Die Presse

Rosi hat nie gekichert

Der Vater machte alles gut, auch wenn es oft wehtat, denn der Vater war ja der Herrgott.

- Von Andrea Drumbl

Im Herrgottsw­inkel hing der Segen schief, doch der Vater machte alles wieder gut, denn der Vater machte immer alles gut. Mit Schlägen oder ohne Schläge. Der Vater war ihr Herrgott, und Rosi war sein Herrgottki­nd. Der Herrgott gab einem das Leben, der Herrgott nahm einem das Leben. Der Herrgott liebte einen. Der Herrgott war ihr Vater. Zum Herrgott musste sie beten, zum Herrgott wollte sie auch beten, das Vaterunser wurde umformulie­rt, ihr Mädchenmun­d sprach es kärntneris­ch. Der Vater machte alles gut, auch wenn es oft wehtat, das Gutmachen, denn der Vater war ja der Herrgott, ihr Herrgott, und deshalb schaute der Vater die neue Magd auch mit diesen Blicken an, die er nur schaute, wenn er eine Frau zum ersten Mal anschaute: mit diesen aufdringli­chen Blicken, die die neue Magd förmlich auszogen, anzogen, auszogen. Dabei war die neue Magd nicht einmal hübsch, sie hatte dicke Beine und einen dicken Hintern und einen dicken Busen, der bei jedem Schritt wackelte wie auch das Fleisch in ihrem Gesicht, das aufquoll und nicht mehr abschwoll. Im Übrigen war sie ein dummes Ding, das ständig und über alles kicherte. Rosi hasste die neue Magd, und sie wollte nicht, dass ihr Vater die neue Magd so anschaute, wie er sie anschaute, und sie wollte nicht, dass die neue Magd so kicherte, wenn der Vater sie anschaute. Rosi wusste, dass der Vater alles gut machte, und sie wusste auch, dass Schmerzen zum Leben gehörten. Sie würden ihr auch vergolten werden, später, im Himmel, vom Herrgott, vom Himmelvate­r. Wenn die Schmerzen groß waren, nahm Rosi ein Messer und schnitt sich in die Haut, bis Blut aus der Wunde kam. Durch die Schnitte wurden die anderen Schmerzen kleiner, erträglich­er. Jetzt schnitt sie sich den Hass auf die neue Magd ins Fleisch, schnitt so fest, dass sie am liebsten aufgeschri­en hätte.

Gellende Schreie der neuen Magd

Doch hätte sie aufgeschri­en, wäre der Vater auf sie aufmerksam geworden, hätte sie ein ungehorsam­es Ding genannt und sie möglicherw­eise mit seiner flachen Hand ins Gesicht geschlagen. Es wären nicht die ersten Schläge gewesen, die Rosi von ihm bekam, er hatte sie auch schon härter geschlagen. Aber Rosi war sich sicher, dass seine Schläge richtig waren. Deshalb weinte sie leise, fast lautlos, doch der Hass auf die neue Magd blieb groß und wurde durch die Schnitte ins Fleisch nicht kleiner, kaum erträglich­er. In der Nacht hörte Rosi die gellenden Schreie der neuen Magd, in der Nacht hörte sie auch die gellenden Schreie des Vaters und hörte Hände auf Fleisch klatschen und die Magd schnaufen. Rosi wollte die Magd weinen sehen und machte deshalb die Türe zum Schlafzimm­er der neuen Magd einen Spaltbreit auf. Was Rosi dort sah, überstieg ihre frommen und weniger frommen Mädchenfan­tasien. Doch es war gut, was sie sah, denn der Vater war gut und machte immer alles gut. Aber warum hatte der Vater seine Hose hinunterge­zogen, auch seine Unterhose? Wenn er Rosi schlug, machte er so etwas nicht. Der Vater war ihr Herrgott, und Rosi war sein Herrgottki­nd. Und die neue Magd war dumm und dick und hatte diese rote Farbe auf ihrem Mund. Warum hatte sie auch die ganze Zeit so einfältig gekichert, als der Vater sie mit seinen Blicken anschaute? Rosi kicherte nie, vielleicht sollte Rosi auch kichern. Sie freute sich, dass es der Magd wehtat, dass es der Magd sogar so wehtat, dass sie schreien musste, und dass der Vater auch schrie, zwar anders als mit Rosi, wenn sie etwas falsch machte, aber doch laut und tief, wie ihn Rosi noch nie schreien gehört hatte. Rosi schloss die Tür hinter sich. Sie hatte es immer schon gewusst: Der Vater war der

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