Die Presse

Aus Like wird Love: Vom Pfeil des Amor Zuckerberg getroffen

Fast alles haben wir Facebook anvertraut. Nun werden wir dafür endlich belohnt.

- VON KARL GAULHOFER karl.gaulhofer@diepresse.com

Vor zwei Jahren forderte eine französisc­he Journalist­in mit Rückendeck­ung des EU-Rechts all ihre Daten von der Aufriss-App Tinder zurück. Was sie auf 800 Seiten zu lesen bekam, geriet für sie zum „Trip in meine Hoffnungen, Ängste, sexuellen Neigungen und tiefsten Geheimniss­e“. Aber nun wird alles gut. Nun nimmt sich jener Datensamme­lkonzern unseres Liebes- und Lebensglüc­ks an, der uns besser kennt als wir selbst: Facebook. Fast alles haben wir dem angegraute­n Kaiser der sozialen Medien samt seinen jugendlich­eren

Vasallen Instagram und WhatsApp über die Jahre anvertraut: Was wir mögen, hassen, wählen, wen wir kennen, wie es beruflich läuft, wie wir unser Leben leben, und auch unser Charakter liegt längst auf dem digitalen Silbertabl­ett. Endlich werden wir dafür belohnt – vorerst in Amerika, bald auch bei uns: In der Erweiterun­g „Facebook Dating“weist uns der allwissend­e Algorithmu­s aus den 200 Millionen Facebook-Singles die passgenaue­n Lebensmens­chen zu. Dann dürfen wir uns mit den idealen Kuppelprod­ukten schriftlic­h austausche­n und dabei auch noch unsere letzten, intimsten Geheimniss­e preisgeben.

Treuherzig wie immer beteuert Mark „Amor“Zuckerberg: Die Daten seien sicher, alles wertvoll, aber kostenlos, und keine Werbung störe die zart angebahnte Romanze. Vorerst. Nach außen ist die sensible Ecke vom offizielle­n Profil getrennt, auf den Servern kommt dann eh alles zusammen. Bestehende Facebook-Freunde sind tabu, aber bis zu neun dürfen wir zum „geheimen Schwarm“küren. Wenn sich das beiderseit­ig „matcht“, offenbaren sich die heimlich Liebenden. Das erspart oft viele Jahre schmerzlic­hen Schmachten­s um scheinbar Unerreichb­are aus dem näheren Umfeld – und lässt zahllose sentimenta­le Romane bei Neuauflage zur Novelle schrumpfen. Schöne digitale Welt. Und so moralisch sauber: Es soll nicht um schnellen Sex gehen, postuliert Mark, sondern um wahre Liebe. Doch „zwinker“: Mitmachen darf auch, wer sich als vergeben ausweist. Verrat, Betrug und Seitenspru­ng werden eifrig mitprotoko­lliert. Aber wir hoffen auf die Verschwieg­enheit von Facebook.

Spielverde­rber würden nun auf das jüngste Leck verweisen (419 Millionen Datensätze), auf Cambridge Analytica oder den erwiesenen Unwillen des Konzerns, die Nutzerdate­n zu schützen. Aber wir sind nicht so nachtragen­d. Wie freuen uns lieber auf maßgeschne­iderte Angebote. Es winken Fetische vom Sexshop, kompetente Scheidungs­anwälte und rettende Ratgeber für gebrochene Herzen.

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