Was der Olpreis-Schock bedeutet
Seit dem Golfkrieg 1991 gab es keinen solchen Preissprung. Wie schlimm werden die Folgen sein? „Die Presse“beantwortet die wichtigsten Fragen.
Wien. Der gestrige Montag wird einen Fixplatz in der Geschichte des Rohstoffhandels einnehmen. Zu Handelsbeginn schnellten die Ölpreise um knapp 20 Prozent hoch (die Sorte Brent auf 72 Dollar je Fass), nachdem am Samstag die ggrößte saudiarabische Raffinerie und ein Ölf feld von jemenitischen Houthi- Rebellen angegriffen worden waren. Am Abend betrug das Preisplus immer noch zehn Prozent. Der Preisschock betrifft jeden. Worauf müssen wir uns einstellen?
Wie schlimm ist die Situation auf dem Öl
markt wirklich?
Da 5,7 Millionen Barrel (Fass) der saudischen Ölproduktion ausfal
len und dies mehr als 50 Prozent der dortigen bzw. über fünf Prozent der globalen Tagesförderung ent
spricht, ist das Ausmaß signifikant. Allerdings gibt es weltweit zwei Mrd. Barrel an Reserven in Tanks. So allein in Saudiarabien 200 Mio. Barrel, in den USA 600 Mio. Barrel und in Österreich so viel, dass man drei Monate auskommen würde. Angesichts einer globalen Förderung von 100 Mio. Bar
rel täglich könnte allein Saudiarabien mit seinen Reserven seinen Produktionsausfall immerhin für 35 Tage kompensieren, sagt Hannes Loacker von Raiffeisen Capital Management gegenüber der „Presse“. US-Präsident Donald Trump hat die Freigabe der US-Reserven für den Bedarfsfall angeordnet.
Wer kann bei versiegenden nationalen Reserven die ausfallende saudische Produktion durch mehr Förderung kompensieren?
Kritisch würde die Situation, wenn die global lagernden strategischen Reserven zur Neige gingen und Saudiarabien die beschädigten Anlagen nicht rechtzeitig reparierte. Das Land hat größtes Interesse, dies zu tun, schließlich will es 2020 seinen Ölkonzern Saudi Aramco an die Börse bringen und muss deshalb zeigen, dass die Lieferung tadellos funktioniert. Die Agentur Bloomberg zitiert Insider, die vor zu hohen Erwartungen warnen. Das Problem aktuell ist, dass Informationen über die Art der Beschädigung und die angenommene Reparaturdauer fehlen.
Es ist paradox, aber die größten Kapazitäten, den eigenen Produktionsausfall wettzumachen, hat Saudiarabien selbst. Hatte das Land 2018 noch über zwölf Millionen Barrel täglich gefördert, so senkte es das Fördervolumen inzwischen auf unter zehn Mio. Barrel, um gemeinsam mit anderen Ölstaaten den Preis zu stützen.
Gewisse Kapazitäten haben auch Staaten wie Kuwait, der Irak oder Russland, die ihre Förderung auch freiwillig gekürzt haben. Eine Produktionsausweitung braucht aber eine Vorlaufzeit. Auch in den USA, wo ja auf historischem Rekordniveau Öl aus der Erde gepumpt wird. Im unwahrscheinlichen Extremfall könnte der Ölpreis in zwei Monaten bei 100 Dollar liegen, so Loacker.
Wie werden sich die saudischen Produktionsausfälle auf den Treibstoffpreis der hiesigen Tankstellen auswirken?
Auch wenn kurzfristig kein Lieferengpass gp besteht, wird die Angst davor den Ölpr eis doch eine Zeit lang hochhalten. Damit wird ein Preisanstieg bei Benzin und Diesel nicht lang auf sich warten lassen. Wichtig zu wissen ist jedoch, dass ein zentraler Bestandteil der hiesigen Treibstoffpreise die Mineralölsteuer ist – und zwar mit einem Fixbetrag. So macht bei einem Liter Benzin die Mineralölsteuer 48 Cent aus, bei einem Liter Diesel 39,7 Cent. Der Treibstoffpreis besteht also zu weit mehr als einem Drittel aus dieser Steuer. Die Veränderung des Ölpreises schlägt also nicht eins zu eins, sondern mit geminderter Intensität auf die Treibstoffpreise durch – nach oben wie nach unten.
Laut UniCredit Bank Austria würde übrigens die hiesige Inflation bei einem kurzfristigen Ölpreisanstieg nur marginal anziehen – im Jahresschnitt 2019 von 1,7 auf 1,8 Prozent, meint Chefökonom Stefan Bruckbauer.
Welchen Einfluss hat der Ölpreis eigentlich auf die Entwicklung der Wirtschaft insgesamt?
Falls die Preisverwerfungen länger anhalten, rechnet die UniCredit Bank Austria für Österreich mit einer deutlich höheren Inflation 2020, die dann das Wachstum bremste. Eine Formel, wie der Ölpreis auf die Wirtschaft wirkt, gibt es nicht. Das Problem sei nicht unbedingt die Höhe des Preises, denn die habe in den Jahren von 2011 bis 2014 die Konjunktur ja nicht abgewürgt, sagt Loacker: Das Problem sei ein jäher Preisschock. Angesichts der nun ohnehin abflauenden Konjunktur aber sei die Situation durchaus kritisch, sagt Eugen Weinberg, Leiter der Rohstoffanalyse bei der Commerzbank, im Gespräch mit der „Presse“. Ein um fünf Dollar höherer Ölpreis koste die globale Wirtschaft täglich eine halbe Milliarde Dollar mehr. Faktum sei, dass die Bedeutung des Öls für das globale BIP abgenommen habe, so Loacker. Faktum sei aber auch, dass der Markt die ggeopolitischenp Krisen im Ölpreis bisher unterschätzt und nicht eingepreist habe, so Weinberg.
Wer steckt hinter dem Krieg im Jemen, und wie verlaufen die Fronten?
Das sunnitische Saudiarabien und der schiitische Iran, die Erzrivalen am Persischen Golf, führen im Jemen einen Stellvertreterkrieg. Die schiitischen Houthi-Rebellen, unterstützt von Glaubensbrüdern im Iran, stürzten 2015 die Regierung in der Hauptstadt, Sanaa. Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi flüchtete ins Exil nach Saudi
arabien. Unter der Regie Mohammed bin Salmans, damals Verteidigungsminister und heute Kronprinz, intervenierte Saudiarabien an der Spitze einer Militärallianz mit Ägypten und Jordanien sowie mit Unterstützung der Vereinigten Arabischen Emirate und der USA im lang vom Bürgerkrieg zerrissenen Süden der Arabischen Halbinsel.
Die Houthis hielten die Stellung, zuletzt bombardierten sie Ziele in Saudiarabien, darunter Ölpipelines und den Flughafen in Riad. Während sich der Konflikt im Persischen Golf aufschaukelt, drängen die Emirate ihre saudischen Verbündeten zum Rückzug. Vergeblich. Riad und Washington machen den Iran für die Attacken auf Öltanker und Ölanlagen verantwortlich. Die Angriffe seien nicht aus dem Jemen gekommen, sondern aus dem Nordwesten, entweder aus dem Irak oder dem Iran, lautet die Einschätzung der US-Geheimdienste. Drohnen und Raketen seien vermutlich aus iranischer Produktion, Teheran streitet das ab.