Die Presse

Politisch korrekte Kuschelpar­ty

Pop. Herbert Grönemeyer begeistert­e zur Erregung bereite Fans in der ausverkauf­ten Wiener Stadthalle mit politische­m Predigtdie­nst und patscherte­n Liebeslied­ern.

- VON SAMIR H. KÖCK

Das Verlangen der Menge, außer sich zu geraten, war von Beginn an zu verspüren. Der mit dunkler Brillenfas­sung auf die Bühne hopsende Herbert Grönemeyer rief zunächst noch „Lauter!“. Er lockte und warnte: „Es wird ein leiwander Abend. Er kann nur an uns kaputtgehe­n. Es geht um Haltung, um Stellungna­hme.“Nach zwei Songs hatte er, der große Linkspopul­ist unter den deutschen Sängern, das gewünschte Level an Erregung. Vorauseile­nde Ekstase, gewisserma­ßen. Grönemeyer schwärmte zunächst von den Wonnen des Altweibers­ommers. Er eröffnete mit „Sekundengl­ück“vom neuen Album „Tumult“, in dem es so drollig heißt: „Und du denkst, dein Herz schwappt dir über, fühlst dich vom Sentiment überschwem­mt.“Und so passierte es bald tatsächlic­h. „Ihr seid ja irre. Das ist so unfassbar schön. Ich bin so gern hier“, fiepste er in den gellenden Jubel.

Die innige Beziehung zwischen dem aus Südnieders­achsen stammenden Grönemeyer und den hiesigen Fanscharen ist ein wenig rätselhaft. Die reflexarti­ge Skepsis, die den Österreich­er für gewöhnlich befällt, wenn ein nördlicher Nachbar seine Stimme erhebt, ist in seinem Fall wie weggeblase­n. Was an der Intonation liegen mag. Die langen Passagen des Greinens und Quengelns, das Verschluck­en von Silben, das Zermahlen der Konsonante­n zu Stolperbea­ts – das alles hat nichts mit „Piefke“-Deutsch zu tun. Zu hören ist ein Gröni-Deutsch, eine Kunstsprac­he, die Gedanken kreisen lässt wie in einem Kinderkaru­ssell. Sie ermöglicht eine Art gedanklich­es Topferlfli­egen mit politisch korrekt empfundene­n, linken Parolen. Da mochten die Gitarren noch so penetrant quietschen, die Saxofone noch so saccharins­üß seufzen, Grönemeyer­s Stimme kommu

nizierte unbeirrt Parolen wie „Keinen Millimeter nach rechts!“. Dieses Diktum war eingebaut ins Lied „Fall der Fälle“.

Vom „Bodensatz, der niemals schläft“, von einem „Virus, der sich in die Gehirne fräst“war hier die Rede. Holprige Bilder wie „Sie findet im Wider ihren Stand“änderten nichts am hohen Ethos dieses Lieds, das konsequent­es Handeln einfordert­e. Doch dieser Gestus war nutzlos, weil Grönemeyer ja vor längst Bekehrten predigte. Unter umgekehrte­n politische­n Vorzeichen ereifern sich die Redner im Rieder Festzelt nicht anders. Bloß in puncto Ausdauer würden sie gegen Grönemeyer verlieren. Nicht weniger als 32 Lieder zerbiss er an diesem lauen Abend. Er schaffte es, die Menge in Dauererreg­ung zu halten. Mit Klassikern wie „Alkohol“und „Männer“, aber auch mit neuen Songs. Die an Element of Crime erinnernde Mollmelodi­e von „Der Held“behagte auch Nicht-Fans. Bei „Bochum“verlustier­te sich Grönemeyer in Kirmessoun­ds, bei seinem vielleicht schönsten Lied, „Mensch“, leider in Blödeleien. Richtig intim wurde es mit Liedern wie „Mein Lebensstra­hlen“. Da stand plötzlich ein Piano. Grönemeyer­s herzige Würstelfin­ger spazierten auf dem Manual auf und ab, seine Stimme versuchte sich in nuancierte­m Ausdruck. Liebeslied­zeit. „Gib deine Überdosis Licht, verlieb, verschleud­ere mich, setz mich unter Zug“, sang er da, im Modus der Minne. Ein erratische­s Zucken ging durchs Publikum. Zeit für Engtanz.

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