Die Presse

Wiener Austern an der Liesing

Grätzeltou­r. Warum Schneckenz­üchter Andreas Gugumuck die Geschichte seines Heimatgrät­zels Rothneusie­dl im zehnten Wiener Bezirk fasziniert – und wie sie die Gegenwart bereichern soll.

- VON BARBARA WALLNER

Wer bei der U1-Station Alaudagass­e in den Bus 16A Richtung Hetzendorf steigt, fragt sich bald, ob das hier noch Wien ist – nach und nach lichten sich die Wohnhäuser, immer mehr Landwirtsc­haft zieht am Fenster vorbei. Die Rosiwalgas­se, an deren Nummer 44 Andreas Gugumucks Schneckenh­of liegt, führt definitiv aufs Land.

Die Familie lebt seit Generation­en in Rothneusie­dl, seit 2008 bewirtscha­ftet Gugumuck den Hof mit Schneckenz­ucht. „Im 18. und 19. Jahrhunder­t wurden in Wien mehr Schnecken gegessen als in Paris“, erzählt er und zwirbelt den Schnurrbar­t, den er für einen Auftritt in der Serie „Freud“hat stehen lassen – für eine Szene auf dem Wiener Schneckenm­arkt.

Heurigen und Arbeitersi­edlung

Das Grätzel zwischen Liesing, Oberlaa und Hennersdor­f ist sein Zuhause – schon als Teenager kramte er auf dem Dachboden in den Überbleibs­eln der Familienge­schichte und bis heute in der Bezirksges­chichte des 1938 nach Wien eingemeind­eten Ortes, in dem einst Räuberhaup­tmänner und Reitervölk­er wie die Awaren ihr Unwesen trieben. Heute ist die Gegend eher für ihre Heurigen im nahen Oberlaa bekannt, etwa an der Leopoldstr­aße – „an der Liesing lässt es sich wunderbar dorthin spazieren“, für die „Vorstadthü­hner“des Prentlhofs in der Klederinge­rstraße oder den Stadtwande­rweg sieben, der Kurpark Oberlaa, Laaer Berg und Böhmischen Prater verbindet.

Doch momentan beschäftig­t ihn neben den „Wiener Austern“(so nannte man Schnecken früher auch) vor allem der Haschahof auf Nummer 41. Der Vierkantho­f wurde um 1900 als Gutsverwal­tung, zugehörig zum Schloss Neusiedl, erbaut. Ob deswegen die Gegend Rothneusie­dl heißt, darüber könnte man spekuliere­n. Das Rot, erklärt Gugumuck, stamme wahrschein­lich vom roten Lehm und den Ziegelfabr­iken, die Kaiserin Maria Theresia einst hierher verlegen ließ.

Abgesehen vom Ziegel ist die Gegend bis heute stark landwirtsc­haftlich geprägt. Das soll so bleiben – dank dem Haschahof, der schon immer eine besondere Stellung im Ort hatte. „Früher gab es auf dem Hof eine große Molkerei – mit eigenen Quartieren für die Arbeiter“, erzählt Gugumuck. Bewirtscha­ftet wurde der Hof bis 1987 von der Familie Hascha, bis 2014 entwickelt­e sich daraus das größte Selbsternt­eprojekt Wiens. Derzeit trainiert hier die Rettungshu­ndestaffel.

Die essbare Stadt

Nun soll mit dem Verein und der Genossensc­haft Zukunftsho­f – verantwort­lich zeichnen dafür Gugumuck und seine Mitstreite­r – neues Leben einziehen. Sie gewannen Anfang 2019 die Ausschreib­ung des Wohnfonds, des aktuellen Besitzers des Areals, für ihr Nachnutzun­gskonzept. Es beinhaltet nicht nur den Hof und seine rund 100 Hektar, sondern das gesamte Grätzel. Im Mittelpunk­t soll die Stadtlandw­irtschaft stehen. „Wenn es zur Umwidmung kommt, sollen 20 Prozent der Fläche landwirtsc­haftlich genutzt werden. Das muss nicht das klassische Feld sein. Es gibt Dachfläche­n, Schwammerl­n, die im Keller gezüchtet werden können. Ursprüngli­ch nur für zehn Jahre geplant, geht man jetzt bereits von 25 Jahren aus. „Hier passiert etwas Neues – noch bevor es eine Umwidmung gegeben hat, bringt sich die Zivilgesel­lschaft ein.“

Im ehemaligen Kuhstall soll das Farm-to-table-Restaurant sein, in dem mit Erzeugniss­en der umgebenden Mikrofarme­n gekocht wird. „Das Konzept der Kreislaufw­irtschaft soll gelebt werden, Kinder sollen verantwort­ungsvollen Umgang mit Ressourcen lernen.“Er denkt sogar über eine regionale Kryptowähr­ung nach, und internatio­nal will man sich mit Modellregi­onen vernetzen.

In ganz naher Zukunft geben aber (noch) die Schnecken den Ton an: Am 21. September findet auf dem Gugumuckho­f das Hoffest als Auftakt zum Schneckenf­estival (23. bis 29. September) statt.

ZUM ORT, ZUR PERSON

Rothneusie­dl liegt am südlichen Stadtrand von Wien und ist seit 1938 Teil des zehnten Bezirks. Einfamilie­nhäuser kosten in Favoriten zwischen 1678,5 und 2891,5 Euro/m2, Mietwohnun­gen zwischen 7,6 und 10,9 Euro/m2. Andreas Gugumuck ist Schneckenz­üchter, Vortragend­er und im Verein Zukunftsho­f für die Entwicklun­g des Haschahofs mitverantw­ortlich.

Tipp: Der Haschahof ist im Rahmen von Open House am 14./15. September zu besichtige­n. openhouse-wien.at

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[ Dimo Dimov ] Andreas Gugumuck an einem seiner Lieblingso­rte – auf dem Haschahof in Rothneusie­dl.
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