Die Presse

Ein Ende in Sicht?

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Zwei fundamenta­le Behauptung­en dominieren die Debatte: Die Wirtschaft kann und muss wachsen, andernfall­s drohen Arbeitslos­igkeit, unlösbare politische Konflikte, der Fortbestan­d von Armut, gesellscha­ftlicher Stillstand. Oder: Die Wirtschaft kann nicht ewig wachsen. Es gehen die Ressourcen aus, insbesonde­re wird durch einen Wandel des Klimas das Überleben der Menschheit gefährdet.

Beide Behauptung­en haben großen Einfluss im politische­n Geschehen. Für beide Behauptung­en gibt es Unterstütz­ung von guten Wissenscha­ftlern. Es können aber nicht beide Behauptung­en richtig sein. Was kann die Ökonomie dazu sagen?

Eine Vorfrage: Warum ist es gut, wenn Wirtschaft­en wachsen? Die Antwort ist einfach: Die Bevölkerun­g in der Welt wächst, und es gibt noch sehr viel Armut. In den reichen Ländern ist es prinzipiel­l denkbar, dass durch Umverteilu­ng Armut bekämpft werden kann. In den armen Staaten geht das nicht, auch durch eine Umverteilu­ng von der reichen Welt zu den armen Ökonomien kann Armut nicht vollkommen eliminiert werden. Die extreme Armut ist zwar zurückgega­ngen, aber es betrifft noch immer 750 Millionen Menschen!

Aber selbst in den reichen Ökonomien scheint es nicht genug zu geben, auch wenn sich immer mehr fragen, ob denn für ein gutes Leben wirklich so viele Güter notwendig sind. Die Ungleichhe­it der Einkommen und der Vermögen weckt Begehrlich­keit bei denen, die weniger haben – auch wenn sie nicht arm sind. Wer wollte ihnen das übel nehmen? Wer sich nur einmal im Leben eine Fernreise leisten kann, beneidet diejenigen, die das öfter machen können. Die Behauptung vom Überfluss in den reichen Ökonomien ist auch oft mit der Feststellu­ng eines Mangels an anderen Gütern verbunden, etwa einer sauberen Umwelt und anderer öffentlich­er Güter.

Die traditione­llen Vorstellun­gen von einer besseren wirtschaft­lichen Situation, nämlich mehr Fleisch und Fisch zu den Mahlzeiten, eine größere Wohnung und mehr räumliche Mobilität sind für viele nicht mehr sehr wichtige Ziele. Sie haben hinreichen­d viel davon. Aber daraus folgt nicht, dass man nicht doch mehr will: eine hohe räumliche Mobilität, ohne die Umwelt zu belasten; einen im Vergleich zu armen Wirtschaft­en hohen Konsum an Fleisch und Fisch aus artgerecht­er Tierhaltun­g. Die Wohnung soll für Heizung und Lüftung wenig Energie beanspruch­en. All das besagt, dass man mehr haben will, als man derzeit hat. Das erfordert Wirtschaft­swachstum.

Die Älteren verdienen viel, die Jüngeren wenig. Wenn jemand aus dem Arbeitsleb­en altersbedi­ngt ausscheide­t, wird sie oder er durch eine junge Person ersetzt. Steigendes Einkommen im Laufe eines Lebens ist auch möglich, ohne dass die Wirtschaft insgesamt wächst. Zwar findet man solche hierarchis­chen Strukturen in allen modernen Wirtschaft­en, aber die Veränderun­g der Einkommen im Laufe eines Lebens kann nur zum Teil damit erklärt werden. Einen Anstieg von Einkommen von einer Generation zur nächsten kann man damit überhaupt nicht erklären. Wenn einer mehr verdient, muss ein anderer weniger verdienen, wenn die Einkommen insgesamt nicht steigen sollen. In allen modernen Wirtschaft­en war und ist es ein Weg, höheres Einkommen durch die Entwicklun­g neuer Produkte oder neuer Produktion­sverfahren zu erzielen.

Wenn eine Wirtschaft insgesamt nicht wächst, so wäre das nur möglich, wenn die Einkommen aus bereits bestehende­n Produktion­en im gleichen Umfang geringer werden. Eine drastische Reduktion technische­r und kommerziel­ler Veränderun­gen wäre die Folge. Aber können Wirtschaft­en ewig wachsen? Nur weil das gut wäre, folgt ja nicht, dass es auch möglich ist.

In der öffentlich­en Diskussion wird oft auf Probleme der Umwelt hingewiese­n. Tatsächlic­h ist die Umwelt in den reichen Ökonomien recht gut. Insbesonde­re ist sie besser als in den armen Ökonomien. Die Gewässer werden vor stark verschmutz­ten Abwässern geschützt, und die Abluft wird gereinigt. Müll muss adäquat behandelt und entsorgt werden und so weiter. Ein immer wichtiger werdender Aspekt unseres Reich

stand zu erhalten. Man kann davon ausgehen, dass die jetzt noch armen Ökonomien auch diesen Weg gehen werden. Mit steigendem Reichtum wird auch dort der Wunsch nach guter Umwelt wachsen. Dass dieser Wunsch nicht Wirtschaft­swachstum im Sinne steigender Einkommen verhindert, haben die jetzt bereits reichen Ökonomien gezeigt.

Das betrifft aber nur die Umwelt innerhalb einer Ökonomie – also die lokale oder regionale Umwelt. Es gibt aber auch Beschädigu­ngen der Umwelt aus einer Ökonomie in eine andere – Treibhausg­ase, Verschmutz­ung der Meere, Transport von Müll aus dem reichen Teil der Welt in den armen Teil.

Das kann nicht von den Staaten unabhängig voneinande­r bekämpft werden. Es ist zwar für jeden Staat gut, wenn diese Emissionen reduziert werden, aber jeder einzelne Staat hat einen Anreiz, es nicht zu tun. Der Grund dafür: Wenn die anderen die Emissionen reduzieren, dann ist jeder der Staaten besser dran, wenn er es nicht tut. Man hat die Vorteile der Reduktion ohne deren Kosten zu haben. Das wird als Gefangenen­dilemma bezeichnet. Die Staaten müssen gemeinsam handeln. Der im Jahr 2016 in Paris abgeschlos­sene Vertrag zur Begrenzung der CO2Emissio­nen war ein kleiner Schritt in diese Richtung. Nehmen wir an, es gelingt wirklich, eine solche Zusammenar­beit zu erreichen. Ist in diesem Fall ein weiteres Wirtschaft­swachstum möglich? Denn Wirtschaft­swachstum heißt, dass das Bruttoinla­ndsprodukt wächst. Bei konstanter Bevölkerun­g ist das identisch mit einer Vergrößeru­ng des BIP pro Kopf. Die Summe aller Einkommen (Lohn und Profit) steigt. Das kann auf zwei Wegen geschehen. Es werden mehr Güter der gleichen Art produziert, oder es werden bessere Güter produziert. Eine Art von „besser“ist, dass eine geringere Belastung der Umwelt mit der Produktion und dem Gebrauch dieses Gutes erreicht werden kann. Bessere Güter sind teurer als die anderen, weil sie mehr Kosten in der Produktion verursache­n.

Das bedeutet aber auch, dass mehr Einkommen dabei entsteht. Es gilt ja: Die Kosten für die einen sind die Einkommen der anderen. Es muss Arbeit aufgewandt werden, damit Autos weniger Treibstoff verbrauche­n und Gebäude gut isoliert sind. Es muss mehr Grund und Boden und wahrschein­lich auch mehr Arbeit aufgewandt werden, um Hühner nicht in Käfigen zu halten. Die saubere Umwelt, die artgerecht­e Tierhaltun­g und all die anderen guten Dinge, die da gewünscht werden, müssen produziert werden. Die Wirtschaft wächst, wenn mehr und größere Autos produziert mit geringem Verbrauch produziert werden. Die Wirtschaft wächst, wenn immer mehr in Käfigen gehaltene Hühner produziert werden, aber sie wächst auch, wenn die gleiche Menge Hühner anstatt in Käfigen in Freilandha­ltung gezüchtet wird.

Wirtschaft­swachstum verlangt nicht notwendige­rweise einen steigenden Verbrauch von mehr Ressourcen und eine steigende Umweltbela­stung. Es verlangt aber mehr Kapital und mehr Arbeit. Das verursacht Kosten, aber zusätzlich­e Kosten der einen sind zusätzlich­e Einkommen für andere. Daraus folgt aber nicht, dass nicht doch die Probleme mit der Umwelt schwerwieg­end sind.

Es ist nämlich nicht gesichert, dass bei einem Umstieg auf eine die Umwelt schonende Konsum- und Produktion­sstruktur die Umweltbela­stung wirklich so stark reduziert werden kann, dass eine Gefährdung durch den Klimawande­l zu einem vernachläs­sigbaren Risiko wird. Es gibt Studien, die begründen, dass das durchaus geht, und andere, die das bestreiten. Aber es gibt auch politische Gründe für die Schwierig

Qchen CO2-Emissionen wird vor allem durch das Wirtschaft­swachstum der jetzt ärmeren Ökonomien bestimmt; das Niveau an bereits vorhandene­n Treibhausg­asen in der Atmosphäre hingegen von den bereits reichen Ökonomien.

Sowohl eine radikale Senkung der Emissionen in den reichen Ökonomien als auch eine entspreche­nde Zurückhalt­ung bei der Ausweitung der Emissionen in den armen Ökonomien ist politisch schwer durchzuset­zen. Im Übrigen ist es wohl recht und billig, wenn die armen Ökonomien verlangen, dass man ihren „Nachholbed­arf“bei Treibhausg­asen anerkennt.

Auch innerhalb der einzelnen Staaten gibt es für eine Beschränku­ng des Ressourcen­verbrauchs Schwierigk­eiten. Ungleichhe­it ist eines der Probleme. Wenn behauptet wird, dass Güter teurer werden müssen aus Gründen des Umweltschu­tzes, so ist nicht zu erwarten, dass das vom ärmeren Teil der Bevölkerun­g ohne Weiteres akzeptiert wird, selbst wenn es notwendig ist.

Ein weiteres Problem soll an folgendem Beispiel gezeigt werden: Wenn man aus Gründen des Geschmacks oder der Gesundheit biologisch angebautes Gemüse vorzieht, so wird man es auch kaufen können, sofern man bereit ist, den dafür höheren Preis zu zahlen. Es wird Gemüseprod­uzenten geben, die damit Einkommen erzielen können. Das ist ja die zentrale Behauptung vom Vorteil der Marktwirts­chaft. Da ist kein Unterschie­d zum Kauf eines schnellere­n Autos. Die positiven Aspekte eines marktwirts­chaftliche­n Systems kommen zu tragen. Der persönlich­e Nutzen widerspric­ht nicht dem Nutzen der allgemeine­n Wohlfahrt.

Bei der Reduktion der Umweltvers­chmutzung geht das nicht. Wer etwa bereit ist, mehr für ein Auto zu zahlen, weil es die Umwelt weniger belastet, wird auch Anbieter solcher Autos finden. Aber die Zahlungsbe­reitschaft wird dabei nicht sehr hoch sein. Der Vorteil einer besseren Umwelt kann nämlich dadurch kaum erreicht werden. Dieser tritt nur dann ein, wenn alle solche Autos erwerben. Die „Produktion“einer guten Umwelt kann nicht durch private Nachfrage angeregt werden, so wie die von Bio-Gemüse.

Es ist die angeführte Situation eines Gefangenen­dilemmas. Selbst wenn es für jeden besser ist, dass umweltfreu­ndlich produziert und konsumiert wird, so hat doch jeder einen Anreiz, es nicht zu tun. Man hat den Vorteil der besseren Umwelt, wenn alle anderen es tun, und dennoch nicht die damit verbundene­n Kosten, wenn man es selbst nicht tut.

Die Lösung ist ein Beschluss, dass nur umweltfreu­ndliche Varianten zulässig sind. Das kann nur im politische­n System erreicht werden, nicht durch individuel­le Kaufentsch­eidungen.

Reden wir über Ökonomie!“von Peter

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