„Beamten fehlt Bewusstsein für Wettbewerb“
Interview. Der Chef der Bundeswettbewerbsbehörde, Theodor Thanner, muss sich gegen die Einflussnahme von Beamten auf seine Arbeit wehren. In Kürze wird er auch den Apothekern wieder auf die Finger klopfen – und den Baukonzernen.
Die Presse: Bei unserem letzten Gespräch sagten Sie, vor allem Beamte würden versuchen, auf die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) Einfluss zu nehmen. Die Unabhängigkeit der BWB sei in Gefahr. Wie ist Ihr Befund heute? Theodor Thanner: Es ist auszuhalten. Es gibt die eine oder andere Tendenz, dass manche Angelegenheiten einfach länger dauern. Wenn ich etwa eine IT brauche, muss ich nicht eine Woche, sondern drei Monate darauf warten. Da zeigt sich der Widerstand. Unter Beamten herrscht wenig Bewusstsein für den freien Wettbewerb. Der Beamtenapparat ist nicht reformorientiert, sondern strukturkonservativ. Aber damit muss ich umgehen.
Sie meinen die Beamten im Wirtschaftsministerium? Nicht nur, es gibt ja auch die Beamten der Kammern. Unsere Tätigkeit begreifen manche als Angriff, weil wir in der Wirtschaft tätig sind.
Sie sagen, Wettbewerb ist vielen Beamten ein Dorn im Auge? Sie finden es nicht in Ordnung, wenn die BWB die Wirtschaft bei wettbewerbswidrigem Verhalten angreift. Das zeigt nur, dass noch viel Überzeugungsarbeit notwendig ist. Nach unserem letzten Interview habe ich Briefe von Unternehmen, mit denen wir uns befassen, bekommen. In diesen Schreiben ging es um mein Privatleben. Da wurden mir Ratschläge gegeben und gedroht, dass man mich verklagen werde, wenn ich so weiterarbeite wie bisher. So etwas hat es bis dahin noch nie gegeben.
Wie haben Sie reagiert? Ich habe diese Briefe abgelegt.
Apropos Einflussnahme: Seit Jänner 2019 gibt es einen Sonderberater des Generaldirektors. Wofür brauchen Sie auf einmal einen Sonderberater? Martin Janda kommt aus dem Wirtschaftsministerium und hat reichlich Erfahrung im Umgang mit Bürokratie und mit Ministerien. Ich bin froh, dass er zu uns gekommen ist.
Im Mai 2018 hat die BWB einen ersten Teilbericht zum österreichischen Apothekenmarkt publiziert, in dem Sie eine Liberalisierung gefordert haben. Die Apotheker reagierten darauf empört. Wann werden Sie den zweiten Teilbericht vorlegen? In wenigen Wochen. Wir befassen uns darin mit der ärztlichen Versorgung im ländlichen Bereich. Dafür spielen die Hausapotheken eine sehr wichtige Rolle. Und wir sehen, dass in kleinen Gemeinden mit bis zu 5000 Einwohnern Hausapotheken schließen, wenn öffentliche Apotheken eröffnen. Das ist für die ländliche Bevölkerung negativ. Denn man vergrault auf diese Weise die Landärzte. Es gibt ohnehin schon einen großen Ärztemangel. Man sollte Medizinern die Entscheidung, aufs Land zu gehen, leichter machen, indem sie auch eine Hausapotheke haben dürfen. Man muss bedenken, dass es in den kommenden Jahren aufgrund der vielen anstehenden Pensionierungen zu einem weiteren Rückgang der Zahl an Landärzten kommen wird. Daher wäre dringend Folgendes notwendig: Die derzeit geltende Regelung, dass zwischen Haus- und öffentlicher Apotheke zwingend sechs Kilometer Abstand sein müssen, sollte aufgehoben werden.
Das forderte jüngst auch die Ärztekammer wieder. Die Apothekerkammer hingegen wehrt sich dagegen mit Vehemenz. Sie wirft uns sogar vor, dass wir für das Apothekensterben verantwortlich sind. Aber am Beispiel Schweiz, wo es längst eine Deregulierung gibt, lässt sich zeigen, dass damit kein Apothekensterben verbunden ist. Für uns steht fest: Wettbewerb in diesem Bereich kann helfen, den Ärztemangel auf dem Land zu beseitigen. Genauso wäre es auch für Gesundheitszentren auf dem Land attraktiv, Hausapotheken haben zu können. Die Apothekerkammer argumentiert, dass Ärzte mit Hausapotheken Medikamente womöglich nach wirtschaftlichen Aspekten verordnen würden. Verschreibung und Abgabe von Arzneimitteln müssten deshalb unbedingt entkoppelt sein. Das Argument geht ins Leere. Denn Ärzte sind nach den „Richtlinien über die ökonomische Verschreibweise von Heilmitteln“dazu verpflichtet, bei der Verschreibung ökonomische Kriterien zu beachten. Wenn es etwa Generika gibt, müssen sie ohnehin diese verschreiben.
Zum Baukartell, dem größten Fall, den die BWB je hatte: Bei bis zu 800 Projekten sollen Preisabsprachen getroffen worden sein. Es sind noch viel, viel mehr Projekte, davon gehe ich jedenfalls aus. Vielmehr wird die Zahl der Verfahren in den vierstelligen Bereich gehen. Bei den Untersuchungen bekommen wir immer neue Hinweise und stoßen auf immer mehr Fälle. Wie verhalten sich die betroffenen Unternehmen? Einige der 45 kooperieren intensiv, tragen zur Aufklärung bei und weisen auf neue Sachverhalte hin. Andere jedoch nicht – oder nicht mehr.
Warum nicht mehr? Es kann sein, dass ihnen Berater oder Gutachter nun davon abraten. Kosten und Mühen für die rechtliche Verteidigung werden nicht gescheut. Das kann ich verstehen, denn es geht ja auch um sehr viel. Wenn ich – um ein fiktives Beispiel zu nennen – statt 40 Millionen Euro 30 Millionen Euro zahle, dann sind eine Million Euro Berater- und Gutachterkosten gut investiertes Geld.
Wie lang werden die Ermittlungen noch dauern? Ich habe vor, die ersten Unternehmen bis zum Jahreswechsel mit unseren Ermittlungsergebnissen zu konfrontieren.
Glauben Sie, dass die meisten der betroffenen Unternehmen, die BWB um ein Settlement (Anm.: eine einvernehmliche Verfahrens
beendigung) ersuchen werden, um eine höhere Geldbuße zu vermeiden? Ja, das glaube ich schon. Es gibt Signale, sich mit uns einigen zu wollen – und das ist auch vernünftig. Die Frage ist nur, was das Kartellgericht zu dem Betrag sagt, auf den wir uns einigen.
Von welchen Dimensionen reden wir in etwa? Das kann ich derzeit noch nicht sagen. Nur eines: Sowohl die Höhe der Settlement-Beträge als auch die Geldbußen werden sicher weit über jenen von Rewe (Anm.: Settlement in der Höhe von 20,8 Mio. Euro) und Spar (Anm.: 30 Mio. Euro, die höchste bisher verhängte Geldbuße) liegen. Die Strafe bemisst sich bekanntlich nach dem Unternehmensumsatz und der Dauer des Kartellverstoßes. Und wir untersuchen immerhin einen Zeitraum von über zehn Jahren.