Richterspruch für ein halbes Gasrohr
Gas. Ein EU-Gerichtsurteil über die relativ kleine Pipeline Opal dürfte große Folgen für Russlands Gasexport nach Europa haben. Warschau und Kiew triumphieren über Berlin und Moskau.
In Luxemburg hat sich zu Beginn dieser Woche möglicherweise bereits entschieden, wie und auf welchen Wegen Europa künftig seine großen Gasmengen aus Russland geliefert bekommen wird. Dabei hat der in Luxemburg beheimatete Gerichtshof der Europäischen Union in Wirklichkeit nur über das Schicksal der relativ kleinen Pipeline Opal (eine Abkürzung für Ostsee-Pipeline-Anbindungsleitung) befunden.
Diese führt von der deutschen Ostseeküste Richtung Süden bis an das deutsch-tschechische Grenzgebiet (später soll Gas auf dieser Route auch weiter nach Österreich fließen). Und – so das Urteil der EU-Richter am Dienstag – sie darf künftig nicht mehr zu 100 Prozent vom russischen Gaskonzern Gazprom für die Weiterleitung des über die Ostsee exportierten Gases genutzt werden.
Die Richter kippten damit wohlgemerkt einen Beschluss der EU-Kommission von 2016, der dem Konzern ausnahmsweise nicht nur eine partielle, sondern eine totale Nutzung von Opal erlaubt hatte, zumal die Pipeline auf lange Sicht ohnehin von niemand anderem beliefert werden kann. Der uneingeschränkte Zugang für Gazprom aber war folglich ein wichtiger Faktor für den Bau der umstrittenen zweiten Ostseepipeline Nord Stream 2 gewesen, die unter anderem von der OMV mitfinanziert wird und mit Jahresende ihren Betrieb aufnehmen soll.
In einer ersten Reaktion sagte Gazprom nun, das Gerichtsurteil auf seine juristischen und kommerziellen Folgen hin zu prüfen.
Besonders auffällig ist, dass die EU-Richter ihren Beschluss gerade jetzt gefällt haben. In den kommenden Wochen nämlich steht die große Weichenstellung bevor, auf welchen Routen das russische Gas, das immerhin über 40 Prozent der EU-Gasimporte deckt, in den Westen fließt. Die zentrale Frage dabei ist, ob Russland den mit Jahresende auslaufenden Jahrzehntevertrag über den Gastransit durch die Ukraine verlängert oder nicht. Am 19. September nehmen die Ukraine und Russland ihre Verhandlungen dazu unter Vermittlung von Brüssel wieder auf. Nach dem jetzigen Gerichtsurteil allerdings mit geänderten Kräfteverhältnissen, haben die Richter doch den Ukrainern den Rücken gestärkt.
Das ist durchaus im Sinne der EU, die ja durchsetzen möchte, dass die wirtschaftlich schwache und durch den Konflikt mit Russland weiter geschwächte Ukraine auch in Zukunft die Transitgebühren von jährlich über zwei Mrd. Dollar von Gazprom erhält. Auch Weißrussland und Polen, die das EU-Gericht angerufen hatten und massiv gegen Nord Stream 2 agitieren, wollen nicht um ihre Transitgebühren umfallen.
Führt man sich allerdings vor Augen, dass der russische Gasexport in den Westen (exklusive der 24 Mrd. Kubikmeter für die Türkei) zuletzt den Rekordwert von 176,8 Mrd. Kubikmeter erreicht hat und sich wenig an diesen Volumina ändert, so wird der ukrainische Transit ohnehin weiter gebraucht. Denn die bestehende Nord Stream 1 fasst nur 55 Mrd. Kubikmeter, die soeben entstehende Nord Stream 2 ebenso. Und über Weißrussland und Polen beträgt die Leitungskapazität nur 33 Mrd. Kubikmeter. Entsprechend pumpte Gazprom im Vorjahr denn auch immer noch 86,8 Mrd. Kubikmeter durch die Ukraine. Also auch wenn Nord Stream 2 trotz aller Widerstände in Betrieb geht, braucht es noch einen Transit durch die Ukraine. Dies sei „simple Arithmetik“, sagte daher auch Matthias Warnig, Chef der Nord Stream 2, im Vorjahr im Interview mit der „Presse“.
Solange sich freilich Moskau und Kiew nicht fix darauf – und auf die Volumina – geeinigt haben, traut die EU den Russen nicht. Aus diesem Grund hält auch Dänemark bislang die Genehmigung zum Fertigbau von Nord Stream 2 zurück. Nicht zuletzt auf Druck der USA, die künftig mehr Flüssiggas (LNG) nach Europa verschiffen möchten und vor einer steigenden Abhängigkeit Europas von russischem Gas warnen. So wie Polen, das mit dem EU-Gerichtsurteil einen Sieg über das russenfreundlichere Deutschland errungen hat.