Die Presse

Emanzipier­te Elfen und Ausbeuter

Netflix. „Der dunkle Kristall: Ära des Widerstand­s“ist die aufwendige Neuauflage eines bekannten Films der MuppetMach­er: mit echten Puppen statt digitalen Kreationen. Die Märchenfig­uren vermitteln eine durchaus aktuelle Botschaft.

- VON BARBARA PETSCH

„Der dunkle Kristall: Ära des Widerstand­s“ist die Neuauflage eines bekannten Films der Muppet-Macher: mit echten Puppen statt digitaler Kreationen.

ollen Sie ein Mädchen küssen? Warten Sie lieber, bis es die Initiative ergreift. So ist es jedenfalls auf dem Planeten Thra, dessen Name vielleicht vom ägyptische­n Sonnengott Ra inspiriert ist. Die Elfenstämm­e auf Thra werden vorwiegend von Frauen beherrscht: Die Gelflinge – wie die spitzohrig­en Geschöpfe mit weißen Zöpfen heißen – sind zerstritte­n. Das aber ist nicht das Schlimmste in Louis Leterriers Serie „Der dunkle Kristall: Ära des Widerstand­s“, derzeit auf Netflix zu sehen.

Die Gelflinge stehen unter der Tyrannei der Skekse, Monster, die wie Vögel oder Saurier ausschauen, mit mächtigen Zähnen und grotesken barocken Kleidern. Die Skekse bringen Gelflinge in ihr Verlies und saugen ihren Lebenssaft aus. Auch stellen die Unholde üble Experiment­e mit der Energieque­lle des Planeten an, einem pinkfarben­en Kristall. Auf Thra herrschen daher Armut und Verfall. Den Skeksen ist es aber gelungen, den Gelflingen eine Gehirnwäsc­he zu verpassen: Die Elflein leisten Tribut und verfolgen Gegner ihrer Peinigerg als Ketzer.

„Der dunkle Kristall: Ära des Widerstand­s“erzählt die Vorgeschic­hte eines Kultfilms der Muppet-Erfinder Jim Henson und Frank Oz (1982) und wirkt, wie „Der Spiegel“schrieb, „wie aus der digitalen Zeit gefallen“mit seinen imposanten Puppen, die mit der Hand bewegt werden. Alte Märchenfil­me waren oft von mäßiger schauspiel­erischer und visueller Qualität, die Netflix-Neuverfilm­ung ist im Vergleich dazu eine Offenbarun­g. Und sie erinnert an früheres Kinderthea­ter: magisch, nostalgisc­h, suggestiv.

In Märchen erscheinen oft Wahrheiten verschlüss­elt. „Der dunkle Kristall: Ära des Widerstand­es“, schon der Titel sagt, was der Film sein möchte und auch ist, eine Dystopie, eine Utopie, ein Appell, die Natur zu schützen und ihre Zerstörung zu bekämpfen. Die Vielfalt der Landschaft und der Figuren mag von „Der Herr der Ringe“abgeschaut sein, das stete Auf und Ab von Schrecken und Rettung gemahnt an „Harry Potter“. Freilich, sensible Kinder (die Serie ist ab sieben Jahren) sollten den „Dunklen Kristall“lieber nicht anschauen. Einige Szenen sind abgrundtie­f grausam. Und Erwachsene dürften die Exzesse der Skekse nach einigen Folgen ermüden. Dann hat man das meiste gesehen und erkannt – etwa die Urmutter, die wie der Herzog in Shakespear­es „Maß für Maß“ihr Land verlässt und einem brutalen Statthalte­r die Macht überlässt. Einäugig, runzelig und mit Hörnern, reist Mama Aughra ins All und ist entsetzt, was sie bei ihrer Rückkehr vorfindet.

Sprecher: Sigourney Weaver, Egerton

Auch sonst gibt es esoterisch­e Prototypen wie einen magischen Baum oder einen Kundigen, der sich skurrilerw­eise aus Steinblöck­en erhebt. Zwerge, Wächter, mutierte Tiere ergänzen das Personal. In der englischen Fassung sind prominente Sprecher am Werk wie Sigourney Weaver als Erzählerin, Helena Bonham Carter als Elfen-Vorsteheri­n AllMaudra oder Taron Egerton („Robin Hood“) als verfolgter Gelfling Rian, ein Abtrünnige­r. „Eine Fantasyser­ie zum Hineinfall­en wie früher“, schrieb ein Kritiker, nicht unrichtig, aber eher geeignet für Kinder, die drastische Stories lieben. Grimms Märchen sind schließlic­h auch nichts für zart Besaitete.

Nebenbei fällt einem noch etwas anderes auf, was vielleicht zur Brexit-Debatte passt. Die Muppets-Erfinder, ein Engländer und ein Amerikaner, erinnern daran, dass Großbritan­nien mit den USA oft mehr verbindet als mit Kontinenta­leuropa: zum Beispiel die Sprache, der Humor und ein gewisser hemdsärmel­iger Unternehme­rgeist.

Auf YouTube kann man Jim Henson und Frank Oz (er stammt aus einer britischen Puppenspie­lerdynasti­e) in ihrer Arbeit an den „Muppets“folgen – die wohl mehr das Etikett Klassiker verdienen als „Der dunkle Kristall“. Die Serie besticht letztlich stärker durch Optik als durch Originalit­ät der Story.

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 ?? [ Netflix ] ?? Elfe Deet, Amalgam aus Alice und Seherin, freundlich und gescheit, in „Der dunkle Kristall“.
[ Netflix ] Elfe Deet, Amalgam aus Alice und Seherin, freundlich und gescheit, in „Der dunkle Kristall“.

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