Investieren, solang es noch möglich ist
Fachkräfte. Fachkräfte zu finden ist weder einfach noch unmöglich – auch für kleinere Unternehmen. Entscheidend ist, dass die Arbeitgeber ein solides Bild von sich selbst und den Bedürfnissen der (potenziellen) Mitarbeiter haben.
Die Prognosen für die Wirtschaft sind nicht die allerbesten. Auch der Arbeitsmarkt werde sich eintrüben, sagen die Experten. Noch ist das aber nicht zwingend zu spüren. Aufträge sind verbucht und abzuarbeiten – was den Unternehmen allerdings angesichts fehlender Fachkräfte mitunter schwerfällt.
Waren es bis vor Kurzem primär die Akademiker im Mint-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik), sind es jetzt Lehrberufe, in denen es den Unternehmen an potenziellen Mitarbeitern fehlt. Das gilt in Österreich genauso wie in Deutschland.
Engpassberufe sagt man jenseits der Grenze dazu, wenn in einer Region und in einem Beruf die Nachfrage nach Fachkräften das Angebot kurzfristig übersteigt. Anders die Mangelberufe, bei denen dauerhaft Engpässe vorliegen. In Österreich sind das aktuell 45.
Diese Woche gab die Statistik Austria bekannt, dass rund 129.100 (vor einem Jahr waren es 110.700) offene Stellen in Österreich nicht besetzt werden können. In Deutschland gibt es aktuell etwa mehr als zehnmal so viele offene Stellen. Und dennoch gebe es Wege, wie Unternehmen trotz
IIFachkräftemangels Mitarbeiter finden können, ist Sibylle Stippler, Senior Economist für Fachkräftesicherung am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, überzeugt. Sie sind nennt einige Zugänge.
Ungenutzte Potenziale. Immer mehr Mitarbeiter stehen den Unternehmen nur in Teilzeit zur Verfügung, sagt Stippler. Aus verschiedenen Gründen: Die einen wollen mehr Freizeit, die anderen Beruf und Familie bewältigen. Das Stundenvolumen auszuweiten würde vielen Unternehmen helfen, sagt Stippler. Vor allem bei den Frauen sieht sie viel Spielraum – allerdings nur dann, wenn es begleitende Maßnahmen gibt, die Vereinbarkeit zu steigern. Chancen geben. Natürlich wollten Unternehmen nur die Besten. Stippler rät allerdings dazu, sich
Inicht nur an den Noten der Bewerber zu orientieren, sondern den Potenzialen der Kandidaten auf die Spur zu kommen. Denn wer in der Schule glänzt, muss das nicht unbedingt auch am Arbeitsplatz – und umgekehrt. Und wer sein Studium abbricht, weil die Theorie nicht erfüllend ist, könnte sich durchaus als guter Praktiker erweisen, rät Stippler den Unternehmen, sich nicht um guten Chancen zu bringen. Sichtbar werden. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) haben mitunter das Problem, auf dem Arbeitsmarkt nicht sichtbar zu sein. Eine große Herausforderung, schließlich müssen sie es mit den bekanntesten Arbeitgebern aufnehmen. Aufgabe der Führungskräfte sei es daher, sagt Stippler, gemeinsam mit den Mitarbei
Itern die Stärken des Unternehmens herauszuarbeiten und davon zu erzählen: in den Schulen etwa, allein schon, weil Schüler oft gar keine Idee haben, welche Berufsbilder es überhaupt gibt. Geschweige denn, dass es vielleicht sogar am eigenen Wohnort Arbeitgeber gibt, die genau nach diesen Qualifikationen suchen.
Oder in den Stelleninseraten, die nicht nur über die Anforderungen informieren sollten, sondern auch darüber, wofür das Unternehmen steht. „Heute müssen sich die Arbeitgeber bei potenziellen Mitarbeitern bewerben“, sagt Stippler und mit ihren Angeboten und ihrer Kultur überzeugen. Noch mehr erzählen. Sich der eigenen Stärken und der eigenen Kultur bewusst zu sein und davon (auch den eigenen Mitarbeitern)
Izu erzählen, sei letztlich eines der wenigen Mittel, sich gegen Abwerbungsversuche zu schützen. Schließlich gebe es nicht wenige Unternehmen, die keine Scheu hätten, manchmal auch mit zweifelhaften Versprechen in dieser Hinsicht recht dreist vorzugehen. HR-Arbeit professionalisieren. Gerade in KMU und in eigentümergeführten Unternehmen ist die Chefin oder der Chef für alle Entscheidungen verantwortlich. „Das reicht nicht“, sagt Stippler, das sei gerade in der aktuellen Situation höchst problematisch, weil Entscheider nun einmal nicht Experten für alle Fragestellungen sein können. Denn so wie es für die verschiedenen fachlichen Fragen Experten brauche, benötigen auch kleine Unternehmen Spezialisten für die Personalthemen.
Generell rät Stippler den Unternehmen, jetzt, solang das Geschäft einigermaßen gut läuft, in das Mitarbeiterthema „zu investieren und sich dafür Zeit zu nehmen“. Also die Stärken und Schwächen der eigenen Arbeitnehmermarke anzusehen und die Bedürfnisse der aktuellen und begehrten Mitarbeiter zu erfragen.
Denn sei die wirtschaftliche Lage erst einmal angespannt, sei gar keine Zeit mehr dafür. Und selbst wenn sich die Konjunktur einbremse und die Zahl der Aufträge zurückgehen sollte, „der demografische Wandel lässt sich nicht aufhalten“, und die passenden Mitarbeiter zu finden werde nicht einfacher.