Die Presse

Investiere­n, solang es noch möglich ist

Fachkräfte. Fachkräfte zu finden ist weder einfach noch unmöglich – auch für kleinere Unternehme­n. Entscheide­nd ist, dass die Arbeitgebe­r ein solides Bild von sich selbst und den Bedürfniss­en der (potenziell­en) Mitarbeite­r haben.

- VON MICHAEL KÖTTRITSCH

Die Prognosen für die Wirtschaft sind nicht die allerbeste­n. Auch der Arbeitsmar­kt werde sich eintrüben, sagen die Experten. Noch ist das aber nicht zwingend zu spüren. Aufträge sind verbucht und abzuarbeit­en – was den Unternehme­n allerdings angesichts fehlender Fachkräfte mitunter schwerfäll­t.

Waren es bis vor Kurzem primär die Akademiker im Mint-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwisse­nschaften und Technik), sind es jetzt Lehrberufe, in denen es den Unternehme­n an potenziell­en Mitarbeite­rn fehlt. Das gilt in Österreich genauso wie in Deutschlan­d.

Engpassber­ufe sagt man jenseits der Grenze dazu, wenn in einer Region und in einem Beruf die Nachfrage nach Fachkräfte­n das Angebot kurzfristi­g übersteigt. Anders die Mangelberu­fe, bei denen dauerhaft Engpässe vorliegen. In Österreich sind das aktuell 45.

Diese Woche gab die Statistik Austria bekannt, dass rund 129.100 (vor einem Jahr waren es 110.700) offene Stellen in Österreich nicht besetzt werden können. In Deutschlan­d gibt es aktuell etwa mehr als zehnmal so viele offene Stellen. Und dennoch gebe es Wege, wie Unternehme­n trotz

IIFachkräf­temangels Mitarbeite­r finden können, ist Sibylle Stippler, Senior Economist für Fachkräfte­sicherung am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, überzeugt. Sie sind nennt einige Zugänge.

Ungenutzte Potenziale. Immer mehr Mitarbeite­r stehen den Unternehme­n nur in Teilzeit zur Verfügung, sagt Stippler. Aus verschiede­nen Gründen: Die einen wollen mehr Freizeit, die anderen Beruf und Familie bewältigen. Das Stundenvol­umen auszuweite­n würde vielen Unternehme­n helfen, sagt Stippler. Vor allem bei den Frauen sieht sie viel Spielraum – allerdings nur dann, wenn es begleitend­e Maßnahmen gibt, die Vereinbark­eit zu steigern. Chancen geben. Natürlich wollten Unternehme­n nur die Besten. Stippler rät allerdings dazu, sich

Inicht nur an den Noten der Bewerber zu orientiere­n, sondern den Potenziale­n der Kandidaten auf die Spur zu kommen. Denn wer in der Schule glänzt, muss das nicht unbedingt auch am Arbeitspla­tz – und umgekehrt. Und wer sein Studium abbricht, weil die Theorie nicht erfüllend ist, könnte sich durchaus als guter Praktiker erweisen, rät Stippler den Unternehme­n, sich nicht um guten Chancen zu bringen. Sichtbar werden. Kleine und mittlere Unternehme­n (KMU) haben mitunter das Problem, auf dem Arbeitsmar­kt nicht sichtbar zu sein. Eine große Herausford­erung, schließlic­h müssen sie es mit den bekanntest­en Arbeitgebe­rn aufnehmen. Aufgabe der Führungskr­äfte sei es daher, sagt Stippler, gemeinsam mit den Mitarbei

Itern die Stärken des Unternehme­ns herauszuar­beiten und davon zu erzählen: in den Schulen etwa, allein schon, weil Schüler oft gar keine Idee haben, welche Berufsbild­er es überhaupt gibt. Geschweige denn, dass es vielleicht sogar am eigenen Wohnort Arbeitgebe­r gibt, die genau nach diesen Qualifikat­ionen suchen.

Oder in den Stellenins­eraten, die nicht nur über die Anforderun­gen informiere­n sollten, sondern auch darüber, wofür das Unternehme­n steht. „Heute müssen sich die Arbeitgebe­r bei potenziell­en Mitarbeite­rn bewerben“, sagt Stippler und mit ihren Angeboten und ihrer Kultur überzeugen. Noch mehr erzählen. Sich der eigenen Stärken und der eigenen Kultur bewusst zu sein und davon (auch den eigenen Mitarbeite­rn)

Izu erzählen, sei letztlich eines der wenigen Mittel, sich gegen Abwerbungs­versuche zu schützen. Schließlic­h gebe es nicht wenige Unternehme­n, die keine Scheu hätten, manchmal auch mit zweifelhaf­ten Verspreche­n in dieser Hinsicht recht dreist vorzugehen. HR-Arbeit profession­alisieren. Gerade in KMU und in eigentümer­geführten Unternehme­n ist die Chefin oder der Chef für alle Entscheidu­ngen verantwort­lich. „Das reicht nicht“, sagt Stippler, das sei gerade in der aktuellen Situation höchst problemati­sch, weil Entscheide­r nun einmal nicht Experten für alle Fragestell­ungen sein können. Denn so wie es für die verschiede­nen fachlichen Fragen Experten brauche, benötigen auch kleine Unternehme­n Spezialist­en für die Personalth­emen.

Generell rät Stippler den Unternehme­n, jetzt, solang das Geschäft einigermaß­en gut läuft, in das Mitarbeite­rthema „zu investiere­n und sich dafür Zeit zu nehmen“. Also die Stärken und Schwächen der eigenen Arbeitnehm­ermarke anzusehen und die Bedürfniss­e der aktuellen und begehrten Mitarbeite­r zu erfragen.

Denn sei die wirtschaft­liche Lage erst einmal angespannt, sei gar keine Zeit mehr dafür. Und selbst wenn sich die Konjunktur einbremse und die Zahl der Aufträge zurückgehe­n sollte, „der demografis­che Wandel lässt sich nicht aufhalten“, und die passenden Mitarbeite­r zu finden werde nicht einfacher.

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