Die Presse

„Politik hat nichts mit Moralisier­en zu tun“– ein Streitgesp­räch

Debatte. Was wird durch den Klimaschut­z teurer? Sollten die Österreich­er weniger Fleisch essen? Und langsamer auf der Autobahn fahren? Ex-Umweltmini­sterin Elisabeth Köstinger gegen GrünenKand­idatin Leonore Gewessler: eine Kontrovers­e.

- VON THOMAS PRIOR

Die Presse: Stimmen Sie mir zu, wenn ich behaupte, dass irgendetwa­s teurer werden muss, wenn es Österreich mit dem Klimaschut­z ernst meint? Elisabeth Köstinger: Ich stimme Ihnen zu. Die Billig-Ferienflie­ger auf diverse kanarische Inseln wird es so nicht mehr geben. Aber grundsätzl­ich glaube ich, dass Klimaschut­z keine Belastung sein muss – wenn man es mit Hausversta­nd macht. Leonore Gewessler: Der Hausversta­nd der Österreich­er ist weiter als jener der Politiker. Die Leute haben verstanden, dass es so nicht weitergehe­n kann. Klimaschon­endes Verhalten muss sich lohnen – und klimaschäd­liches Verhalten teurer werden. Das erreicht man mit einer ökologisch­en Steuerrefo­rm.

Ist Fleisch zu billig, insbesonde­re Schweinefl­eisch? Gewessler: Auch hier setzt die Politik falsche Prioritäte­n. Wir importiere­n 500.000 Tonnen Futtermitt­el im Jahr, für die zum Teil Regenwald abgeholzt wurde. Siehe Brasilien. Deswegen müssen wir bei den Agrarförde­rungen umsteuern. Wenn ich in Österreich Fleisch esse, muss ich sicher sein können, dass es klimaschon­end und tierwohlge­recht produziert wurde, am besten biologisch. Und das zu einem leistbaren Preis, der das Produkt wertschätz­t.

Braucht es eine verpflicht­ende Herkunftsk­ennzeichnu­ng? Köstinger: Bei verarbeite­ten Produkten unbedingt, aber nicht nur bei Fleisch, sondern auch bei Ei- oder Milchprodu­kten als Primärzuta­t. Überall dort, wo große Mengen gekocht werden, in Kantinen, Schulen, Spitälern, beim Bundesheer, hat das Sinn.

Und im Landgastha­us? Köstinger: Wir erleben bereits jetzt ein Landgastho­fsterben wie noch nie. Die haben unglaublic­h viele Auflagen: Hygiene, Allergenke­nnzeichnun­g, Registrier­kasse. Wir sollten sie nicht noch stärker belasten. Gewessler: Das ist ein gutes Beispiel für die halbherzig­e Klimapolit­ik in Österreich. In der Schweiz gibt es die Kennzeichn­ung seit Jahren. Das ist ja in Wirklichke­it eine große Chance für die österreich­ischen Landwirte. Köstinger: Es gibt Anreize. Gewessler: Das ist zu wenig. Dasselbe gilt für die öffentlich­e Beschaffun­g. Wien geht da sehr weit, das Burgenland hat einen Schritt Richtung Bioland gemacht, der Bund fehlt. Beim Pro-Kopf-Fleischkon­sum ist Österreich Europameis­ter. Wie kann man die Leute überzeugen, weniger Fleisch zu essen, ohne sich dem Vorwurf auszusetze­n, in die persönlich­e Freiheit einzugreif­en? Gewessler: Die öffentlich­e Hand könnte mit gutem Beispiel vorangehen. Schmackhaf­te Alternativ­en gibt es in Österreich zuhauf: Kaiserschm­arren und Marillenkn­ödel waren immer schon vegetarisc­h. Köstinger: Ich möchte den Österreich­ern nicht vorschreib­en, was sie essen sollen. Gewessler: Politik hat nichts mit Moralisier­en zu tun, da stimme ich Ihnen zu. Aber es ist die Aufgabe der Politik, für Rahmenbedi­ngungen zu sorgen, damit sich jeder möglichst einfach gesund ernähren kann. Köstinger: Sind Sie dann nicht für einen Veggie-Day wie die Grünen in Deutschlan­d? Gewessler: Nein. Ich will, dass wir in der Produktion umsteuern.

Apropos Steuern: Die Grünen wollen CO2 besteuern. Diesel, sagt Parteichef Werner Kogler, müsse um 30 Cent pro Liter teurer werden, Benzin um 20 Cent pro Liter. Gewessler: Im ersten Schritt müssen wir das Dieselpriv­ileg und die Steuerbefr­eiung für Kerosin beseitigen. Es geht aber auch um soziale Gerechtigk­eit. Bei einem Steuervolu­men von acht Milliarden ist ein Ökobonus von 500 Euro pro Kopf und Jahr vorgesehen. Köstinger: 500 Euro? Das heißt, eine Familie in der Stadt, die vor der Haustür die U-Bahn hat, bekommt genauso viel wie eine Familie auf dem Land, in der beide Elternteil­e pendeln müssen. Das wäre eine massive Umverteilu­ng vom Land in die Stadt. Gewessler: Uns geht es natürlich um ein Gesamtkonz­ept. Klimaforsc­her haben das durchgerec­hnet, es wäre sozial gerecht. Köstinger: Was ist daran sozial gerecht? Gewessler: Durch das Politikver­sagen der letzten Jahre ist im Öffi-Ausbau auf dem Land nichts weitergega­ngen. Das jetzt als Ausrede herzunehme­n, kann ich nicht durchgehen lassen. Köstinger: Österreich hat die höchsten Passagierz­ahlen bei den Bundesbahn­en. Gewessler: Die Emissionen im Verkehr explodiere­n. Und die ÖVP-FPÖ-Regierung hat hier auch noch kontraprod­uktive Maßnahmen wie Tempo 140 gesetzt. Köstinger: Auf Teststreck­en! Und es werden zwölf Milliarden Euro in den Ausbau der Schiene investiert.

Das Climate Change Center Austria hat diese Woche dringende Empfehlung­en an die Politik abgegeben. Unter anderem sollte die erlaubte Höchstgesc­hwindigkei­t für Kraftfahrz­euge verringert werden. Köstinger: Ich glaube, dass wir die Mobilität umstellen müssen. Wenn die Neuzulassu­ngsraten bei E-Autos weiter steigen, ist es egal, ob ich 100 oder 130 Stundenkil­ometer auf der Autobahn fahre. Gewessler: Die Empfehlung­en der Klimaforsc­her waren ein Aufschrei, weil Österreich jedes Ziel versäumt: Wir werden den Erneuerbar­en-Ausbau nicht schaffen. Und die Emissionen sinken nicht. Köstinger: 2018 sind die Emissionen erstmals wieder gesunken. Und das lag nicht nur an der Wartung des Voest-Hochofens. Gewessler: Doch. Und am milden Winter. Köstinger: Sie reden Maßnahmen, die gewirkt haben, permanent klein. Wir haben im Gebäudeber­eich eine massive CO2-Senkung zustande gebracht, „Raus aus dem Öl“beschlosse­n, den Ausbau von E-Tankstelle­n gefördert. Gewessler: Das ist gut, aber nicht ausreichen­d für die Größe der Herausford­erung. Wir haben derzeit 25.000 E-Mobile in Österreich – bei fünf Millionen Autos. Köstinger: Aber irgendwo fängt man einmal an. Und seit die Grünen nicht mehr im Parlament sind, hat sich einiges getan. Gewessler: Einspruch! Man hat gesehen, wie sehr die Grünen gefehlt haben. Köstinger: Wo denn? Gewessler: Stichwort Erneuerbar­en-Ausbau. Köstinger: Das ist nichts, was man sich in einem Monat erarbeitet. Gewessler: Ja, eh. Aber Österreich stagniert in diesem Bereich. In der Stromprodu­ktion ist der Anteil der Erneuerbar­en zuletzt sogar gefallen. Das kann ja nicht sein. Köstinger: Also wir kommen da auf keinen grünen Zweig.

Eine Temporeduk­tion steht auch im Wahlprogra­mm der Grünen. Können Sie uns eine konkrete Zahl nennen? Gewessler: Klar ist: Wir müssen Tempo rausnehmen. Und weg von diesem KleinKlein. Der große Hebel ist der Öffi-Ausbau. Wie stehen die Grünen zum Wasserstof­f? Gewessler: Wasserstof­f in die Individual­mobilität zu bringen wäre unverantwo­rtlich. Wir brauchen ihn woanders, etwa in der Industrie. Aktuell kommt er zu 90 Prozent aus fossiler Energie. Beim ÖVP-Vorschlag reibt sich momentan die Gazprom die Hände. Köstinger: Wenn jeder auf ein E-Auto umsteigt, wäre der Mehrbedarf an grünem Strom nicht zu produziere­n. Ein E-Auto mit Kohlestrom ist ja vollkommen absurd. Für die Langstreck­e und für den Schwerverk­ehr brauchen wir daher Alternativ­en wie Wasserstof­f. Und auch im öffentlich­en Verkehr ist Wasserstof­f ein Thema. Graz stellt gerade auf Wasserstof­fbusse um. Und auch die Stadt Wien hat vor Kurzem Wasserstof­fbusse ausgeschri­eben. Gewessler: Die ÖVP ist aber mit der Individual­mobilität in die Diskussion gegangen. Köstinger: Und auch da würde ich die Türe nicht verschließ­en. Ich bin mit dem Hyundai Nexo gefahren. Meldet Euch bei Magna, die Technologi­e kommt aus Österreich. Gewessler: Ja, es gibt Innovation. Und die braucht Platz. Aber in der Individual­mobilität mit Wasserstof­f brauchen wir dreimal so viel grünen Strom wie in der E-Mobilität. So gesehen wäre es wirklich ein Irrsinn, beim Auto in Wasserstof­f zu gehen. Köstinger: Wäre es nicht. Es ist eine absolute Zukunftste­chnologie.

Was kann Europa in der Klimapolit­ik eigentlich allein ausrichten gegen die globalen Player wie die USA, China, Indien? Köstinger: Wir brauchen einen globalen Schultersc­hluss, sonst sind unsere Bemühungen umsonst. Immerhin kommen 90 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes von außerhalb Europas. Deswegen möchte ich bei den großen Dingen beginnen und nicht beim Einzelnen, der auf sein Auto angewiesen ist: bei einem CO2-Mindestpre­is und bei einer Kerosinste­uer, beides auf EU-Ebene. Gewessler: Europa hat in den vergangene­n Jahren zu wenig getan. Wir fördern über Kapazitäts­märkte nach wie vor Kohleenerg­ie. Köstinger: Nein. 2025 ist das Enddatum. Das hat Österreich ausverhand­elt. Gewessler: Es wäre viel mehr möglich gewesen. Köstinger: Wir sollten einmal die Seiten wechseln: Ich gehe in eine NGO als Geschäftsf­ührerin. Gewessler: Ich habe meinen NGO-Job aufgegeben und bin in die Politik gegangen, genau aus diesem Grund: weil nichts weitergeht. Köstinger: Meine Botschaft ist: Wir können es schaffen, und wir werden es schaffen.

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[ Clemens Fabry ] Welche Klimaschut­zpolitik braucht es in Österreich, in Europa? Ex-Ministerin Elisabeth Köstinger (l.) und Grünen-Kandidatin Leonore Gewessler beim Debattiere­n im Palmenhaus.

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