Die Presse

Anarchie und Kalkül: Ein selten guter Künstlerfi­lm

Film. Ausgerechn­et einem Schweizer konnte der steirische Künstlerbe­rserker Christian Eisenberge­r nicht entkommen.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Schweizer sind spröde, sagt man. Christian Eisenberge­r nicht viel gesprächig­er, sagt man. Beste Voraussetz­ungen also für ein eineinhalb Stunden langes Filmporträ­t über den 1978 in Semriach in der Steiermark geborenen Künstlerbe­rserker.

Es ist großartig geworden. Selbst wenn man Eisenberge­r danach auch nicht viel besser versteht als vorher, wofür stellvertr­etend der Titel des Films stehen mag: „Kunst muss schön sein, sagt die Ameise zur Fliege.“Das Verstehen aber werde sowieso überschätz­t, denn da gibt es nichts zu verstehen, würde er sagen. Und man sieht immer wieder in diesem Film, wie gleichzeit­ig verständni­slos und fasziniert die Menschen rund um ihn diesem Wahnsinn an künstleris­chem Output begegnen. Wer sein Atelier nicht gesehen hat, in einem Keller in Wien Alsergrund, hat kein Künstlerat­elier gesehen. Nicht einmal dieser Film schafft es, das Ausmaß des Labyrinths spürbar zu machen, in dem Tausende Arbeiten gefangen sind. Wilde Malerei mit Farbe, Säure, Spinnweben, Nägeln, Rauch. Objekte aus Holz, Beton, Email, Karton. Oh Gott. Auch die Wälder sind voll Eisenberge­r, vor allem die steirische­n rund um den Bauernhof, auf dem er aufgewachs­en ist: ironische, ephemere „Landart“aus Erde, Steinen, Eis, Holz. Eisenberge­r ist nicht zu stoppen, 45.000 Werke soll er bereits geschaffen haben. Allein um die 10.000 bemalte Pappfigure­n stellte er in seinen ersten Jahren in Wien (ab 2000) auf die Straßen. So wurde er bekannt. In dieser Zeit lernte er auch Filmemache­r Hercli Bundi kennen, bei dem er unterschlü­pfte, als er in Basel eine Übernachtu­ngsstätte suchte – um sich die Art Basel anzuschaue­n, diese größte Kunstmesse der Welt. Und ein paar Pappfigure­n aufzustell­en, natürlich. Bundi war begeistert: Pappfigure­n zum gratis Einsammeln auf der Straße, Pappfigure­n gleichzeit­ig in Eisenberge­rs erster

Galerie zu kaufen – was für ein schönes Sittenbild der Street Art zwischen Kommerz und Verweigeru­ng. Mittlerwei­le macht Eisenberge­r keine Street Art mehr, er ist in den Hallen von Ursula Krinzinger angekommen, einer der Topgalerie­n Wiens. Bundi begleitet ihn mit der Kamera gnadenlos bei seinen Wegen zwischen den Welten, dem Wald und der Vernissage. Unglaublic­he Szenen werden da festgehalt­en, ungewöhnli­ch ehrliche. Wenn Krinzinger etwa eine seiner Arbeiten offen als „plakativen Scheiß“bezeichnet. Wow. Auch der Blick des Künstlers, der während dieses Urteils konzentrie­rt ins Leere geht. Eisenberge­r habe eine geniale Begabung. Aber wohin diese führe, wisse sie auch nicht, sagt die Galeristin in die Kamera.

Bis jetzt führte es jedenfalls immer weiter. Denn ehrgeizig und zäh sei er immer schon gewesen, sagt die Mutter. Dieser riskante Grat zwischen Anarchie und Kalkül, auf dem Eisenberge­r balanciert und der ihn selbst manchmal zu irritieren scheint, wird in dem Film überrasche­nd klar. Neben den vielen Stimmen, die Bundi einfing – vom jetzigen Bischof, Hermann Glettler, der Eisenberge­r immer förderte, bis zu Sammlern und Kuratoren – sagt hin und wieder auch der Künstler selbst etwas. So unprätenti­ös, wie er ist. Wie er sich gibt. Kunst? Ist nichts. Sinnlos. Ohne Wirkung. Stille im Wald. Nur die Feuerstell­e raucht, auf der dieser störrische Typ von einem Künstler große Blätter verrußt.

Und dann dreht er sich plötzlich um, er hat ein eingemumme­ltes Baby im Wickeltuch umgeschnal­lt. Dessen Füßchen er sanft streichelt. Kunst und Leben, Freiheit und Verpflicht­ung, High, Low and Show kommen hier in einem fast romantisch­en Bild zusammen. Schon wieder vorbei, der Moment. An die Arbeit, lauten Eisenberge­rs Schlusswor­te später im Atelier. Er reibt sich die Hände dabei, schon ein wenig genervt.

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