Netanjahus Russland-Connection
Israel. Der Premier trifft keinen anderen Staatsmann häufiger als Wladimir Putin. Es geht um die Koordination im Syrien-Krieg, nebenbei aber auch um die Wähler mit russischen Wurzeln in Israel.
Bibi Netanjahu auf Du und Du mit den Führern der Weltmächte: Das suggerieren die überlebensgroßen Poster und Plakate, die in Tel Aviv affichiert sind – einmal beim Handshake mit Donald Trump, einmal mit Wladimir Putin. Das Hauptquartier der Likud-Partei zeigt auf der einen Seite den israelischen Premier mit dem US-Präsidenten und auf der anderen mit dem russischen Präsidenten – ein fast janusköpfiges Bild.
Es widerspiegelt das Motto der Wahlkampagne Netanjahus, mit dem er schon in den Wahlkampf für die Knesset-Wahl im April gezogen ist: „In einer anderen Liga“. Niemand, so das Kalkül, vertrete die Interessen Israels in der Welt effizienter als der 69-jährige Langzeitpremier, der erstmals 1996 ins Amt kam, als Bill Clinton in Washington regierte und Boris Jelzin in Moskau. In den vergangenen zehn Jahren hat sich Netanjahu das Image des „Mister Security“erschaffen, und das spielt er bei seinen Auslandsbesuchen voll aus. Bei seiner Stippvisite in London bei Boris Johnson ging es ihm in der Vorwoche darum, sich als Brandmauer gegen den Einfluss des Iran im Nahen Osten zu präsentieren und mögliche Verhandlungen mit dem Mullah-Regime in Teheran zu hintertreiben.
So sehr Netanjahu den Kontakt mit den USA pflegt und insbesondere auf die Loyalität der Trump-Regierung setzt: In den vergangenen vier Jahren – seit dem Engagement Russlands im Syrien-Krieg – hat er keinen Politiker von Weltrang öfter getroffen als Wladimir Putin. Ein gutes Dutzend Mal hat er sich persönlich mit dem Kreml-Herrn über den heiklen Einsatz im syrischen Bürgerkrieg abgestimmt. Russland ist mit Diktator Bashar al-Assad und den iranischen Revolutionsgarden verbündet, während Israel immer öfter iranische Truppen und Waffenlieferungen an die Hisbollah ins Visier nimmt. 2018 wäre es deshalb beinahe zu einer Konfrontation gekommen, als die syrische Luftabwehr statt eines israelischen Kampfjets ein russisches Aufklärungsflugzeug abschoss.
Am Donnerstagabend flog Israels Premier also erneut zu einem Treffen mit Putin nach Sotschi, dessen bevorzugte Residenz am Schwarzen Meer. Das Gespräch erstreckte sich über mehrere Stunden, und Netanjahu wies erneut auf die Bedrohung durch den Iran und die jüngste militärische Eskalation mit der Hisbollah im Libanon hin. Er sicherte sich freie Hand gegen Teheran. Hätte er nicht seine Verbindungen zu Putin spielen lassen, hätte es in Syrien zwischen Russland und Israel öfter gekracht, betonte Netanjahu am Rande der Sotschi-Visite. Putin gab das Kompliment zurück und bekräftigte, die Zusammenarbeit habe eine „neue Qualität“erreicht. Zudem sagte er sich für Anfang 2020 zu einem Besuch in Jerusalem an.
Netanjahus Russland-Connection und sein jüngster Trip zu seinem „Männerfreund“bekommt indes auch vor dem Hintergrund der Parlamentswahl am Dienstag eine besondere Bedeutung. In Israel leben mehr als eine Million Juden mit Wurzeln in den früheren Sowjetrepubliken, rund zwölf Prozent der Wähler. Überwiegend sind die „Russen“, als die sie in Israel firmieren, nach dem Kollaps der ehemaligen Sowjetunion emigriert. Sie gelten als überaus konservativ und als Verfechter der jüdischen Siedlungen in Ostjerusalem und im Westjordanland. Die Palästinenser sind für sie „Fremdkörper“.
Nachdem die Koalitionsverhandlungen zwischen Netanjahu und Israel Beitenu (Unser Haus Israel), der Partei des Ex-Außen- und Verteidigungsministers Avigdor Lieberman, im Juli wegen des Konflikts um den Militärdienst für die Ultraorthodoxen geplatzt waren, setzte ein erbittertes Buhlen um das Wählerreservoir der „Russen“ein. Sie zählen zur Stammklientel Liebermans, der aus der Ex-Republik Moldawien stammt, nach wie vor einen schweren russischen Zungenschlag hat und seine politische Karriere als Bürochef Netanjahus im Likud begonnen hat.
Bei der Wahl im April erzielte Lieberman lediglich fünf Mandate, die ihm jedoch die Rolle des Königsmachers einbrachten. Wie hoch sein Potenzial ist, zeigte sich indessen vor zehn Jahren, als Israel Beitenu zur drittstärksten Kraft in der Knesset avancierte und Lieberman sich als Machtfaktor etablierte.
Im Kampf um die „Russen“setzt Netanjahu neuerdings eine „Geheimwaffe“ein: Yuli Edelstein, Parlamentspräsident und nominell die Nummer zwei des Likud. Edelstein, im ukrainischen Czernowitz geboren, tourt im Wahlkampf in den Hochburgen der russischstämmigen Israelis, um seinen Chef als Garanten für die Sicherheit des Landes und als Schöpfer des Wirtschaftsbooms anzupreisen – und als internationale Größe auf Augenhöhe mit Trump, Putin und Co.