Deutschland rutscht in die Rezession
Haushalt. Österreichs wichtigster Handelspartner rutscht wohl in die Rezession. Angela Merkel hält aber am ausgeglichenen Haushalt fest. Der Druck wächst, auch von Wirtschaftsforschern.
Deutsche Wirtschaftsforscher revidieren ihre Konjunkturprognosen immer mehr nach unten: Neuesten Schätzungen zufolge wird Österreichs wichtigster Handelspartner nach dem zweiten wohl auch im dritten Quartal schrumpfen. Und damit würde das Land per Definition in die Rezession schlittern. Das deutsche DIWInstitut rechnet damit, dass Deutschland im Gesamtjahr nur mehr um 0,5 Prozent wachsen wird. Die ursprüngliche Prognose war von 0,9 Prozent ausgegangen. Im nächsten Jahr wird mit einem Plus von 1,4 Prozent gerechnet.
Kritik erntet Bundeskanzlerin Angela Merkel, weil sie an der „schwarzen Null“festhalten will – einem ausgeglichenen Haushalt also. Experten hingegen sagen, dass ein Konjunkturprogramm hilfreich wäre, zumal Deutschland bei Infrastruktur und Digitalisierung Aufholbedarf habe.
Wer das Festhalten Angela Merkels an der schwarzen Null, am ausgeglichenen Haushalt, verstehen will, muss ihre Ära vielleicht aus der Vogelperspektive in den Blick nehmen. In ihren bald 14 Kanzlerjahren fiel eine konservative Bastion nach der anderen. Deutschland stieg aus der Wehrpflicht und der Kernenergie aus und erlaubte die Ehe für Homosexuelle. Doch zugleich wurde die „schwarze Null“zum konservativen Markenzeichen der CDU-Politikerin. Und Merkel will daran festhalten, wie sie in diesen Tagen versichert.
Doch die Debatte über eine Abkehr vom ausgeglichenen Haushalt gewinnt täglich an Fahrt. Weil die Wirtschaft schwächelt. Weil sich der Staat zu Negativzinsen Geld leihen könnte. Und weil die Regierung nicht nur eine schwarze, sondern auch eine grüne Null anstrebt: ein klimaneutrales Deutschland bis 2050. Und das wird teuer.
Der Brexit tut jetzt schon weh
Für einige ist die schwarze Null daher zum „Fetisch“verkommen, zum „Selbstzweck“, zum „Dogma“. Ein ausgeglichener Haushalt sei in guten Zeiten geboten. Aber das seien eben schwierige Zeiten, sagt Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Fratzscher hat zum Pressefrühstück geladen. Der Andrang ist gewaltig. Das liegt wahrscheinlich am „R-Wort“. Das R steht für Rezession. Österreichs wichtigster Handelspartner wird nach dem zweiten wohl auch im dritten Quartal schrumpfen: Davon gehen sie beim DIW aus, auch beim Institut für Weltwirtschaft. Und dann wäre man per Definition in die Rezession geschlittert.
Die Wachstumsprognose für das Gesamtjahr haben sie beim DIW nach unten korrigiert, von 0,9 auf 0,5 Prozent heuer und von 1,7 auf auf 1,4 Prozent nächstes Jahr. Und das ist das freundliche Szenario. Es geht davon aus, dass ein NoDeal-Brexit verhindert wird. Kommt es anders, würde das den Exportweltmeister härter treffen als andere und die Wirtschaftsleistung laut DIW um 0,4 Prozent drücken.
„Rezession noch keine Krise“
Der britische EU-Austritt, noch gar nicht vollzogen, schadet Deutschland schon jetzt massiv. Nein, nicht der schwelende Handelskonflikt mit China oder den USA, sondern die schwache Nachfrage vor der Haustür, etwa aus Großbritannien, Italien und Irland, zieht die deutsche Industrie nach unten.
Trotzdem: „Eine Rezession ist noch keine Krise“, sagt DIW-Konjunkturexperte Claus Michelsen. Noch verhindern der robuste Arbeitsmarkt und der starke private Konsum Schlimmeres. Beim DIW loben sie dafür auch die in Verruf geratene Große Koalition, deren „expansive Finanzpolitik“wie „ein kleines Konjunkturprogramm“wirke. Auch die Bauwirtschaft boomt. Das sind die guten Nachrichten. Doch „das Fundament der deutschen Wirtschaft bröckelt“, sagt Michelsen. Die globale Investitionsgüternachfrage lahmt im Angesicht von Krisen und Risken. Die Zuversicht schwindet: Im zweiten Quartal brachen private Investitionen in Maschinen, Anlagen und Fahrzeuge regelrecht ein – kein gutes Zeichen.
Beim DIW raten sie nun, mit einem staatlichen Wachstumsprogramm dagegenzuhalten: „Statt sich über die niedrigen Zinsen zu beklagen, sollte die Politik diese als Chance verstehen, um klug in die Zukunft zu investieren.“Denn bei Infrastruktur und Digitalisierung hinke Deutschland ohnehin hinterher. „Wir haben uns kaputtgespart“, sagt Michelsen.
SPD-Finanzminister Olaf Scholz legte diese Woche aber Pläne für den nächsten ausgeglichenen Haushalt vor. Wobei es einen Haken gibt: Die Ausgaben für Klimaschutz fehlen. Am 20. September will die Koalition einen großen Aufschlag wagen, dann soll Schluss sein mit „Pillepalle in der Klimapolitik“, wie das Merkel formulierte. Zugleich muss man die Schuldenbremse einhalten.
Das regt den Erfindergeist von Wirtschaftsminister Peter Altmaier an. Böse Zungen sagen: Er will tricksen. Altmaier schwebt eine Klimastiftung für Bürger vor. Über eine mit zwei Prozent verzinste Anleihe soll privates Geld für Klimaschutzmaßnahmen eingesammelt werden. Für den Steuerzahler wäre das wohl kein gutes Geschäft, weil sich der Staat auf den Märkten deutlich billiger Geld leihen könnte. Das will er aber in dem Fall nicht. Noch nicht.