Der Krieg ist nix als die Geschäfte
„Der Kadaverräumer“: In einer Art permanentem Monolog brabbelt in Zoltan´ Danyis Erstlingsroman der Erzähler über das Trauma des Jugoslawienkriegs und seine Schuldverstrickung. So wird die Tragödie am Westbalkan ihrer ideologischen und ethnischen Verbrämu
Ein Buch von „rätselhafter Schönheit“? Wahrlich rätselhaft bleiben den Lesern die Fragmente einer Biografie, die der Protagonist zu Beginn von Zoltan´ Danyis Erstlingsroman „Der Kadaverräumer“in Berlin einmal einem davoneilenden Krankenpfleger, ein andermal einem dösenden Sandler, de facto aber sich selbst in einem permanenten Monolog vorbrabbelt.
Wer hartnäckig genug diesen chronologischen Rösselsprüngen folgt, begreift, dass da ein Namenloser nach „jenen alles verwüstenden, alles ausbeinenden Jahren“des Jugoslawienkrieges vor den Folgen, ja seiner eigenen Verstrickung auf der Flucht ist. Nicht Europas sichere Mitte ist sein Ziel, denn „mit Europa ist es aus, Europa wurde schon zu oft ausgeweidet, wenn er also die Knochen loswerden wollte, musste er nach Amerika“. Doch woraus speist sich das Sehnsuchtsbild dieses jungen Simplicius? Es ist ein Amalgam aus Kojak, Columbo und „Star Wars“, aus Stars and Stripes auf flotten T-Shirts und Bazooka-Kaugummi.
Bis Berlin schafft er es per Anhalter erstaunlich unkompliziert. Dort hastet er, tagelang von Verdauungsproblemen gepeinigt, durch die Straßen, bis er erschöpft in einem Krankenhaus Aufnahme findet. Ungeheilt stiehlt er sich bald auf schalkhafte Art davon und stolpert über die vergraste Startbahn den verödeten Hangars von Tempelhof zu, wo seine Illusion, Amerika über eine wiedereröffnete Luftbrücke zu erreichen, wie eine Kaugummiblase platzt.
Spontan unterbricht der Unglückliche seine Heimreise ins serbische Novi Sad, um einer verehrten Schauspielerin Beifall zu zollen. Doch das Bühnenstück reißt ihn jäh in seine kaum vernarbte Vergangenheit. Er erlebt sich gespiegelt in einem Engel, der herabgestiegen ist, um Menschsein zu erfahren, und dem mit den Flügeln seine Unschuld abhandengekommen ist, wie er selbst sie als Soldat verloren hat. Freilich hat er nur einer Nachhut angehört mit dem Auftrag, kroatische Gehöfte in Slawonien zu „säubern“, will heißen: zu plündern, zu zerstören und zu vertreiben, wen und was die berüchtigten serbischen Tiger übersehen hatten.
Diese Passage wird speziell die österreichische, in historische Zusammenhänge eingeweihte Leserschaft mit leiser Wehmut erfüllen, weil die Zerstörungslust in einer der Landschaften wütete, die – nach Zurückdrängung der Osmanen fast menschenleer – von Siedlern aus Deutschland und der Habsburgermonarchie wieder unter den Pflug genommen wurden, und deren barock anmutenden Ortschaften südsteirischen und böhmischen Dörfern zum Verwechseln ähnelten.
„Wir haben getan, weil wir es konnten. Wir befolgten Befehle.“Der Schuldbewusste
pocht in seiner verqueren maskulinen Logik auf Minderung, falls das Opfer einer Reihenvergewaltigung „wenigstens einen kurzen, kleinen Orgasmus“gehabt haben sollte, wird aber während des Bühnengeschehens sofort wieder von heftigen Bauchkrämpfen befallen, die ihn seit seinem Kampfeinsatz quälen.
Man stößt auch in diesem Roman auf die altbekannten nationalistisch begründeten Kriegsverbrechen, Bagatellisierungsversuche und Traumatisierungen. Der Schriftstellerin Terezia´ Mora – ungarnstämmig wie Danyi – ist zu danken, das reichlich mit Sex garnierte Buch wacker übersetzt zu haben, obwohl ihr die Reduktion der Frauenfiguren auf eine Projektionsfläche männlicher Gelüste zuwider gewesen sein mag. Man muss es nicht thematisch zwingend finden, wenn sie norddeutsche Ausdrücke wie Plörre, Stampe, pladdern einflicht: Berlin ist ihre Wahlheimat.
Heilung seines Kriegstraumas suchend, gerät er an einen Heilpraktiker, der ihn mit dubiosen Methoden konfrontiert und ihm als skurrile Gegenleistung das Kürzen seiner doxerweise als nationalistischer Zündler mitverursacht hat, blickt ihm später von den Titelseiten aller Gazetten entgegen: Radovan Karadziˇc.´ Das Urteil des Haager Tribunals ist erst unlängst als lebenslänglich gültig bestätigt worden.
Das Werk gewinnt Züge eines Schelmenromans, nicht nur wenn die Zentralfigur – von dunkler Herkunft, entindividualisiert und bar jeglicher sozialen Bindung – knapp vor Kriegsausbruch sich wandelnde, vorausdeutende Zeichen an Wänden registriert: Tränende, pfeildurchbohrte Herzen mutieren zu plump verbundenen Geschlechtsteilen und werden alsbald von serbischen Wappen abgelöst, deren aggressiven Charakter er dekuvriert, indem er sie in Spaßvogelmanier reichlich mit Phallussymbolen verziert. Ein Schelm auch Danyi, wenn er die Neugier auf rätselhafte weiße Hefte, denen sein Protagonist manisch hinterherjagt, quer durchs Werk ködert, am Ende aber nur mit einer schlichten Lösung bedient.
Ist seinem einfältigen Helden zuzumuten, den Zerfall seines idealisierten, ungeteilten Jugoslawiens historisch aus dem Ersten Weltkrieg, der k. u. k. Monarchie, ja aus den Türken– und Tatareneinfällen abzuleiten? Wohl kaum. Obwohl dieser während des Embargos gegen Serbien als Benzinschmuggler aus dem Krieg Gewinn schlägt, muss er am Ende mittellos ernüchtert feststellen, wie andere zu Unternehmern geworden sind, Villen im ehemaligen Feindesland beziehen und neue Allianzen schließen. Wie Schuppen fällt es ihm von den Augen, „dass es eine Hierarchie unter den Wahrheiten gibt, denn die Wahrheit des Geldes übertrumpft den Nationalstolz“. Man hört förmlich Brechts Courage höhnen: „Der Krieg ist nix als die Geschäfte.“Außerdem verdichtet sich sein Verdacht, dass die Firma, in der er kurz als Kadaverräumer totgefahrene Tiere zu entsorgen hatte, nur als Ableger einer militärischen Einheit fungiert hat, „deren Rolle die schnelle und möglichst spurlose Beseitigung der abgeschlachteten Bosnier und Albaner war“.
Obwohl sich etwa die quälend lange Schilderung des Budapester Verkehrsstaus und ein abrupter kurzer Bruch der Erzählperspektive keiner kompositorischen Logik fügen und man mutmaßt, Daniys Schritt vom Verfasser von Kurzgeschichten zum Romanautor könnte ein verfrühter gewesen sein, bleibt sein Verdienst unbestritten, die jugoslawische Tragödie ihrer ideologischen und ethnischen Verbrämung entkleidet und auf eine simple Wurzel, die menschliche Gier, zurückgeführt zu haben. Diese Quintessenz steht nicht allein in der literarischen Landschaft, kann aber nicht oft genug thematisiert werden.
Ein Buch von „rätselhafter Schönheit“? Nein, Bücher vom Krieg verschließen sich per se der Schönheit wie manche Blumen dem drohenden Unwetter. Danyi weiß das, er lebt im serbischen Senta als Rosenzüch