Damm gegen Diktatoren
Als 83-Jähriger denkt der peruanische Meistererzähler Mario Vargas Llosa keineswegs ans Aufhören. Dabei steht sein Platz im literarischen Olymp infolge seiner fast zwei Dutzend Romane, elegant, witzig, sarkastisch, zwischendurch auch erotisch aufgeladen, längst fest. Nobelpreis, Premio Cervantes, Friedenspreis des deutschen Buchhandels – es fehlt keine von den illustren Auszeichnungen.
Zusätzlich gab sich unser Poeta laureatus immer auch politisch engagiert: Sogar um die peruanische Präsidentschaft trat er an, 1990. Als strenger Diagnostiker des Zeitgeistes, dessen geschwätzige Banalisierung fürchtend, tippte er unzählige Artikel aufs Papier, oft geistreich, manchmal überzogen oder auch platt, was ihm bei uns gelegentlich hämische Kommentare einbrachte.
Heute geht Vargas Llosa mit seiner „intellektuellen Autobiografie“in die Offensive. Donnerwetter, die kann sich sehen lassen, als Streitschrift zugunsten Poppers Grundthema „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“. Er will begreiflich machen, wie aus dem pubertierenden Jüngling, in Lima kommunistische Phraseologie einübend, ein strikter Verteidiger der liberalen Demokratie wurde – als Damm gegen Diktatoren, Revolutionäre, Stalinisten, sozialistische Planer, Staatsdoktrinäre oder religiöse Eiferer.
Fidel Castros Kuba, wo unser Autor, im Gleichklang mit Hans Magnus Enzensberger, 1970 gegen die Maßregelung des Dich
Der Ruf der Horde Eine intellektuelle Autobiografie Aus dem ters Heberto Padilla protestierte, läutete die Bekehrung ein. Orientierung an Albert Camus, Arthus Koestler, George Orwell, Isaiah Berlin, Raymond Aron oder auch Jose´ Ortega y Gasset verstärkte schichtweise sein Engagement zugunsten freiheitlicher Ordnungen, welche evolutionär unser heimeliges Dasein innerhalb der libertären „Horde“aufrissen. (Poppers Begriff des „Kollektivs“hätte es, weniger bombastisch, auch getan.)
Als Kronzeugen gelten ihm (historisch) Adam Smith sowie (aktuell) alle Denker der Wiener Schule der Nationalökonomie sowie der logischen Philosophie, vorrangig Friedrich August von Hayek, Ludwig von Mises, Karl Popper. Ihnen widmet Vargas Llosa den Hauptteil seines „Privatissimums“, nicht als bloßes Namedropping sondern als Ausei redaktionellen Betreuung bei Suhrkamp: Alle Zitierungen aus internationalen Publikationen bekommen entsprechende Fußnoten.)
Dass Hayeks überzogener Wirtschaftsliberalismus nicht unbedingt mit Poppers „offener Gesellschaft“konform gehen mag, soll der Leser überdenken. Den Widerspruch hebt Vargas Llosa für sich selbst auf, indem er Isaiah Berlins Warnung vertraut, wonach die absolute Freiheit der Wölfe den Tod der Lämmer bewirken kann.
Es überrascht den Rezensenten, dass Vargas Llosa, bisher immer an Paris oder Barcelona orientiert, Wien, genauer: das (sozialdemokratische) Wien der Zwischenkriegszeit, als Ort moderner Kreativität entdeckt, deren Schöpfer genau deswegen vor den Nazis flüchten mussten oder erst im angloamerikanischen Raum die Luft der „offenen Gesellschaft“atmeten. Als Referenz diente ihm vorrangig der kulturhistorische Wälzer von William M. Johnston, „The Austrian Mind“(1972). Mehr an Wien-Literatur hätte schon sein können!
Verwunderung hingegen erregt der Umstand, dass Vargas Llosa für seine politische Metamorphose nur europäische Autoren liest und zitiert. Wo sind die lateinamerikanischen Geistesgrößen, die den Weg zur „offenen Gesellschaft“hätten zeigen können? Wohl kommt der peruanische Sozialphilosoph Jose´ Carlos Mariategui´ vor, aber nur als abschreckendes Beispiel. Na ja, auch der venezolanische Publizist Carlos Rangel, erbitterter Kritiker von Chavez’ „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, kommt vor. Das war’s dann. Es mag also Vargas Llosas „intellektuelle Autobiografie“als Liebeserklärung an den europäischen Geist Garant der libera