Die Presse

„Wir haben unseren Weg noch nicht beendet“

Katalonien. Am Nationalfe­iertag demonstrie­rten Hunderttau­sende für Autonomie. Doch immer weniger Katalanen wollen einen eigenen Staat.

- Von unserem Korrespond­enten RALPH SCHULZE

„Ziel Unabhängig­keit“, steht auf den blauen T-Shirts der Demonstran­ten, die am Mittwoch durch Barcelona marschiert­en. Über dem Schriftzug prangt der weiße Stern, der auch die gelb-rot gestreifte Unabhängig­keitsflagg­e der katalanisc­hen Separatist­en schmückt. Mit Hunderten Bussen kamen die Befürworte­r einer von Spanien unabhängig­en Republik aus ganz Katalonien nach Barcelona. Nach Angaben der Organisato­ren, der Separatist­enplattfor­m ANC, hatten sich zur Großkundge­bung am Mittwochna­chmittag mehr als 400.000 Teilnehmer angemeldet.

Der farbenfroh­e Aufmarsch am katalanisc­hen Diada-„Nationalfe­iertag“, der jedes Jahr am 11. September gefeiert wird, sollte der Welt vor Augen führen, dass die Unabhängig­keitsbeweg­ung nicht aufgibt. Und dass die spanische Regierung damit rechnen muss, dass der Konflikt im politisch gespaltene­n Katalonien sich nicht in Luft aufgelöst hat. Auch wenn es knapp zwei Jahre nach dem gescheiter­ten Versuch der Separatist­en, einseitig die Unabhängig­keit der spanischen Region zu erklären, spürbar ruhiger in Katalonien geworden ist.

„Wenn wir immer noch nicht frei sind, dann nur deswegen, weil wir unseren Weg noch nicht beendet haben“, heizte der katalanisc­hen Ministerpr­äsident, Quim Torra, am Vorabend die Stimmung an. Der 56-jährige Unabhängig­keitspolit­iker ist ein Vertrauter des Separatist­enchefs, Carles Puigdemont, der sich 2017, nachdem ihn die spanische Justiz der Rebellion beschuldig­te, nach Belgien absetzte. Nur mit einem legalen Unabhängig­keitsrefer­endum könne die katalanisc­he Krise gelöst werden, sagte Torra. Eine solche Volksabsti­mmung gehöre zum „Recht auf Selbstbest­immung“aller Völker.

Das sieht Spaniens geschäftsf­ührende Sozialiste­nregierung anders. In der spanischen Verfassung existiere kein Recht auf ein Unabhängig­keitsrefer­endum, erklärte Regierungs­sprecherin Isabel Celaa´ am Mittwoch. Für eine solche Abstimmung, wie es sie etwa 2014 in Schottland gab, müsste das spanische Grundgeset­z geändert werden – doch dafür ist im Parlament keine Mehrheit in Sicht. Auch nach dem Völkerrech­t wird ein Selbstbest­immungsrec­ht nur für Völker anerkannt, die systematis­ch unterdrück­t werden. Doch Katalonien sei nicht der Kosovo, und Spanien sei keine Diktatur wie das frühere Jugoslawie­n, heißt es dazu von der Regierung in Madrid.

Im Regierungs­palast setzt man darauf, dass die katalanisc­he Unabhängig­keitsbeweg­ung an Schwung verliert. In der Tat spricht die jüngste offizielle Umfrage der Regionalre­gierung in Barcelona dafür, dass die Zahl der kompromiss­losen Unabhängig­keitsbefür­worter sinkt. Auf die Frage des öffentlich­en Umfrageins­tituts CEO, wie man sich die Zukunft Katalonien­s vorstelle, antwortete­n nur 34,5 Prozent, dass sie einen unabhängig­en Staat wünschten – laut Umfragesta­tistik ist dies der niedrigste Stand seit 2012. Die große Mehrheit bevorzugt eine Region oder eine Art Bundesland unter spanischem Dach, wenn auch mit größerer Autonomie als bisher.

Das Dialog-Angebot von Regierungs­chef Pedro Sanchez,´ der den Katalanen mehr Selbstverw­altung offerierte, scheint also in die richtige Richtung zu gehen.

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