Schuldenregeln auf dem Prüfstand
Analyse. Die Diskussion über eine Reform des Eurostabilitätspaktes ist in vollem Gange. Dass ausgerechnet ein Italiener über den Pakt wachen soll, deutet auf eine mögliche Aufweichung hin.
Eigentlich muss man sich fragen, warum die Debatte nicht schon viel früher entbrannt ist. Schließlich hatten just die für ihre Sparsamkeit bekannten Deutschen gemeinsam mit Frankreich die erste Gelegenheit genützt, um den Stabilitätspakt zu brechen. Also wozu Regeln aufrechterhalten, an die sich dann keiner hält? Jetzt wird in der EU jedenfalls eifrig über eine Reform der Haushaltsregeln debattiert. Zuletzt beim informellen Treffen der EU-Finanzminister in Helsinki. Die derzeitigen Regeln funktionieren aus Sicht vieler Mitgliedstaaten recht gut, seien aber nicht perfekt, sagt Valdis Dombrovskis, Vizepräsident der EU-Kommission, am Samstag nach Beratungen mit den Ministern.
Die EU-Kommission werde bis Ende des Jahres eine Überprüfung der Haushaltsregeln vorlegen. Mit der Revision sollen die öffentlichen Finanzen nachhaltiger gestaltet und die Wirtschaft stabilisiert werden. Es gehe nun darum, zu prüfen, ob und wie eine Vereinfachung möglich sei, so Dombrovskis. Nun hat der Pakt, der über die Schulden der Euroländer wachen soll, schon eine etwas längere Geschichte. Beschlossen worden ist er 1997, seither ist er immer wieder überarbeitet worden. Mit den Veränderungen wurde er immer komplizierter, bemängeln Experten. Allein das Handbuch zur Erläuterung des Regelwerks umfasst 100 Seiten. Plus: Schon beinahe alle Euroländer haben gegen den Pakt verstoßen, auch solche, die vehement auf seine Einhaltung pochen, wie eben Deutschland.
Die Idee des Paktes ist, dass sich die Volkswirtschaften der Euroländer nicht zu unterschiedlich entwickeln. Herzstück sind die Schuldenregeln: Sie schreiben den Mitgliedsländern eine maximale Staatsverschuldung in Höhe von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes vor und ein maximales Budgetdefizit von drei Prozent. Aber allein zwischen 1999 und 2015 haben die EU-Staaten 165-mal die zulässige Neuverschuldung überschritten, davon über 100-mal unerlaubt. Mit der großen Reform im Jahr 2011 wurden strengere Finanzstrafen eingeführt, es musste aber noch nie ein Land für einen Verstoß bezahlen. Experten kritisieren den Pakt als zahnlos.
Wohin die Reise geht, ist freilich offen. Die Diskussion hat gerade erst begonnen. Es werden aber schon Begehrlichkeiten angemeldet: Italiens Staatschef Sergio Mattarella hat kürzlich eine Aufweichung des EU-Stabilitätspaktes gefordert, die es Italien erlauben würde, mehr auf Schulden zu investieren. Aus Sicht der Italiener nachvollziehbar: Italien ist mit einer Schuldenquote von rund 130 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) nach Griechenland das am zweithöchsten verschuldete Euroland. Nächstes Jahr droht ein Budgetdefizit von 3,5 Prozent besser bekannt als Eurostabilitätspakt, wurde 1997 verabschiedet, um solide öffentliche Finanzen der EU-Mitgliedsländer sicherzustellen. Er soll dafür sorgen, dass sich die Volkswirtschaften der Länder nicht zu unterschiedlich entwickeln und dass Staatsverschuldung und Budgetdefizite im vorgeschriebenen Rahmen bleiben. des BIP und damit ein erneuter Regelverstoß. Verständlich auch die Hoffnungen der Italiener: Die designierte Kommissionschefin Ursula von der Leyen will den linksgerichteten italienischen ExPremier Paolo Gentiloni zum Wirtschaftskommissar machen. Dass ausgerechnet ein Italiener über den Stabilitätspakt und damit die Spardisziplin der Euroländer wachen soll, sorgt im konservativen Lager für Unmut. Die Ängste sollen eingedämmt werden, indem EUWährungskommissar Dombrovskis, ein Lette, Gentiloni als eine Art Aufpasser übergeordnet wird.
Dombrovskis stellte am Samstag klar, dass es bei der Revision des Paktes nicht darum gehe, die finanzpolitischen Ziele zu korrigieren – sondern darum, wie sie gemessen werden. Allerdings stellte die künftige Kommissionschefin jüngst Zugeständnisse an Italien in Aussicht: Die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes müssten eingehalten werden, es gebe aber auch viel Flexibilität in dem Regelwerk, so von der Leyen im Juli. Der Politpoker ist eröffnet.