Die Presse

Aufstand der Nullzins-Rebellen

Geldschwem­me. In der EZB hat es einen beispiello­sen Schlagabta­usch um die weitere Lockerung der Geldpoliti­k gegeben. Noch-EZB-Chef Mario Draghi konnte sich trotzdem durchsetze­n.

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Frankfurt/Wien. Die erneute Lockerung der Geldpoliti­k ist im Führungsgr­emium der Euro-Notenbank EZB auf überrasche­nd starken Widerstand gestoßen: Fast die Hälfte der 25 Teilnehmer an der jüngsten Sitzung sprachen sich gegen den Plan von EZB-Chef Draghi aus, den Einlagenzi­nssatz für Banken auf minus 0,5 Prozent zu erhöhen sowie die Ende des Vorjahres eingestell­ten Ankäufe von EuroStaats­anleihen wieder aufzunehme­n und so lange weiterzufü­hren, bis echter Zinsdruck nach oben entsteht.

Unter den „Rebellen“fanden sich unter anderem die Notenbankc­hefs von Deutschlan­d, Österreich, Holland, Estland und Frankreich, auch die Direktoriu­msmitglied­er Benoˆıt Coeure´ (Frankreich) und Sabine Lautenschl­äger (Deutschlan­d) sprachen sich gegen Draghi aus.

Allerdings vergeblich: Abgestimmt wurde nicht, und der Draghi-Plan ging durch. Der gescheiter­te Aufstand des „Stabilität­sblocks“innerhalb der Eurozone hatte sich weniger an den Einlagenzi­nsen als vielmehr an der Wiederaufn­ahme der Staatsanle­ihenkäufe entzündet. Bis zu 20 Mrd. Euro will die EZB ab November für solche Käufe pro Monat ausgeben.

„Möglicherw­eise ein Fehler“

Die Notenbankc­hefs lehnten nach der Sitzung eine Stellungna­hme ab. Nur der neue österreich­ische OeNB-Gouverneur, Robert Holzmann, durchbrach das traditione­lle Schweigege­lübde: Er meinte im Gespräch mit dem Finanzsend­er Bloomberg TV, die Wiederaufn­ahme der Anleihenkä­ufe sei „möglicherw­eise ein Fehler“.

Es habe „einige Opposition“gegen den Draghi-Vorstoß gegeben, und man habe intensiv und kontrovers die Frage diskutiert, wie wirksam eine weitere geldpoliti­sche Lockerung noch sein könne. Er selbst sehe die Maßnahmen als „nicht nachhaltig“an.

Allerdings glaubt Holzmann nicht, dass die EZB bald einen Weg aus der Geldschwem­me findet. Die ultralocke­re Geldpoliti­k werde „nicht morgen“und „nicht übermorgen“enden, er glaube aber nicht, dass sie „Jahrzehnte Bestand“habe, meinte der österreich­ische Notenbankc­hef.

Bei den Banken, deren Margen unter den Niedrigzin­sen leiden, ist das EZB-Paket gemischt aufgenomme­n worden: Sie müssen formell zwar höhere Negativzin­sen für ihre Einlagen bei der EZB zahlen, in der Praxis wird ihre Zinsbelast­ung aus diesem Titel insgesamt aber sinken. Der Grund dafür ist, dass die EZB eine Staffelung dieser Strafzinse­n je nach Einlagenhö­he durchführt.

Bankenaufs­icht alarmiert

Trotzdem zeigt sich die deutsche Bankenaufs­icht alarmiert: Das bei der Deutschen Bundesbank für die Bankenaufs­icht zuständige Vorstandsm­itglied, Joachim Wuermeling, meinte, die traditione­ll wichtigste Einnahmenq­uelle der Banken, das Zinsgeschä­ft, werfe in der derzeitige­n Situation kaum noch etwas ab.

Nach Angaben des Bundesbank-Vorstands haben die deutschen Kreditinst­itute mit 100 Euro an verliehene­m Sparguthab­en noch 1,72 Euro verdient. Jetzt liege diese Spanne schon unter einem Euro.

Minuszinse­n für Private?

Möglicherw­eise wird diese Entwicklun­g auch ein Tabu brechen: Es könne betriebswi­rtschaftli­ch und aus Sicht der Bankenaufs­icht durchaus notwendig werden, dass Banken über Negativzin­sen und höhere Gebühren für Privatkund­en nachdenken.

Der Chef des Centrums für Europäisch­e Politik, Lüder Gerken, meinte, der Versuch der EZB, die haushaltsp­olitischen Versäumnis­se der Eurostaate­n auszugleic­hen, werde nicht gelingen.

In den europäisch­en Leitmedien wurde die EZB-Entscheidu­ng überwiegen­d negativ bewertet. Die „NZZ“schrieb etwa, die Notenbank betreibe „wilden Aktionismu­s“, was als „Zeichen der Ohnmacht“zu werten sei. Deftiger war der Boulevard: Die Online-„Bild“-Zeitung titelte: „So saugt Graf Draghila unsere Konten leer“. (red./ju)

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[ Reuters ] EZB-Tower in Frankfurt: Der Draghi-Kurs war zuletzt heftig umstritten.

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