Gefährliche Eiszeit in Asien
Analyse. Südkorea zerrt Japan wegen neuer Exporthürden vor die WTO. Tokio sieht darin nur eine „Normalisierung“der Beziehung. Eskaliert der Streit weiter, trifft das die globale Hightechindustrie.
Die politischen Beziehungen zwischen Japan und Südkorea haben einem neuen Tiefpunkt in der Nachkriegszeit erreicht. Am Mittwoch beschwerte sich Seoul bei der WTO über angebliche „Exportbeschränkungen“aus Tokio. Wie berichtet, kontrolliert Japan die Ausfuhr bestimmter Chemikalien für die Produktion von Smartphones und Halbleitern nach Südkorea seit 4. Juli deutlich strenger als bisher.
Die Aktion sei politisch motiviert, klagt die neue linksgerichtete südkoreanische Regierung. Und die Wurzel des Konflikts reiche bis in die japanische Kolonialzeit von 1910 bis 1945 zurück. Tokio sei verärgert über ein Urteil des Obersten Gerichtshofs in Südkorea, wonach japanische Unternehmen ehemaligen Zwangsarbeitern Entschädigung bezahlen müssten.
Japan sieht das denkbar anders. Die Frage von allfälligen Entschädigungen sei seit Jahrzehnten vertraglich geklärt. Die schärferen Exportkontrollen hätten mit der konfliktreichen Geschichte der beiden Länder nichts zu tun. Südkorea sei lediglich von einer Liste an bevorzugten Handelspartnern gestrichen worden. Und das hat seinen Grund, versichern Diplomaten hinter vorgehaltener Hand.
Japan habe das Vertrauen in Südkorea verloren, der Informationsfluss sei auf einem absoluten Minimum. Und da die betroffenen Chemikalien nicht nur für Speicherchips, sondern auch für Atomwaffen benützt werden können, habe man die Reißleine gezogen. Das sei nicht mehr als eine „Normalisierung“der Beziehung. Südkorea stehe nun auf einer Stufe mit allen asiatischen Handelspartnern.
Das inkludiert eben auch strengere Exportkontrollen bei sensiblen Produkten. International ist das kein unüblicher Vorgang. Auch die EU prüft den Export von kritischen Materialen in Länder wie Südkorea genau. Von einem echten Exportverbot kann keine Rede sein. Seit Einführung der strengeren Prüfungen Anfang Juli wurde die Ausfuhr der Chemikalien immerhin zwei Mal genehmigt.
In Südkorea kochen unterdessen die Emotionen hoch. Vor der japanischen Botschaft gibt es regelmäßig kleinere Demonstrationen. In Umfragen sprechen sich 65 Prozent der Südkoreaner für einen Boykott von japanischen Produkten aus. Im August löste die Regierung in Seoul einseitig ein Abkommen für den Austausch militärischer Information mit Japan auf. Wirtschaftlich sind die Auswirkungen des Handelsstreits noch überschaubar. Verschärft sich der Konflikt weiter, könnte er die gesamte Hightechbranche lähmen.
Aktuell produziert Japan 90 Prozent der betroffenen Chemikalien weltweit. Sie sind essenziell für den Bau von Speicherchips, ein Geschäft, das Südkorea weitgehend in der Hand hat. Bei einem Zusammenbruch des Handels käme vermutlich die gesamte Elektronikbranche ins Schleudern. Kaum ein modernes Gerät kommt heute ohne Speicherchip aus.
Bisher hat Japan stets betont, dass Südkorea natürlich weiter beliefert werde. Dennoch sind die beiden Länder, die jährlich Waren im Wert von 72,75 Milliarden Euro handeln, gut beraten, einen Konsens zu suchen, bevor ein Exportverbot in den Bereich des Denkbaren kommt. Und zwar aus eigenem Interesse: Südkoreas Chipindustrie ist das wirtschaftliche Rückgrat des Landes. Kurzfristig wird es keinen adäquaten Ersatz für Lieferungen aus Japan finden. Japan wiederum könnte aus eigener Erfahrung wissen, wie gefährlich eine weitere Eskalation hin zu einem Embargo sein kann. Vor wenigen Jahren verhängte China einen Lieferstopp von seltenen Erden nach Japan. Die Folge: Japan disponierte um, investierte in eigene Minen. Die Industrie schaffte es durch die schwierige Zeit, und das Land war am Ende sogar ein Stück weit unabhängiger von Peking.