Mahler an der Elbe, Händel am Gänsemarkt
Hamburg. Elbphilharmonie, Komponistenquartier und mehr: Die Hafenstadt entdeckt sich neu als Zentrum der klassischen Musik.
Die Bremer sind unmusikalisch“, schrieb der gebürtige Hamburger Johannes Brahms an Gustav Mahler: „Aber der Hamburger ist antimusikalisch! Das Publikum klatscht immer an den falschen Stellen! Entsetzlich!“Auch wenn Mahler seinem Kollegen beipflichtete und die Hamburger seinerseits „gehörlos“nannte, war er immerhin von 1891 bis 1897 erster Kapellmeister am Stadttheater in Hamburg, wo er unter anderem die deutsche Erstaufführung von Tschaikowskis „Eugen Onegin“dirigierte.
Es spricht für Selbstbewusstsein und Selbstironie der Hamburger, dass ihre Fremdenführer die genannten Zitate von Brahms und Mahler gern bringen – genauso gern, wie sie über das Duell am Gänsemarkt erzählen, das Georg Friedrich Händel 1704 mit Johann Mattheson ausfocht, nachdem ihn dieser während seiner Oper „Die unglückselige Cleopatra“vom Cembalo gedrängt hatte.
Nein, das „Opern-Theatrum“am Gänsemarkt, 1678 als erstes bürgerliches deutsches Opernhaus eröffnet, steht nicht mehr, 1763 schon wurde es abgerissen, das heutige Gebäude der Hamburgischen Staatsoper – an der seit 1973 John Neumeier Ballettdirektor und seit 2015 Kent Nagano Generalmusikdirektor ist – hat, um es freundlich zu sagen, den streng sachlichen Charme der 1950er-Jahre. Wer es sieht, versteht noch mehr, warum die im Jänner 2017 eröffnete Elbphilharmonie so wichtig ist fürs kulturelle Selbstbewusstsein dieser Stadt. Und warum die Erregung über die unmäßig gestiegenen Baukosten längst ironischer Nonchalance gewichen ist: „Wenn sich’s denn rechnet“, sagt der Fremdenführer, nennt beeindruckende Summen, spricht das Wort „Millionengrab“fast zärtlich aus und fügt stolz hinzu: „Das sollen uns die Berliner mit ihrem Flughafen einmal nachmachen . . .“
Ja, sie ist ein Wahrzeichen geworden, die Elbphilharmonie, sie
In Hamburg bewegt man sich gut per Fahrrad, das tat schon Mahler.
Wie die Einheimischen mit „Moin“zu grüßen ist okay, „Hummelhummel, mors-mors“sagt man eher nicht, sondern wartet, bis ein Hamburger einem diesen Schmäh erklärt.
Am besten (und halbwegs zentral) noch immer im Schanzenviertel, auf der Straße namens Schulterblatt.
Die Reise erfolgte auf Einladung der Firma MS6, die musikalische Hamburg-Reisen organisiert. Angebote: reisegesellschaft.at hat das Stadtbild gewaltfrei erobert, und die Hamburger lieben sie. Wohl auch, weil sie aus dem Hafen gewachsen ist. In sie integriert wurde die Hülle der Lagerhalle, die Kaispeicher hieß, doch von den Hamburgern, die sonst in ihrem stolzen Bürgersinn durchaus keine besondere Liebe zu Monarchen hatten, zu Ehren Wilhelms I. Kaiserspeicher genannt wurde. An einer Kante der Elbphilharmonie ragen Kräne empor, sie sind nicht mehr funktional, nur noch dekorativ, doch man könnte sich gut vorstellen, dass sie eine Ladung von Tönen, seemännischen Glissandi etwa, in die Hallen hieven. Und sich dabei gegen rauen Wind und/oder leichtes Nieseln behauptet, jenes Wetter also, das man in Hamburg lieber erträgt als anderswo.
Natürlich muss man die Elbphilharmonie auch von innen erleben, muss die abenteuerlich geschwungene Rolltreppe hinauffahren, in den Foyers unter den sachlichen Lampen sinnieren, im Restaurant Störtebeker herbes Bier trinken, von der Plaza aus auf den Hafen schauen oder durch eine der ovalen Luken auf die Innenstadt mit ihren fünf Kirchtürmen, Petri, Nikolai, Katharinen, Jacobi und Michaelis. Und man muss ein Konzert hören, am besten mit einem Kammerensemble, in dieser gläsernen hypersensiblen Akustik, in der man jeden Finger auf dem Griffbrett rutschen zu hören glaubt. Anders gesagt: Es klingt dort nach Steinway und nicht nach Bösendorfer. Was ja gut passt, schließlich hat die vom gebürtigen Harzer Heinrich Engelhard Steinweg 1853 in New York gegründete Firma seit 1980 in Hamburg ihren zweiten Hauptsitz.
Bei Steinway setzt man derzeit auf Spirio, das ist ein Selbstspielsystem, über das die Interpretation eines Pianisten elektronisch gespeichert wird und abrufbar ist. Der Flügel spielt, das Klavierstockerl ist leer. Wirkt irgendwie skurril bis dekadent. Einen viel beeindruckenderen Vorgänger kann man im Hamburger Komponistenquartier bewundern: das Welte-Mignon-Reproduktionsklavier, einen mechanischen Musikautomaten, der mit Rollen betrieben wird, auf denen – über ein System gestanzter Löcher – das Spiel eines Pianisten aufgezeichnet wurde und noch immer abrufbar ist. Diesfalls etwa eine Aufnahme einer Klavierversion des vierten Satzes von