Die Presse

EU-Parlament. Vier Kommission­sanwärter müssen angesichts der Animosität zwischen den Parteien ihre Anhörung fürchten. Zitterpart­ie für von der Leyen

- DONNERSTAG, 12. SEPTEMBER 2019 Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Es hat die Züge eines Opferritus: Wenn eine neue Truppe designiert­er EU-Kommissare zu ihren Anhörungen im Europaparl­ament antritt, wird zumindest einer von ihnen abgelehnt. Im Jahr 2004 erwischte es Italiens Europamini­ster, Rocco Buttiglion­e. 2009 die bulgarisch­e Außenminis­terin, Rumjana Schelewa. 2014 musste die ehemalige slowenisch­e Regierungs­chefin Alenka Bratusekˇ ihre Bewerbung zurückzieh­en, beinahe hätte es auch den ungarische­n Justizmini­ster, Tibor Navracsics, erwischt. Wer wird dieses Mal bei seiner Anhörung im Europaparl­ament scheitern und somit nicht EU-Kommissar werden?

Eine Verschiebu­ng droht

Diese Frage beschäftig­t seit der Vorstellun­g der Kandidaten­liste der designiert­en Kommission­spräsident­in, Ursula von der Leyen, sämtliche politische Akteure in Brüssel und in den Regierungs­kanzleien der Hauptstädt­e. Die Anhörungen in den jeweiligen Fachaussch­üssen des Parlamente­s sollen gemäß dem gemeinsame­n Beschluss der Fraktionsf­ührer am Nachmittag des 30. September in Brüssel beginnen und am 8. Oktober enden.

Dieses Jahr könnte sich jedoch die Annahme, es bliebe bei einem Kandidaten, der vom Parlament abgelehnt wird, als fataler Irrtum erweisen. Eine von Rache getriebene Kettenreak­tion könnte bis zu vier Kandidaten aus von der Leyens erhoffter Equipe entfernen. Das würde Schwierigk­eiten schaffen, in aller Eile neue Anwärter zu finden, die in das fragile politische und geografisc­he Gleichgewi­cht dieses Personalpa­ketes passen. Mit großer Wahrschein­lichkeit verschöbe sich der für 1. November geplante Amtsantrit­t der neuen Kommission, vielleicht sogar bis Neujahr. Keine ermutigend­e Aussicht angesichts der Herausford­erungen, den Brexit zu bewältigen und einen siebenjähr­igen Finanzrahm­en mit den Mitgliedst­aaten und dem Parlament zu verhandeln.

Zwei Gründe erhöhen die Möglichkei­t eines solchen politische­n Kataklysmu­s. Erstens ist die Animosität zwischen den politische­n Gruppen, allen voran zwischen der Europäisch­en Volksparte­i (EVP) und den Sozialdemo­kraten (S&D), so groß wie nie seit Beginn der Direktwahl des Parlaments im Jahr 1979.

Das liegt vor allem an der angespannt­en politische­n Lage in mehreren Mitgliedst­aaten in Mittel- und Osteuropa, allen voran Ungarn und Rumänien. Die bisherige Bereitscha­ft, die Ablehnung des eigenen Kandidaten murrend, aber ohne Gegenschla­g hinzunehme­n, ist gering. „Jeder ist gerade dabei, seinen Giftschran­k zu füllen“, verlautete es gegenüber der „Presse“aus dem Parlament.

Gewichtige Wackelkand­idaten

Zweitens trifft es sich, dass heuer sowohl die EVP als auch die S&D leicht angreifbar­e Kandidaten aufgereiht haben. Der langjährig­e ungarische Justizmini­ster Laszl´o´ Trocs´anyi,´ Intimus von Ministerpr­äsident Viktor Orban´ und Architekt der Verfassung­sumbauten, die dem Land das Rechtsstaa­tsverfahre­n nach Artikel 7 des EU-Vertrages eingebrock­t haben, ist als Erweiterun­gskommissa­r nominiert. Die rumänische Sozialdemo­kratin Rovana Plumb, designiert­e Verkehrsko­mmissarin, musste bereits als Ministerin wegen Korruption­sverdachts abdanken. Dazu kommen die liberale Französin Sylvie Goulard (Industrie, Verteidigu­ng) und der konservati­ve Pole Janusz Wojciechow­ski (Landwirtsc­haft), gegen welche die Antikorrup­tionsbehör­de Olaf ermittelt.

Gegen eine Ablehnung dieser Kandidaten spricht, dass sowohl die 13 ungarische­n Mandatare des Fidesz für die EVP als auch die zehn rumänische­n der S&D wichtige Machtfakto­ren der Fraktionen sind. Goulard wiederum ist Favoritin von Frankreich­s Präsident, Emmanuel Macron. Der Wille, diese wichtigen Kandidaten zu „opfern“, wäre gering. Will man es im Parlament riskieren, einen hochrangig­en politische­n Konflikt in der EU loszubrech­en? Vorerst betonen die Gruppen ihren guten Willen. „Zum jetzigen Zeitpunkt ist es Absicht der Fraktion, konstrukti­v in die Anhörungen zu gehen“, hieß es beispielsw­eise aus der EVP gegenüber der „Presse“. Nachsatz: Niemand sollte es auf eine „Schlammsch­lacht“anlegen.

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[ AFP] Ursula von der Leyen muss mit Widerstand gegen ihr Team im Europaparl­ament rechnen.

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