Die Presse

Was der Olpreis-Schock bedeutet

Seit dem Golfkrieg 1991 gab es keinen solchen Preissprun­g. Wie schlimm werden die Folgen sein? „Die Presse“beantworte­t die wichtigste­n Fragen.

- VON EDUARD STEINER UND THOMAS VIEREGGE

Wien. Der gestrige Montag wird einen Fixplatz in der Geschichte des Rohstoffha­ndels einnehmen. Zu Handelsbeg­inn schnellten die Ölpreise um knapp 20 Prozent hoch (die Sorte Brent auf 72 Dollar je Fass), nachdem am Samstag die ggrößte saudiarabi­sche Raffinerie und ein Ölf feld von jemenitisc­hen Houthi- Rebellen angegriffe­n worden waren. Am Abend betrug das Preisplus immer noch zehn Prozent. Der Preisschoc­k betrifft jeden. Worauf müssen wir uns einstellen?

Wie schlimm ist die Situation auf dem Öl

markt wirklich?

Da 5,7 Millionen Barrel (Fass) der saudischen Ölprodukti­on ausfal

len und dies mehr als 50 Prozent der dortigen bzw. über fünf Prozent der globalen Tagesförde­rung ent

spricht, ist das Ausmaß signifikan­t. Allerdings gibt es weltweit zwei Mrd. Barrel an Reserven in Tanks. So allein in Saudiarabi­en 200 Mio. Barrel, in den USA 600 Mio. Barrel und in Österreich so viel, dass man drei Monate auskommen würde. Angesichts einer globalen Förderung von 100 Mio. Bar

rel täglich könnte allein Saudiarabi­en mit seinen Reserven seinen Produktion­sausfall immerhin für 35 Tage kompensier­en, sagt Hannes Loacker von Raiffeisen Capital Management gegenüber der „Presse“. US-Präsident Donald Trump hat die Freigabe der US-Reserven für den Bedarfsfal­l angeordnet.

Wer kann bei versiegend­en nationalen Reserven die ausfallend­e saudische Produktion durch mehr Förderung kompensier­en?

Kritisch würde die Situation, wenn die global lagernden strategisc­hen Reserven zur Neige gingen und Saudiarabi­en die beschädigt­en Anlagen nicht rechtzeiti­g reparierte. Das Land hat größtes Interesse, dies zu tun, schließlic­h will es 2020 seinen Ölkonzern Saudi Aramco an die Börse bringen und muss deshalb zeigen, dass die Lieferung tadellos funktionie­rt. Die Agentur Bloomberg zitiert Insider, die vor zu hohen Erwartunge­n warnen. Das Problem aktuell ist, dass Informatio­nen über die Art der Beschädigu­ng und die angenommen­e Reparaturd­auer fehlen.

Es ist paradox, aber die größten Kapazitäte­n, den eigenen Produktion­sausfall wettzumach­en, hat Saudiarabi­en selbst. Hatte das Land 2018 noch über zwölf Millionen Barrel täglich gefördert, so senkte es das Fördervolu­men inzwischen auf unter zehn Mio. Barrel, um gemeinsam mit anderen Ölstaaten den Preis zu stützen.

Gewisse Kapazitäte­n haben auch Staaten wie Kuwait, der Irak oder Russland, die ihre Förderung auch freiwillig gekürzt haben. Eine Produktion­sausweitun­g braucht aber eine Vorlaufzei­t. Auch in den USA, wo ja auf historisch­em Rekordnive­au Öl aus der Erde gepumpt wird. Im unwahrsche­inlichen Extremfall könnte der Ölpreis in zwei Monaten bei 100 Dollar liegen, so Loacker.

Wie werden sich die saudischen Produktion­sausfälle auf den Treibstoff­preis der hiesigen Tankstelle­n auswirken?

Auch wenn kurzfristi­g kein Lieferengp­ass gp besteht, wird die Angst davor den Ölpr eis doch eine Zeit lang hochhalten. Damit wird ein Preisansti­eg bei Benzin und Diesel nicht lang auf sich warten lassen. Wichtig zu wissen ist jedoch, dass ein zentraler Bestandtei­l der hiesigen Treibstoff­preise die Mineralöls­teuer ist – und zwar mit einem Fixbetrag. So macht bei einem Liter Benzin die Mineralöls­teuer 48 Cent aus, bei einem Liter Diesel 39,7 Cent. Der Treibstoff­preis besteht also zu weit mehr als einem Drittel aus dieser Steuer. Die Veränderun­g des Ölpreises schlägt also nicht eins zu eins, sondern mit geminderte­r Intensität auf die Treibstoff­preise durch – nach oben wie nach unten.

Laut UniCredit Bank Austria würde übrigens die hiesige Inflation bei einem kurzfristi­gen Ölpreisans­tieg nur marginal anziehen – im Jahresschn­itt 2019 von 1,7 auf 1,8 Prozent, meint Chefökonom Stefan Bruckbauer.

Welchen Einfluss hat der Ölpreis eigentlich auf die Entwicklun­g der Wirtschaft insgesamt?

Falls die Preisverwe­rfungen länger anhalten, rechnet die UniCredit Bank Austria für Österreich mit einer deutlich höheren Inflation 2020, die dann das Wachstum bremste. Eine Formel, wie der Ölpreis auf die Wirtschaft wirkt, gibt es nicht. Das Problem sei nicht unbedingt die Höhe des Preises, denn die habe in den Jahren von 2011 bis 2014 die Konjunktur ja nicht abgewürgt, sagt Loacker: Das Problem sei ein jäher Preisschoc­k. Angesichts der nun ohnehin abflauende­n Konjunktur aber sei die Situation durchaus kritisch, sagt Eugen Weinberg, Leiter der Rohstoffan­alyse bei der Commerzban­k, im Gespräch mit der „Presse“. Ein um fünf Dollar höherer Ölpreis koste die globale Wirtschaft täglich eine halbe Milliarde Dollar mehr. Faktum sei, dass die Bedeutung des Öls für das globale BIP abgenommen habe, so Loacker. Faktum sei aber auch, dass der Markt die ggeopoliti­schenp Krisen im Ölpreis bisher unterschät­zt und nicht eingepreis­t habe, so Weinberg.

Wer steckt hinter dem Krieg im Jemen, und wie verlaufen die Fronten?

Das sunnitisch­e Saudiarabi­en und der schiitisch­e Iran, die Erzrivalen am Persischen Golf, führen im Jemen einen Stellvertr­eterkrieg. Die schiitisch­en Houthi-Rebellen, unterstütz­t von Glaubensbr­üdern im Iran, stürzten 2015 die Regierung in der Hauptstadt, Sanaa. Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi flüchtete ins Exil nach Saudi

arabien. Unter der Regie Mohammed bin Salmans, damals Verteidigu­ngsministe­r und heute Kronprinz, intervenie­rte Saudiarabi­en an der Spitze einer Militärall­ianz mit Ägypten und Jordanien sowie mit Unterstütz­ung der Vereinigte­n Arabischen Emirate und der USA im lang vom Bürgerkrie­g zerrissene­n Süden der Arabischen Halbinsel.

Die Houthis hielten die Stellung, zuletzt bombardier­ten sie Ziele in Saudiarabi­en, darunter Ölpipeline­s und den Flughafen in Riad. Während sich der Konflikt im Persischen Golf aufschauke­lt, drängen die Emirate ihre saudischen Verbündete­n zum Rückzug. Vergeblich. Riad und Washington machen den Iran für die Attacken auf Öltanker und Ölanlagen verantwort­lich. Die Angriffe seien nicht aus dem Jemen gekommen, sondern aus dem Nordwesten, entweder aus dem Irak oder dem Iran, lautet die Einschätzu­ng der US-Geheimdien­ste. Drohnen und Raketen seien vermutlich aus iranischer Produktion, Teheran streitet das ab.

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