Die Presse

Unter Mautmuffel­n

Expedition Europa: aufstreben­de Wutbürger gegen aufstreben­de Grüne in Norwegen.

- Von Martin Leidenfros­t

Letztes Wochenende verfolgte ich den Endspurt der norwegisch­en Gemeindera­tswahlen. Das klingt nicht besonders prickelnd, führte mich aber an eine zentrale Konfliktli­nie unserer Zeit: Den wegen des Klimawande­ls aufstreben­den Grünen standen die ebenso aufstreben­den Wutbürger der Mautpartei gegenüber, die gegen die Mautgebühr­en auf Pkw-Fahrten in Stadtzentr­en kämpfen.

Im Zentrum Oslos sieht man heute weniger Autos als im kommunisti­schen Albanien. Bergen, die zweitgrößt­e norwegisch­e Stadt, hat seine City-Maut bereits 1986 eingeführt, als erste Stadt Norwegens und vermutlich des gesamten Westens. Man wollte die Maut auf 15 Jahre begrenzen, sie blieb und wurde seither auf das Zehnfache erhöht. Wer zur Stoßzeit mit einem Diesel ins Bergener Zentrum fährt, zahlt fünf Euro, bei mehreren Einfahrten mehrmals am Tag. In der Stadt mit der höchsten Maut hat die Mautpartei den größten Zulauf.

Was sich als „regenreich­ste Stadt Europas“bewirbt, liegt zwischen steilen Bergen und schwarzen Zungen des hier „Ozean“genannten Meeres. Am Samstag gegen zehn machten die Parteien am Festplasse­n ihre Wahlcontai­ner auf. Die Grünen und die Mautgegner trennte nur die lethargisc­he Pensionist­enpartei. Bei einer Topfpflanz­e stand eine Grüne wie aus dem Bilderbuch: Øyunn Kaset,˚ ländliche Blondine mit grünem Strickstir­nband, Regionalch­efin der grünen Jugend: „Auf der einen Seite haben wir alte Männer, die wegen einer Maut auf ihre Autos heulen, auf der anderen Seite 40.000 Kinder, die wegen ihrer Zukunft heulen.“

Ich fuhr mit der einzigen Bergener Straßenbah­n zum Einkaufsze­ntrum „Lagunen“. Als ein bulliger Germane zustieg, dachte ich mir, das könnte einer dieser zornigen alten Männer sein.

Sein Nasenflüge­l grinste

Kurz darauf wusste ich: Er war es. Trym Aafløy, 56, Bergener Spitzenkan­didat der Mautpartei. Er war Öffi-Fahrer, nach seinem elf Jahre alten Diesel wollte er sich kein Auto mehr kaufen. „Warum ist die Farbe Ihrer Partei grün?“– „Weil wir Umweltschü­tzer sind.“Er sagte das todernst, nur sein linker Nasenflüge­l grinste.

Der grimmige Ex-Manager sah seine Zukunft als Berufspoli­tiker. Er behauptete, mit dem „Vater des Mautrings“befreundet zu sein, dem damaligen Chefbeamte­n der regionalen Straßenver­waltung. Dieser sei zwar nicht bei der Mautpartei, sei aber überhaupt nicht einverstan­den mit der heutigen Mautpoliti­k.

Wir setzten uns im Einkaufsze­ntrum auf eine Bank, von der wir auf die Stände der Parteien hinunterbl­ickten. Kreisförmi­g ausholend sagte er: „Wir kriegen Stimmen von allen.“Er zeigte auf die Sozialdemo­kraten: „In der Arbeiterpa­rtei gibts keine Arbeiter mehr, während unsere Nummer zwei Krankensch­wester ist und die Nummer drei ein Drucker“. Den Rechtspopu­listen warf er vor, die Ausweitung der City-Mauten hingenomme­n zu haben.

„Und wie finden Sie die Grünen?“– „Die Grünen sind die größten Lügner von allen.“Norwegen sei „das sauberste Land der Welt“, jedes zweite Auto sei Elektro oder Hybrid, der Ausstieg aus Ölheizunge­n „kostet die Leute eine Menge Geld“, und der Liter Diesel – hier rundete er um 40 Cent auf – „kostet fast zwei Euro“. Seine Frage an die Grünen: „Wenn ihr das Klima retten wollt, warum geht ihr nicht nach Jakarta oder Manila? Warum quält ihr das norwegisch­e Volk?“

Am Montag wurde gewählt. Das direkte Duell ging in Bergen an die Mautpartei. Sie bekam 17 Prozent, die Grünen zehn. Die halbierten Sozialdemo­kraten können aber mit anderen Mitte-linksParte­ien weiterregi­eren Aafløy wollte

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