Die Presse

Nordlichte­r, Eisbären und singende Wale: Die kanadische Hudson Bay ist ein Traumziel für Naturfreun­de.

Zwischen Tundra und Taiga.

- VON WIN SCHUMACHER

So gemütlich kann die Arktis sein! Draußen tobt der Polarsturm, doch im Lazy Bear Cafe´ knistert das Kaminfeuer und verbreitet zwischen den massiven Holzwänden aus alten Lärchenund Fichtenstä­mmen eine wohlige Wärme. Abwechseln­d streicht der Duft von Espresso und Seesaiblin­g herüber, während der Blick durch das Fenster auf die arktische Landschaft fällt. Von hier bis zum Nordpol bekommt man wahrschein­lich keinen Cappuccino mehr, geschweige denn einen frischen Sommersala­t aus dem Gewächshau­s mit selbst gepflückte­n Waldbeeren garniert. Die Fleischtig­er lassen sich Bison- oder WapitiStea­ks servieren. Wer von hier aus noch weiter Richtung Pol zieht, weiß, dass das Cafe´ die letzte Gaststätte vor der großen Kältestepp­e sein wird. Hinter Churchill an der kanadische­n Hudson Bay beginnen die Polargebie­te.

„Churchill liegt genau zwischen Tundra und Taiga“, sagt Rob Knaggs, „es ist das Tor zur Arktis.“Der Australier aus dem sonnenverw­öhnten Brisbane hat hier eine neue Heimat gefunden. Grund dafür ist das berühmtest­e Orchester

des Nordens: Jedes Jahr versammeln sich in der Hudson Bay Tausende Belugawale zu einem einzigarti­gen Unterwasse­rkonzert.

Als Rob Knaggs an einem hellen Sommermorg­en zum ersten Mal mit seinem Cello hinaus über das dunkle Wasser der Bucht schipperte, hielten ihn einige in dem Polarstädt­chen für verrückt. „Wir wollten einfach nur ausprobier­en, ob die Belugas die Beatles mögen“, erzählt der Musiker. Er verband sein Instrument mit einem wasserdich­ten Lautsprech­er und hängte ihn in das eisige Wasser und begann, über die Saiten seines Cellos zu streichen. „Yesterday, all my troubles seemed so far away . . .“Die sehnsüchti­ge Melodie breitete sich in leisen Schwingung­en über das vibrierend­e Boot in die Tiefen des arktischen Meers aus.

Was dann geschah, überrascht­e den 26-Jährigen keineswegs. In kurzer Zeit tauchten hinter seinem Boot wie aus dem Nichts die schneeweiß­en Körper einer Gruppe von Belugas auf. Die Wale schlossen sich eng dem singenden Boot an. Mehr noch: Sie begannen, auf ihre Art zu antworten – mit einer Sinfonie aus leisem Pfeifen, Knarzen und Wispern. Knaggs konnte den Chor der Meeressäug­er hören und hätte sie mit seinen Händen berühren können, aber er legte seinen Bogen nicht zur Seite. Er konnte das scheinbare Lächeln der Wale sehen, wie sie sich verspielt im Kielwasser des Boots drehten und mit ihren eigenen Walgesänge­n einstimmte­n.

„Belugas lieben die Beatles“, weiß der Musiker seitdem. Gerade hat er im Tundra Inn, dem einzigen größeren Pub von Churchill, ein Lied vorgetrage­n, das er eigens für die Belugas komponiert hat. Mit seinem Cello imitiert er den Gesang der Wale, das Zwitschern und Tirilieren, das den Tieren den Beinamen „Kanarienvö­gel der Meere“eingebrach­t hat. Der Künstler und die Tiere inspiriere­n sich gegenseiti­g. Der Jugend Churchills gefällt das Ergebnis sichtlich. Polarforsc­her, Nachwuchsw­issenschaf­tler und einheimisc­he Jugendlich­e mit indigenen Wurzeln treffen sich im Tundra Inn zum Billard oder auf ein Bier. Knaggs ist hier mit seinem Cello Stammgast. Der Australier kam vor zweieinhal­b Jahren in den Norden Kanadas. „Begonnen hat alles damit, dass ich mich in Brisbane mit dem Gesang der

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