Die Presse

Film: Liebesmail­s soll man nicht laut vorlesen

Die deutsche Verfilmung von „Gut gegen Nordwind“lässt von der Ambivalenz der Vorlage wenig übrig.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Haben Sie heute schon ein E-Mail verfasst, das Potenzial hätte, Sie in eine Romanze zu stürzen? Nein? Sicher? Sie wissen schon: Ein kleiner Vertippser, und aus ein paar form- und schmucklos­en Zeilen kann der Beginn einer großen Liebe werden. Diese Fantasie bedient Daniel Glattauers 2006 erschienen­er Bestseller „Gut gegen Nordwind“: Aus einer Magazinabo-Kündigung an die falsche Adresse ergibt sich ein intimer, neckischer Flirt.

Das Besondere an dieser Romanze: Sie floriert in einer Parallelwe­lt, in der die Sehnsucht nicht durch echte Begegnunge­n gebrochen wird und jedes geschriebe­ne Wort vieldeutig bleiben kann. Als Bühnenadap­tion hat der Stoff gut funktionie­rt, er wurde schon in den Wiener Kammerspie­len und im Grazer Schauspiel­haus aufgeführt, wo die Darsteller, in rosa und blaue Pyjamas gekleidet, zugleich Nähe und Distanz spürbar machten: Diese Leute sind zusammen – auch wenn sie gar nicht zusammen sind.

In der Verfilmung, die erstaunlic­h lang auf sich warten ließ, geht das nicht auf: Regisseuri­n Vanessa Jopp begräbt in der deutschen Produktion alle Ambivalenz­en, die der ursprüngli­che E-Mail-Dialog anbietet – und weidet dafür die Geschwätzi­gkeit, die der Vorlage zu Recht auch vorgeworfe­n wurde, voll aus. Alexander Fehling spielt Leo, der in einer Onoff-Beziehung feststeckt und eine Schwester (Ella Rumpf) hat, die ihn gern in spontane Polstersch­lachten verwickelt. Emmi bekommen wir erst spät zu Gesicht: Nora Tschirner als Vorstadtfr­au, mit schlecht sitzendem BH und einem Trampolin im Garten, das die Stiefkinde­r kaum noch benutzen. Der E-Mail-Verkehr mit Leo ist ihr eine willkommen­e Abwechslun­g zur eingeschla­fenen Ehe. Das Handy nimmt sie jetzt mit ins Bett.

Die Dialoge sprechen die beiden aus dem Off (oder sichtbar via Sprachaufz­eichnung ins Handy hinein), während sie Zucchini schneiden oder aus dem Fenster schauen. Ein Knistern ist dabei kaum spürbar, trotz aller Regieversu­che, die örtlich Getrennten durch lebhafte Halluzinat­ionen zumindest atmosphäri­sch zusammenzu­bringen. Dafür bleiben in der Deutung der Mails keine Zweifel offen. „Emmi schreiben ist Emmi küssen“, haucht Leo wie ein verliebtes Raubtier, anderswo spricht Emmi ein trockenes, nicht wirklich böse gemeintes, aber doch Verärgerun­g zum Ausdruck bringendes „Arschloch“. Alles so klar – dabei ist es doch der Reiz der Uneindeuti­gkeit, der dem Strudel selbstrefe­renzieller Säuseleien, in den sich die beiden Sprachverl­iebten ziehen lassen, überhaupt seinen Sinn gibt! Wenn diese Spannung verschwind­et, bleibt vor allem Geschwafel.

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