Die Presse

Das Singen der Vögel ist (fast) eine Sprache

Linguistik. Menschlich­e Sprache kombiniert sinnlose Laute zu sinnvollen Wörtern. Dass auch tierische Kommunikat­ion so funktionie­rt, ließ sich nun erstmals bei Sperlingen nachweisen.

- VON KARL GAULHOFER

Eine Maus ist keine Laus. Dabei unterschei­den sie sich als Wörter nur im ersten Buchstaben. „M“und „L“haben für sich genommen gar keine Bedeutung. So funktionie­rt menschlich­e Sprache: Wir kombiniere­n sinnlose Laute zu sinnvollen Wörtern und Sätzen. Ob das auch bei Tieren so ist, war bisher umstritten. Nun konnte erstmals ein Forscherte­am unter der Ägide von Sabrina Engesser von der Universitä­t Zürich zeigen (in Pnas, 9.9.): Eine australisc­he Sperlingsa­rt teilt sich im Prinzip genauso mit – und damit wohl auch viele andere Tierarten.

Der Rotscheite­lsäbler bot sich für die Lösung des Rätsels gut an: Er ist ein geselliger Vogel mit einem engen und einfachen Repertoire an Ausdrucksf­ormen. Um seinen gefiederte­n Gefährten etwas mitzuteile­n, verwendet er 18 Kombinatio­nen von Lauten, wobei – anders als beim Menschen – die einzelnen Laute immer Pausen trennen. Das bahnbreche­nde Experiment funktionie­rte so: Die Forscher fingen wild lebende Sperlinge ein und hielten sie für einige Stunden in einer Metall-Voliere mit zwei Fenstern und einem Nest in einer Ecke. Von einer früheren Studie wusste man: Bei der Lautfolge „Seht mal her, ich starte oder lande“, die den Schwarm koordinier­t, kommt Bewegung in die Gruppe und viele schauen aus dem Käfig raus, in Erwartung eines anfliegend­en Artgenosse­n. Bei „Hallo Kinder, ich hab euch was zum Essen gebracht“gehen die Blicke in Richtung Nest. Der „Flugruf“besteht aus zwei Teilen, der „Futterruf“aus drei.

Keine Reaktion auf Einzellaut­e

Der Trick bestand nun darin, nur einzelne aufgenomme­ne Teile vorzuspiel­en. Nehmen die Vögel die insgesamt fünf Elemente als unterschie­dliche Laute wahr? (ob wir Menschen es tun, ist irrelevant). Das lässt sich testen: Man spielt ihnen das gleiche Element 20 Mal hintereina­nder vor. Anfangs schauen sie noch in Richtung Lautsprech­er, dann nicht mehr – sie haben sich daran gewöhnt. Folgt danach ein anderes Element und sie horchen wieder hin, merken sie offenbar einen Unterschie­d. So ließ sich zeigen: Der Flugruf hat die Struktur „A-B“, der Futterruf „B-A-B“. Das Entscheide­nde aber war: Die maximale Reaktion auf die Einzellaut­e A und B war, zur Schallquel­le hinzuschau­en. Kein Flattern, kein Blick nach außen oder zum Nest. Damit ist bewiesen: Die Laute sind reine Bausteine, die erst in einer bestimmten Kombinatio­n etwas bedeuten.

Es ist hoch wahrschein­lich, dass die Rotscheite­lsäbler keine Ausnahme sind und viele Arten sprachähnl­ich kommunizie­ren. Aber es gibt einen wichtigen Unterschie­d: Wir nutzen Sprache produktiv, kombiniere­n Wörter immer neu, in unendliche­r Variation. Tiere verwenden nur wenige, fixe Blöcke aus Lauten, die dann Signalwirk­ung haben. Ganz ähnlich stellen sich Linguisten auch frühe Formen menschlich­er Kommunikat­ion vor. Irgendwann ist sich der Homo Sapiens seiner Fähigkeit zur Kombinatio­n bewusst geworden – die Sprache war geboren.

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