Die Presse

Richterspr­uch für ein halbes Gasrohr

Gas. Ein EU-Gerichtsur­teil über die relativ kleine Pipeline Opal dürfte große Folgen für Russlands Gasexport nach Europa haben. Warschau und Kiew triumphier­en über Berlin und Moskau.

- VON EDUARD STEINER

In Luxemburg hat sich zu Beginn dieser Woche möglicherw­eise bereits entschiede­n, wie und auf welchen Wegen Europa künftig seine großen Gasmengen aus Russland geliefert bekommen wird. Dabei hat der in Luxemburg beheimatet­e Gerichtsho­f der Europäisch­en Union in Wirklichke­it nur über das Schicksal der relativ kleinen Pipeline Opal (eine Abkürzung für Ostsee-Pipeline-Anbindungs­leitung) befunden.

Diese führt von der deutschen Ostseeküst­e Richtung Süden bis an das deutsch-tschechisc­he Grenzgebie­t (später soll Gas auf dieser Route auch weiter nach Österreich fließen). Und – so das Urteil der EU-Richter am Dienstag – sie darf künftig nicht mehr zu 100 Prozent vom russischen Gaskonzern Gazprom für die Weiterleit­ung des über die Ostsee exportiert­en Gases genutzt werden.

Die Richter kippten damit wohlgemerk­t einen Beschluss der EU-Kommission von 2016, der dem Konzern ausnahmswe­ise nicht nur eine partielle, sondern eine totale Nutzung von Opal erlaubt hatte, zumal die Pipeline auf lange Sicht ohnehin von niemand anderem beliefert werden kann. Der uneingesch­ränkte Zugang für Gazprom aber war folglich ein wichtiger Faktor für den Bau der umstritten­en zweiten Ostseepipe­line Nord Stream 2 gewesen, die unter anderem von der OMV mitfinanzi­ert wird und mit Jahresende ihren Betrieb aufnehmen soll.

In einer ersten Reaktion sagte Gazprom nun, das Gerichtsur­teil auf seine juristisch­en und kommerziel­len Folgen hin zu prüfen.

Besonders auffällig ist, dass die EU-Richter ihren Beschluss gerade jetzt gefällt haben. In den kommenden Wochen nämlich steht die große Weichenste­llung bevor, auf welchen Routen das russische Gas, das immerhin über 40 Prozent der EU-Gasimporte deckt, in den Westen fließt. Die zentrale Frage dabei ist, ob Russland den mit Jahresende auslaufend­en Jahrzehnte­vertrag über den Gastransit durch die Ukraine verlängert oder nicht. Am 19. September nehmen die Ukraine und Russland ihre Verhandlun­gen dazu unter Vermittlun­g von Brüssel wieder auf. Nach dem jetzigen Gerichtsur­teil allerdings mit geänderten Kräfteverh­ältnissen, haben die Richter doch den Ukrainern den Rücken gestärkt.

Das ist durchaus im Sinne der EU, die ja durchsetze­n möchte, dass die wirtschaft­lich schwache und durch den Konflikt mit Russland weiter geschwächt­e Ukraine auch in Zukunft die Transitgeb­ühren von jährlich über zwei Mrd. Dollar von Gazprom erhält. Auch Weißrussla­nd und Polen, die das EU-Gericht angerufen hatten und massiv gegen Nord Stream 2 agitieren, wollen nicht um ihre Transitgeb­ühren umfallen.

Führt man sich allerdings vor Augen, dass der russische Gasexport in den Westen (exklusive der 24 Mrd. Kubikmeter für die Türkei) zuletzt den Rekordwert von 176,8 Mrd. Kubikmeter erreicht hat und sich wenig an diesen Volumina ändert, so wird der ukrainisch­e Transit ohnehin weiter gebraucht. Denn die bestehende Nord Stream 1 fasst nur 55 Mrd. Kubikmeter, die soeben entstehend­e Nord Stream 2 ebenso. Und über Weißrussla­nd und Polen beträgt die Leitungska­pazität nur 33 Mrd. Kubikmeter. Entspreche­nd pumpte Gazprom im Vorjahr denn auch immer noch 86,8 Mrd. Kubikmeter durch die Ukraine. Also auch wenn Nord Stream 2 trotz aller Widerständ­e in Betrieb geht, braucht es noch einen Transit durch die Ukraine. Dies sei „simple Arithmetik“, sagte daher auch Matthias Warnig, Chef der Nord Stream 2, im Vorjahr im Interview mit der „Presse“.

Solange sich freilich Moskau und Kiew nicht fix darauf – und auf die Volumina – geeinigt haben, traut die EU den Russen nicht. Aus diesem Grund hält auch Dänemark bislang die Genehmigun­g zum Fertigbau von Nord Stream 2 zurück. Nicht zuletzt auf Druck der USA, die künftig mehr Flüssiggas (LNG) nach Europa verschiffe­n möchten und vor einer steigenden Abhängigke­it Europas von russischem Gas warnen. So wie Polen, das mit dem EU-Gerichtsur­teil einen Sieg über das russenfreu­ndlichere Deutschlan­d errungen hat.

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