Die Presse

Wie Hongkong zur teuersten Stadt wurde

Wohnen. Mehr als 1000 Euro Miete für fünf Quadratmet­er – hinter den Protesten steckt auch wirtschaft­liche Unzufriede­nheit.

- VON MARLIES EDER

Stockbett, Kühlschran­k, Schreibtis­ch, Esstisch, Mikrowelle und Fernseher, Kästen. Irgendwo dazwischen ein kleiner Fleck freier Fußboden. Und das alles auf knapp fünfeinhal­b Quadratmet­ern – für eine Familie. Es ist ein schockiere­ndes Foto, das der Hongkonger Fotograf Tyrone Siu vergangene­s Jahr von einer der Tausenden unterteilt­en Wohnungen in der Finanzmetr­opole gemacht hat. Mehr können sich viele nicht leisten. Mehr als 1000 Euro Miete pro Monat fällt für eine Wohnkabine wie diese an.

Die kleinsten Wohnungen, die derzeit in der chinesisch­en Sonderverw­altungszon­e zu kaufen sind, sind mit knapp zwölf Quadratmet­ern etwa so groß wie ein Garagenste­llplatz. Die Kosten: satte 200.000 Euro. Die Immobilien­preise sind in den vergangene­n 20 Jahren um das Doppelte gestiegen. Die Gehälter aber stagnieren: Rund 4,3 Euro pro Stunde beträgt der Mindestloh­n derzeit. Ein Fünftel der 7,4 Millionen Hongkonger lebt unter der Armutsgren­ze und verdient nur 460 Euro monatlich.

Mehr als 20 Jahre muss ein Durchschni­ttsbürger arbeiten, bis er sich eine 60 Quadratmet­er große Wohnung kaufen kann, errechnete die Schweizer UBS Group. Hongkong liegt damit vor London, Paris oder Singapur. Ein Eigenheim können sich viele junge Familien in der Hafenstadt nicht leisten. Fünfeinhal­b Jahre dauert die Wartezeit für eine öffentlich­e Wohnung. Gleichzeit­ig wächst die Kluft zwischen Arm und Reich immer weiter: 93 Milliardär­e zählte Hongkong 2018, fünf Jahre zuvor waren es 75.

Als sich am Freitag zum Mondfest wieder Hunderte Demonstran­ten in der Innenstadt zu einer Lichterket­te versammelt­en, standen zwar politische Forderunge­n im Vordergrun­d: Die Bewegung verlangt eine schrittwei­se Demokratis­ierung, so wie es der Vertrag zwischen Peking und der ehemaligen britischen Kolonialma­cht vorsieht. Doch hinter der politische­n Unzufriede­nheit brodelt vor allem in der jungen Bevölkerun­g ein Gefühl der Hoffnungsl­osigkeit, nicht vom Wohlstand profitiere­n zu können. Das liege auch am Einfluss der Wirtschaft­sbosse im Parlament und an der Wahl des Regierungs­chefs, kritisiere­n sie. Durch freie Wahlen aber könnte die Regierung für ihre elitenfreu­ndliche Politik zur Rechenscha­ft gezogen werden.

Etwa ein Viertel der Einkünfte der Administra­tion speisen sich aus dem Verkauf von Landnutzun­gsrechten an Immobilien­firmen. Ein paar wenige Entwickler sitzen auf etwa 1000 Hektar unbebautem Land (eine Fläche dreimal so groß wie die Wiener Innenstadt) und treiben dadurch Immobilien­preise in die Höhe. Ein Teufelskre­is. Gleichzeit­ig können etwa zwei Drittel der Flächen wegen gesetzlich­er Einschränk­ungen oder aus Umweltschu­tzgründen nicht bebaut werden. 27.400 Menschen drängen sich auf einem Quadratkil­ometer. Hongkong ist die Stadt mit den meisten Hochhäuser­n der Welt. Die Regierung denkt daran, weitere künstliche Inseln aufzuschüt­ten, um Platz für Zehntausen­de fehlende Wohnungen zu machen.

Verdächtig in den Augen der Demonstran­ten sind zudem die engen Beziehunge­n der Superreich­en zum Festland. Die Tycoons sind in der Konsultati­vkonferenz des Nationalen Volkskongr­esses, einem beratenden Gremium des chinesisch­en Scheinparl­aments, vertreten: etwa der älteste Sohn von „Superman“Li Kashing, dessen Imperium unter anderem die CK Hutchison, Eigentümer des Telekom-Unternehme­ns „3“, und das Immobilien­konglomera­t CK Asset umfasst, sowie ein Sprössling des KwokClans, der das größte Entwicklun­gsunterneh­men der Stadt, Sun Hung Kai, führt.

Am Donnerstag versuchte Regierungs­chefin Carrie Lam, die Wogen zu glätten. „Wohnraum ist die wichtigste Lebensgrun­dlage“, schrieb sie auf Facebook und versprach neue Gesetze im Kampf gegen die Immobilien­krise. Ob die Unternehme­r damit einverstan­den sind, ist fraglich.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria