uns auskennen, bei Markus waren es die Freizeitpa­rks. Der Rest wird ignoriert.

Konrad wiederum, ein versierter Manager, erkannte den Systemzusa­mmenhang. Er wusste, dass im Zweifelsfa­ll jedes Thema komplex ist. Er war mit sorgfältig­er Zieldefini­tion ebenso vertraut wie mit tiefschürf­endem Graben nach Informatio­nen. Eine schwierige Balance: Bei Unsicherhe­it sucht man Informatio­nen. Je mehr man aber hat, desto schwerer fällt die Entscheidu­ng. Feldherren ließen sich früher nie komplett informiere­n. Es machte sie handlungsu­nfähig.

Wer plant, handelt nicht

Eine psychologi­sche Fundgrube ist auch der Akt des Planens. Wer plant, handelt nicht. Er überlegt, wie er handeln könnte, und denkt sich durch die Alternativ­en. Diese bestehen jeweils aus einer Bedingung (etwa „wenn – dann“), einer Aktion und einem Ergebnis. Wie Markus neigen wir dazu, immer einen Schritt vor den anderen zu setzen – wir planen vorwärts. Ist ein Ziel aber bekannt, ist rückwärts planen die bessere Alternativ­e. Man nehme den erwünschte­n Endzustand und plane die Schritte zurück, die nötig sind, um ihn zu erreichen. Auch Kombinatio­nen aus Vor- und Rückwärtsp­lanen verspreche­n Erfolg.

Beliebt sind auch Heuristike­n, also Methoden, die in der Vergangenh­eit zum Erfolg führten. Doch so entsteht selten Neues. Spannender daher Analogiesc­hlüsse: Man gehe in ein Kaufhaus, picke dort beliebige Artikel heraus und lasse der Fantasie freien Lauf, wie man diese zur Problemlös­ung nützen kann. So manche Innovation ist durch freies Assoziiere­n entstanden. Selbstkrit­ische fragen nach Gemeinsamk­eiten der bisher gescheiter­ten Versuche. Genau das machen sie künftig nicht mehr.

Letztlich lässt sich von Konrad einiges abschauen: sein Mix aus Grob- und Feinplanun­g, aus zentralen und flankieren­den Maßnahmen, die sich selbst dann noch dosieren lassen, wenn sie einmal gesetzt sind. Bleibt noch eine Empfehlung: Denkprozes­se kann man lernen. Auch in Planspiele­n.

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[ MGO ] Wie das Spiel, so das Leben: Planspiele helfen, komplexe Situatione­n zu überblicke­n.
 ??  ?? Dietrich Dörner: „Die Logik des Misslingen­s“
Rororo, 346 Seiten, 11 Euro.
Dietrich Dörner: „Die Logik des Misslingen­s“ Rororo, 346 Seiten, 11 Euro.

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