Niederösterreicher kühlen Europas neue Weltraumraketen
Ruag Space Austria in Berndorf hat ein leichtes Verbundmaterial entwickelt, aus dem sich Hitzedämmelemente für Raketentriebwerke schneidern lassen. Sie kommen ab 2020 bei der neuen europäischen Ariane 6 zum Einsatz – und könnten ein Weltmarkterfolg werden
Wenn 2020 die erste europäische Rakete der neuen Serie Ariane 6 vom Startplatz Kourou in Französisch-Guayana mit Donner und Feuer gen Himmel steigt, wird Technik aus Niederösterreich an Bord sein, die für deren Hersteller gleichermaßen etwas Altbekanntes wie etwas Neues ist. Wie das geht?
Die Firma – Ruag Space Austria in Berndorf am Rand des Wiener Beckens – ist speziell für Thermoisolationsfolien bekannt. Damit umhüllt man Kernsysteme von Satelliten und Raumsonden wie Zuckerln, damit sie vor den rauen Temperaturen im All geschützt in einem gleichmäßigen Temperaturbereich arbeiten können. Auf sonnenabgewandten Seiten von Satelliten hat es minus 150 Grad und weniger, auf sonnenzugewandten plus 150 Grad und mehr. Die Differenz hängt von der Höhe des Orbits ab und wird bei Dingen, die tief ins All fliegen, noch größer.
Bei Ariane 6 sind die Ansprüche an die außen meist gold- und silberfarbenen Folien, mit denen die Berndorfer zumindest in Europas Space-Markt ein Monopol haben, indes weit härter: Vor zwei Jahren kam vom Ariane-Hersteller Ariane Group, einem bei Paris ansässigen Joint Venture von Airbus und der französischen Firma Safran, der Auftrag, Isolationen für die Haupttriebwerke der Ariane 6 zu entwickeln: also für den Vulcain-Motor der Stufe eins und den Vinci-Motor der Oberstufe. Sie erzeugen um sich herum Temperaturen von 1500 Grad und mehr.
Es gilt, Teile der Triebwerke voneinander abzuschirmen und Nahbereiche des Raketenkörpers zu schützen, etwa Triebwerksaufhängung, Raketenhülle und Treibstoffleitungen mit ihrem Inhalt aus Flüssigwasserstoff und -sauerstoff. Bisher machte man solche Dämmungen etwa aus Keramik, Grafit und mit Kühlsystemen. Aktuelle Schutzfolien halten laut Andreas Buhl, Geschäftsführer von Ruag Space Austria, etwa 600 Grad aus. Also musste man sich Neues überlegen. Es gelang: Man konnte vom über fast 30 Jahre gesammelten Wissen viel ableiten, so Buhl – und hat nun ein neues Produkt, das man weltweit anbietet, zuletzt beim US-Raketenbauer United Launch Alliance.
Am Donnerstag wurde in Berndorf eine neue Halle für die Fertigung des Hitzeschutzes eingeweiht. Dieser besteht aus vielen dünnen Lagen aus Stoffen wie Glas- und Keramikfaser, Metallen und Filz. Sie werden von Fachkräften übereinandergelegt, zurechtgeschnitten und mit Fäden aus Keramik, die spröde sind und leicht brechen, händisch zusammengenäht. Das ergibt Einzelanfertigungen von Elementen, die für die Ariane 6 einige Zentimeter dick und außen grau bis rosa sind.
„Sie wollen das sicher nicht angreifen“, warnt eine Schneiderin, die so ein polsterartiges Teil bei der Einweihungsfeierlichkeit in behandschuhten Händen hält. „Das sind Mikrofasern. Das nadelt ziemlich. Wie bei Tellwolle, aber ärger.“Kaum zu glauben, dass das weich aussehende Ding Hitze trotzt, bei der Eisen schmilzt. Allerdings muss es das relativ kurz: Der Vulcain-Motor brennt siebeneinhalb Minuten, Vinci auch nur bis zu 15 Minuten. Letzteren kann man mehrfach ein- und ausschalten, um Satelliten an verschiedenen Positionen abzusetzen.
Ariane 6 löst bis 2023 Ariane 5 ab, die seit 1996 fliegt und eine Erfolgsrate von 96 Prozent hat. Die Neue soll mit Startkosten von 75 bis 90 Mio. Euro (Daten von 2014) 40 Prozent billiger sein und die jährlichen Starts auf zwölf verdoppeln. Sie kann bis zu 21 Tonnen Fracht in niedrige Orbits fliegen, entsprechend weniger auf höhere Bahnen.
Der bisherige Auftrag liege vorerst im niedrigen Millionen-EuroBereich, sagt Buhl. Zehn zusätzliche Jobs für hoch qualifiziertes Personal wurden geschaffen. Ruag Space Austria beschäftigt in Berndorf etwa 25 Personen, samt der Zentrale in Wien sind es 250. Man fertigt auch elektronische und mechanische Teile für Satelliten und Raketen, Wärmeisolationen etwa für medizinische Geräte und ist Österreichs größte Raumfahrtfirma. Gegründet in den 1980ern als Tochter von Saab Ericsson Space gehört die Firma seit 2008 zum Schweizer Ruag-Konzern. Der entstand 1998 aus Firmen des Schweizer Militärs und ist aktuell zu etwa 44 Prozent im militärischen und zu 56 Prozent im zivilen Sektor tätig.