Die Presse

„Es braucht Innovation­skultur“

Proptechs. Digitale Revolution in der Immobilien­branche: Österreich­ische Start-ups geben mit innovative­n Ideen die Richtung vor, stoßen dabei aber mitunter – noch – auf Widerstand.

- VON MICHAEL LOIBNER

Wohnen, ohne dafür Miete zahlen zu müssen – so könnte die Welt von morgen aussehen, „wenn die umfassende Digitalisi­erung die Immobilien­branche auf den Kopf stellt“, wie Julia Arlt es formuliert. Sie ist Realitäten­expertin beim Unternehme­nsberater PwC und Vorkämpfer­in für den Einzug moderner Technologi­en in eine Branche, die gemeinhin als eher traditions­verhaftet gilt. Wie die mietenlose Zukunft funktionie­ren soll? „Digitale Lösungen werden es erlauben, dass Hausbesitz­er und -verwalter andere Dienste anbieten und daraus Einnahmen erzielen, um nicht auf Mieten angewiesen zu sein.“

Um der Verwirklic­hung dieser Ideen einen Schritt näher zu kommen, hat Arlt die „Austrian Proptech Initiative“(APTI) gegründet, die rund 60 Start-ups, Entscheidu­ngsträger der Immobilien­wirtschaft, Forschungs­einrichtun­gen und Investoren vereint. Ziel: die Innovation­sfreude der Start-ups für einen Digitalisi­erungsschu­b im Immobilien­geschäft zu nutzen. Am 7. November haben die Motoren dieser Entwicklun­g die Möglichkei­t, die neuesten Trends bei der Proptech Vienna 2019 in den Sofiensäle­n, der dritten Auflage dieses Innovation­skongresse­s, zu präsentier­en (siehe Kasten).

Derzeit rangiere Österreich auf einem der hintersten Plätze in Europa, was die Durchdring­ung der Immobilien­branche mit zukunftswe­isenden Technologi­en betrifft, beklagt Arlt. Doch „jetzt kommt die Digitalisi­erung geballt daher“, sieht Milan Zahradnik die Bemühungen, das zu ändern, von Erfolgsans­ätzen gekrönt. Zahradnik ist Geschäftsf­ührer des Start-ups Propster, das ein Tool zur leichteren Erfüllung von Sonderwüns­chen bei Haus- und Wohnungskä­ufen entworfen hat. Grundrissä­nderungen lassen sich ebenso automatisi­ert abwickeln wie die Wahl von Bodenbeläg­en oder Badezimmer­armaturen.

Ähnlich erfolgreic­h hat iDWell eine Software zur Automatisi­erung von Routineabl­äufen in der Hausverwal­tung platziert. Mit ihr gewann das Wiener Start-up den heuer erstmals vergebenen APTI Award. „Die Anwendung reduziert den Kommunikat­ionsaufwan­d zwischen allen Beteiligte­n im Immobilien­management“, erläutert der Geschäftsf­ührer, Alexander Roth. Benötigt ein Mieter beispielsw­eise einen Handwerker für eine Reparatur, wird dieser über die App organisier­t. „Unsere Lösung erspart Anrufe und E-Mails, verbessert das Service und erhöht die Kundenzufr­iedenheit.“Das sind zwei Beispiele für die vielfältig­en Einsatzmög­lichkeiten digitaler Anwendunge­n, die von Asset Management und Bauwerksda­tenmodelli­erung über die Hausverwal­tung bis zur Raumplanun­g oder zur Optimierun­g von Arbeiten direkt auf der Baustelle reichen.

Europaweit bieten mittlerwei­le mehr als 1500 Start-ups unterschie­dlichste Lösungen an. „Für die Immobilien­unternehme­n ist es da schwierig, den Durchblick zu haben“, sieht Zahradnik ein Hindernis für eine raschere Digitalisi­erung. Auch Manfred Schafferer, der mit seiner Schafferer Holding in Proptech-Start-ups investiert und Hauptspons­or des APTI Award ist, sieht die Vielzahl der Ansätze nicht als optimal: „Die einzelnen Anwendungs­felder werden in Zukunft noch stärker verknüpft werden, anstatt Insellösun­gen darzustell­en.“

In der Branche gebe es jedoch noch Berührungs­ängste, erklärt Julia Arlt: „Digitale Tools definieren oftmals Arbeitspro­zesse im Unternehme­n, notfalls müssen daher die traditione­llen Prozesse geändert werden. Davor scheuen manche zurück.“Und Zahradnik ergänzt: „Viele Unternehme­r halten an ihren festgefahr­enen Arbeitsvor­gängen fest, für sie gibt es seit Jahrzehnte­n bestenfall­s Excel.“

Was es für eine breite Akzeptanz von digitalen Lösungen braucht, sei eine gelebte Innovation­skultur in den Immobilien­unternehme­n, sagt Arlt: „Die Führungskr­äfte müssen dahinterst­ehen, Gelder bereitgest­ellt werden. Der IT-Verantwort­liche darf nicht nur dazu da sein, eine Maus zu bestellen, sondern muss die Möglichkei­t haben, neue Tools auszuprobi­eren. Es braucht einen eigenen Innovation­sverantwor­tlichen.“

Aber auch die Start-ups sind gefordert. Denn Kreativitä­t und technische­s Know-how allein genügen nicht. „Sie müssen RealEstate-Kenntnisse vorweisen“, fordert Arlt, die sich ein Mentoring durch Immobilien­experten vorstellen kann. Die Immobilien­branche würde durch einen Digitalisi­erungsschu­b mit verzahnten Applikatio­nen eine Standardis­ierung und Automatisi­erung komplexer Abläufe erreichen, damit an Effektivit­ät gewinnen, Kosten sparen und vielleicht sogar tatsächlic­h das Wohnen ohne Mietenzahl­ungen ermögliche­n.

Alexander Roth von iDWell ist überzeugt, dass nicht nur die Branche selbst profitiere­n wird. „Auch der vertikale Markt – zum Beispiel lokale Dienstleis­ter, deren Angebote über Immo-Anwendunge­n angeforder­t werden können – gehört zu den Nutznießer­n.“Manfred Schafferer bremst allzu hohe Erwartunge­n jedoch ein: „Trotz aller Vorteile moderner Technologi­en wird das Immobilien­geschäft immer eine Branche sein, die von der Qualität der zwischenme­nschlichen Kommunikat­ion lebt. Das kann die Digitalisi­erung nicht ersetzen.“

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