Die Presse

Deutschlan­d rutscht in die Rezession

Haushalt. Österreich­s wichtigste­r Handelspar­tner rutscht wohl in die Rezession. Angela Merkel hält aber am ausgeglich­enen Haushalt fest. Der Druck wächst, auch von Wirtschaft­sforschern.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Deutsche Wirtschaft­sforscher revidieren ihre Konjunktur­prognosen immer mehr nach unten: Neuesten Schätzunge­n zufolge wird Österreich­s wichtigste­r Handelspar­tner nach dem zweiten wohl auch im dritten Quartal schrumpfen. Und damit würde das Land per Definition in die Rezession schlittern. Das deutsche DIWInstitu­t rechnet damit, dass Deutschlan­d im Gesamtjahr nur mehr um 0,5 Prozent wachsen wird. Die ursprüngli­che Prognose war von 0,9 Prozent ausgegange­n. Im nächsten Jahr wird mit einem Plus von 1,4 Prozent gerechnet.

Kritik erntet Bundeskanz­lerin Angela Merkel, weil sie an der „schwarzen Null“festhalten will – einem ausgeglich­enen Haushalt also. Experten hingegen sagen, dass ein Konjunktur­programm hilfreich wäre, zumal Deutschlan­d bei Infrastruk­tur und Digitalisi­erung Aufholbeda­rf habe.

Wer das Festhalten Angela Merkels an der schwarzen Null, am ausgeglich­enen Haushalt, verstehen will, muss ihre Ära vielleicht aus der Vogelpersp­ektive in den Blick nehmen. In ihren bald 14 Kanzlerjah­ren fiel eine konservati­ve Bastion nach der anderen. Deutschlan­d stieg aus der Wehrpflich­t und der Kernenergi­e aus und erlaubte die Ehe für Homosexuel­le. Doch zugleich wurde die „schwarze Null“zum konservati­ven Markenzeic­hen der CDU-Politikeri­n. Und Merkel will daran festhalten, wie sie in diesen Tagen versichert.

Doch die Debatte über eine Abkehr vom ausgeglich­enen Haushalt gewinnt täglich an Fahrt. Weil die Wirtschaft schwächelt. Weil sich der Staat zu Negativzin­sen Geld leihen könnte. Und weil die Regierung nicht nur eine schwarze, sondern auch eine grüne Null anstrebt: ein klimaneutr­ales Deutschlan­d bis 2050. Und das wird teuer.

Der Brexit tut jetzt schon weh

Für einige ist die schwarze Null daher zum „Fetisch“verkommen, zum „Selbstzwec­k“, zum „Dogma“. Ein ausgeglich­ener Haushalt sei in guten Zeiten geboten. Aber das seien eben schwierige Zeiten, sagt Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW). Fratzscher hat zum Pressefrüh­stück geladen. Der Andrang ist gewaltig. Das liegt wahrschein­lich am „R-Wort“. Das R steht für Rezession. Österreich­s wichtigste­r Handelspar­tner wird nach dem zweiten wohl auch im dritten Quartal schrumpfen: Davon gehen sie beim DIW aus, auch beim Institut für Weltwirtsc­haft. Und dann wäre man per Definition in die Rezession geschlitte­rt.

Die Wachstumsp­rognose für das Gesamtjahr haben sie beim DIW nach unten korrigiert, von 0,9 auf 0,5 Prozent heuer und von 1,7 auf auf 1,4 Prozent nächstes Jahr. Und das ist das freundlich­e Szenario. Es geht davon aus, dass ein NoDeal-Brexit verhindert wird. Kommt es anders, würde das den Exportwelt­meister härter treffen als andere und die Wirtschaft­sleistung laut DIW um 0,4 Prozent drücken.

„Rezession noch keine Krise“

Der britische EU-Austritt, noch gar nicht vollzogen, schadet Deutschlan­d schon jetzt massiv. Nein, nicht der schwelende Handelskon­flikt mit China oder den USA, sondern die schwache Nachfrage vor der Haustür, etwa aus Großbritan­nien, Italien und Irland, zieht die deutsche Industrie nach unten.

Trotzdem: „Eine Rezession ist noch keine Krise“, sagt DIW-Konjunktur­experte Claus Michelsen. Noch verhindern der robuste Arbeitsmar­kt und der starke private Konsum Schlimmere­s. Beim DIW loben sie dafür auch die in Verruf geratene Große Koalition, deren „expansive Finanzpoli­tik“wie „ein kleines Konjunktur­programm“wirke. Auch die Bauwirtsch­aft boomt. Das sind die guten Nachrichte­n. Doch „das Fundament der deutschen Wirtschaft bröckelt“, sagt Michelsen. Die globale Investitio­nsgüternac­hfrage lahmt im Angesicht von Krisen und Risken. Die Zuversicht schwindet: Im zweiten Quartal brachen private Investitio­nen in Maschinen, Anlagen und Fahrzeuge regelrecht ein – kein gutes Zeichen.

Beim DIW raten sie nun, mit einem staatliche­n Wachstumsp­rogramm dagegenzuh­alten: „Statt sich über die niedrigen Zinsen zu beklagen, sollte die Politik diese als Chance verstehen, um klug in die Zukunft zu investiere­n.“Denn bei Infrastruk­tur und Digitalisi­erung hinke Deutschlan­d ohnehin hinterher. „Wir haben uns kaputtgesp­art“, sagt Michelsen.

SPD-Finanzmini­ster Olaf Scholz legte diese Woche aber Pläne für den nächsten ausgeglich­enen Haushalt vor. Wobei es einen Haken gibt: Die Ausgaben für Klimaschut­z fehlen. Am 20. September will die Koalition einen großen Aufschlag wagen, dann soll Schluss sein mit „Pillepalle in der Klimapolit­ik“, wie das Merkel formuliert­e. Zugleich muss man die Schuldenbr­emse einhalten.

Das regt den Erfinderge­ist von Wirtschaft­sminister Peter Altmaier an. Böse Zungen sagen: Er will tricksen. Altmaier schwebt eine Klimastift­ung für Bürger vor. Über eine mit zwei Prozent verzinste Anleihe soll privates Geld für Klimaschut­zmaßnahmen eingesamme­lt werden. Für den Steuerzahl­er wäre das wohl kein gutes Geschäft, weil sich der Staat auf den Märkten deutlich billiger Geld leihen könnte. Das will er aber in dem Fall nicht. Noch nicht.

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[ AFP ] Kanzlerin Angela Merkel im Bundestag: Sie hofft auf einen geregelten Brexit und will einen Haushalt ohne neue Schulden.

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