„Politik hat nichts mit Moralisieren zu tun“– ein Streitgespräch
Debatte. Was wird durch den Klimaschutz teurer? Sollten die Österreicher weniger Fleisch essen? Und langsamer auf der Autobahn fahren? Ex-Umweltministerin Elisabeth Köstinger gegen GrünenKandidatin Leonore Gewessler: eine Kontroverse.
Die Presse: Stimmen Sie mir zu, wenn ich behaupte, dass irgendetwas teurer werden muss, wenn es Österreich mit dem Klimaschutz ernst meint? Elisabeth Köstinger: Ich stimme Ihnen zu. Die Billig-Ferienflieger auf diverse kanarische Inseln wird es so nicht mehr geben. Aber grundsätzlich glaube ich, dass Klimaschutz keine Belastung sein muss – wenn man es mit Hausverstand macht. Leonore Gewessler: Der Hausverstand der Österreicher ist weiter als jener der Politiker. Die Leute haben verstanden, dass es so nicht weitergehen kann. Klimaschonendes Verhalten muss sich lohnen – und klimaschädliches Verhalten teurer werden. Das erreicht man mit einer ökologischen Steuerreform.
Ist Fleisch zu billig, insbesondere Schweinefleisch? Gewessler: Auch hier setzt die Politik falsche Prioritäten. Wir importieren 500.000 Tonnen Futtermittel im Jahr, für die zum Teil Regenwald abgeholzt wurde. Siehe Brasilien. Deswegen müssen wir bei den Agrarförderungen umsteuern. Wenn ich in Österreich Fleisch esse, muss ich sicher sein können, dass es klimaschonend und tierwohlgerecht produziert wurde, am besten biologisch. Und das zu einem leistbaren Preis, der das Produkt wertschätzt.
Braucht es eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung? Köstinger: Bei verarbeiteten Produkten unbedingt, aber nicht nur bei Fleisch, sondern auch bei Ei- oder Milchprodukten als Primärzutat. Überall dort, wo große Mengen gekocht werden, in Kantinen, Schulen, Spitälern, beim Bundesheer, hat das Sinn.
Und im Landgasthaus? Köstinger: Wir erleben bereits jetzt ein Landgasthofsterben wie noch nie. Die haben unglaublich viele Auflagen: Hygiene, Allergenkennzeichnung, Registrierkasse. Wir sollten sie nicht noch stärker belasten. Gewessler: Das ist ein gutes Beispiel für die halbherzige Klimapolitik in Österreich. In der Schweiz gibt es die Kennzeichnung seit Jahren. Das ist ja in Wirklichkeit eine große Chance für die österreichischen Landwirte. Köstinger: Es gibt Anreize. Gewessler: Das ist zu wenig. Dasselbe gilt für die öffentliche Beschaffung. Wien geht da sehr weit, das Burgenland hat einen Schritt Richtung Bioland gemacht, der Bund fehlt. Beim Pro-Kopf-Fleischkonsum ist Österreich Europameister. Wie kann man die Leute überzeugen, weniger Fleisch zu essen, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, in die persönliche Freiheit einzugreifen? Gewessler: Die öffentliche Hand könnte mit gutem Beispiel vorangehen. Schmackhafte Alternativen gibt es in Österreich zuhauf: Kaiserschmarren und Marillenknödel waren immer schon vegetarisch. Köstinger: Ich möchte den Österreichern nicht vorschreiben, was sie essen sollen. Gewessler: Politik hat nichts mit Moralisieren zu tun, da stimme ich Ihnen zu. Aber es ist die Aufgabe der Politik, für Rahmenbedingungen zu sorgen, damit sich jeder möglichst einfach gesund ernähren kann. Köstinger: Sind Sie dann nicht für einen Veggie-Day wie die Grünen in Deutschland? Gewessler: Nein. Ich will, dass wir in der Produktion umsteuern.
Apropos Steuern: Die Grünen wollen CO2 besteuern. Diesel, sagt Parteichef Werner Kogler, müsse um 30 Cent pro Liter teurer werden, Benzin um 20 Cent pro Liter. Gewessler: Im ersten Schritt müssen wir das Dieselprivileg und die Steuerbefreiung für Kerosin beseitigen. Es geht aber auch um soziale Gerechtigkeit. Bei einem Steuervolumen von acht Milliarden ist ein Ökobonus von 500 Euro pro Kopf und Jahr vorgesehen. Köstinger: 500 Euro? Das heißt, eine Familie in der Stadt, die vor der Haustür die U-Bahn hat, bekommt genauso viel wie eine Familie auf dem Land, in der beide Elternteile pendeln müssen. Das wäre eine massive Umverteilung vom Land in die Stadt. Gewessler: Uns geht es natürlich um ein Gesamtkonzept. Klimaforscher haben das durchgerechnet, es wäre sozial gerecht. Köstinger: Was ist daran sozial gerecht? Gewessler: Durch das Politikversagen der letzten Jahre ist im Öffi-Ausbau auf dem Land nichts weitergegangen. Das jetzt als Ausrede herzunehmen, kann ich nicht durchgehen lassen. Köstinger: Österreich hat die höchsten Passagierzahlen bei den Bundesbahnen. Gewessler: Die Emissionen im Verkehr explodieren. Und die ÖVP-FPÖ-Regierung hat hier auch noch kontraproduktive Maßnahmen wie Tempo 140 gesetzt. Köstinger: Auf Teststrecken! Und es werden zwölf Milliarden Euro in den Ausbau der Schiene investiert.
Das Climate Change Center Austria hat diese Woche dringende Empfehlungen an die Politik abgegeben. Unter anderem sollte die erlaubte Höchstgeschwindigkeit für Kraftfahrzeuge verringert werden. Köstinger: Ich glaube, dass wir die Mobilität umstellen müssen. Wenn die Neuzulassungsraten bei E-Autos weiter steigen, ist es egal, ob ich 100 oder 130 Stundenkilometer auf der Autobahn fahre. Gewessler: Die Empfehlungen der Klimaforscher waren ein Aufschrei, weil Österreich jedes Ziel versäumt: Wir werden den Erneuerbaren-Ausbau nicht schaffen. Und die Emissionen sinken nicht. Köstinger: 2018 sind die Emissionen erstmals wieder gesunken. Und das lag nicht nur an der Wartung des Voest-Hochofens. Gewessler: Doch. Und am milden Winter. Köstinger: Sie reden Maßnahmen, die gewirkt haben, permanent klein. Wir haben im Gebäudebereich eine massive CO2-Senkung zustande gebracht, „Raus aus dem Öl“beschlossen, den Ausbau von E-Tankstellen gefördert. Gewessler: Das ist gut, aber nicht ausreichend für die Größe der Herausforderung. Wir haben derzeit 25.000 E-Mobile in Österreich – bei fünf Millionen Autos. Köstinger: Aber irgendwo fängt man einmal an. Und seit die Grünen nicht mehr im Parlament sind, hat sich einiges getan. Gewessler: Einspruch! Man hat gesehen, wie sehr die Grünen gefehlt haben. Köstinger: Wo denn? Gewessler: Stichwort Erneuerbaren-Ausbau. Köstinger: Das ist nichts, was man sich in einem Monat erarbeitet. Gewessler: Ja, eh. Aber Österreich stagniert in diesem Bereich. In der Stromproduktion ist der Anteil der Erneuerbaren zuletzt sogar gefallen. Das kann ja nicht sein. Köstinger: Also wir kommen da auf keinen grünen Zweig.
Eine Temporeduktion steht auch im Wahlprogramm der Grünen. Können Sie uns eine konkrete Zahl nennen? Gewessler: Klar ist: Wir müssen Tempo rausnehmen. Und weg von diesem KleinKlein. Der große Hebel ist der Öffi-Ausbau. Wie stehen die Grünen zum Wasserstoff? Gewessler: Wasserstoff in die Individualmobilität zu bringen wäre unverantwortlich. Wir brauchen ihn woanders, etwa in der Industrie. Aktuell kommt er zu 90 Prozent aus fossiler Energie. Beim ÖVP-Vorschlag reibt sich momentan die Gazprom die Hände. Köstinger: Wenn jeder auf ein E-Auto umsteigt, wäre der Mehrbedarf an grünem Strom nicht zu produzieren. Ein E-Auto mit Kohlestrom ist ja vollkommen absurd. Für die Langstrecke und für den Schwerverkehr brauchen wir daher Alternativen wie Wasserstoff. Und auch im öffentlichen Verkehr ist Wasserstoff ein Thema. Graz stellt gerade auf Wasserstoffbusse um. Und auch die Stadt Wien hat vor Kurzem Wasserstoffbusse ausgeschrieben. Gewessler: Die ÖVP ist aber mit der Individualmobilität in die Diskussion gegangen. Köstinger: Und auch da würde ich die Türe nicht verschließen. Ich bin mit dem Hyundai Nexo gefahren. Meldet Euch bei Magna, die Technologie kommt aus Österreich. Gewessler: Ja, es gibt Innovation. Und die braucht Platz. Aber in der Individualmobilität mit Wasserstoff brauchen wir dreimal so viel grünen Strom wie in der E-Mobilität. So gesehen wäre es wirklich ein Irrsinn, beim Auto in Wasserstoff zu gehen. Köstinger: Wäre es nicht. Es ist eine absolute Zukunftstechnologie.
Was kann Europa in der Klimapolitik eigentlich allein ausrichten gegen die globalen Player wie die USA, China, Indien? Köstinger: Wir brauchen einen globalen Schulterschluss, sonst sind unsere Bemühungen umsonst. Immerhin kommen 90 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes von außerhalb Europas. Deswegen möchte ich bei den großen Dingen beginnen und nicht beim Einzelnen, der auf sein Auto angewiesen ist: bei einem CO2-Mindestpreis und bei einer Kerosinsteuer, beides auf EU-Ebene. Gewessler: Europa hat in den vergangenen Jahren zu wenig getan. Wir fördern über Kapazitätsmärkte nach wie vor Kohleenergie. Köstinger: Nein. 2025 ist das Enddatum. Das hat Österreich ausverhandelt. Gewessler: Es wäre viel mehr möglich gewesen. Köstinger: Wir sollten einmal die Seiten wechseln: Ich gehe in eine NGO als Geschäftsführerin. Gewessler: Ich habe meinen NGO-Job aufgegeben und bin in die Politik gegangen, genau aus diesem Grund: weil nichts weitergeht. Köstinger: Meine Botschaft ist: Wir können es schaffen, und wir werden es schaffen.